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Politik

"ICE Anne Frank" - Deutsche Bahn in der Kritik

Lea Fauth
2. November 2017

Die Deutsche Bahn will einen ihrer neuen ICE-Züge nach einem der bekanntesten Opfer der Nationalsozialisten benennen. Von der heftigen Kritik daran scheint das Unternehmen überrascht. Auch das wirft Fragen auf.

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Deutsche Bahn Pressebild - neue Flotte - ICE 4
Einer der der neuen ICE 4 soll den Namen von Anne Frank tragenBild: Deutsche Bahn/Foto: Detlev Wecke

Ist es unsensible Geschichtsvergessenheit oder gelebte Gedenkkultur? Die Deutsche Bahn möchte einen ihrer neuen InterCity-Express-Züge (ICE) nach der von den Nationalsozialisten ermordeten Jüdin Anne Frank benennen und ihn mit ihrem Abbild schmücken. Die Idee dahinter: Jeder Zug solle "einen individuellen Auftritt" bekommen, so die Bahn in einer Pressemitteilung vom 27. Oktober. Das Produkt ICE solle auf diese Weise personalisiert werden und die Reisenden ansprechen. Doch die PR-Aktion ging nach hinten los.

Der Anne-Frank-ICE, bisher nur in der Pressemitteilung vorgestellt und noch gar nicht auf der Schiene, hat eine heftige Debatte entfacht. Denn die Deutsche Bahn ist historisch Rechtsnachfolger der Reichsbahn, die unter Adolf Hitler Millionen Juden aus ganz Europa in Konzentrations- und Vernichtungslager deportierte. Auch Anne Frank wurde als 15-Jährige mit der Reichsbahn von Amsterdam nach Auschwitz und von dort weiter in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert, wo sie wenig später vermutlich an Typhus starb. Ihr nach dem Krieg veröffentlichtes Tagebuch machte Anne Frank zu einem der bekanntesten Holocaust-Opfer.

Auschwitz Prozess Anne Frank
Anne Frank starb am 12. März 1945 im Konzentrationslager Bergen-BelsenBild: Internationales Auschwitz Komitee

Anne Frank Haus: Neuer Schmerz für NS-Opfer

Nicht eigentlich antisemitisch sei die Namensgebung des ICE angesichts dieser Geschichte, kommentierte das die Berliner "Tageszeitung" (taz), wohl aber "geschmacklos". Miriam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums in Frankfurt, geht noch weiter. "Die Idee, einen Zug der Deutschen Bahn nach einem Holocaust-Opfer zu benennen, zeugt von Geschichtsvergessenheit", twitterte sie. "Signalstörung", titelte die "Frankfurter Allgemeine" (FAZ). "Totalausfall bei der Deutschen Bahn" überschrieb der Journalist Nils Kottmann seinen Kommentar in dem er kritisierte, dass ein "Täterwerkzeug nach dem Opfer" benannt würde.

Das Anne Frank Haus in Amsterdam reagierte vergleichsweise verhalten. Einen Tag nach dem medialen Aufruhr schrieb das Museum auf seiner Website, dass die Assoziation zwischen Anne Frank und dem ICE "erneut Schmerzen bei all jenen" auslöse, "deren Leben bis heute von den NS-Verbrechen geprägt ist". Man sei sich aber bewusst, dass solche Initiativen "in den meisten Fällen" auf guter Absicht beruhten.

War sich die Bahn der historischen Dimension bewusst?

Tatsächlich finden sich unter den Namenspaten, die die Bahn am 27. Oktober vorstellte, auch die "Geschwister Scholl", "Dietrich Bonhoeffer", "Albert Einstein" und "Hannah Arendt", mithin Personen die für die Verfolgung durch beziehungsweise den Widerstand gegen die Nationalsozialisten stehen und an die durch die Namensgebung erinnert werden soll. Doch selbst wenn man der Bahn bei der Namenswahl nur beste Absichten unterstellt, bleibt im Fall von Anne Frank der Zusammenhang zwischen Reichsbahn und Deportation zumindest problematisch. Kontrovers diskutiert wird in diesem Zusammenhang, ob sich die Deutsche Bahn ausreichend Gedanken über die historischen Zusammenhänge gemacht hat.

In einer Pressemitteilung vom 31. Oktober erklärte die Deutsche Bahn als Reaktion auf die öffentliche Debatte, sie habe sich mit der Benennung des ICE-4 "im Bewusstsein um ihre historische Verantwortung entschieden, die Erinnerung an Anne Frank wachzuhalten". Das Unternehmen gab weiterhin an, mit jüdischen Organisationen in Kontakt getreten zu sein, um über die Namensgebung zu diskutieren.

Indes gab nicht nur die Vergangenheit der Deutschen Bahn Anlass zu Kritik. "Anne Frank ist keine Werbefigur" überschrieb etwa die "Berliner Zeitung" (BZ) einen Kommentar. Darin wird kritisiert, dass das Unternehmen die Erinnerungskultur an die Opfer der Naziherrschaft kommerzialisiere - und letztlich also wirtschaftlich davon profitiere. Es solle an dem Konsens festgehalten werden, "dass Opfer der Naziherrschaft kommerzieller Verwertung entzogen bleiben müssen", forderte die BZ.