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Julia Botschkowskaja

29. Juni 2011

Seit 25 Jahren vergibt der Bundestag an junge Akademiker das Internationale Parlaments-Stipendium. Die Stipendiaten lernen fünf Monate lang die parlamentarische Arbeit in Deutschland kennen. DW-WORLD stellt einige vor.

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Julia Botschowskaja (Foto: privat)
Bild: privat

Julia Botschkowskaja ist 25 Jahre alt und in Kasachstan aufgewachsen. Ihre Mutter ist zur Hälfte Deutsche, der Vater Pole. Die studierte Dolmetscherin hat in Budapest einen Master für Internationale Beziehungen gemacht.

Demokratie ist für mich wichtig, weil ... man in einer Demokratie seine Meinung frei äußern kann. Sie erlaubt, viele Konflikte gewaltfrei und auf Grundlage der freien Entfaltung der Meinung und der Persönlichkeit zu lösen. Demokratie ermöglicht eine sichere und friedliche Zukunft für jeden Einzelnen. Demokratie heißt für mich ebenso, dass die Arbeit der Politiker dem Volk gewidmet ist. Kinder, Schüler, Erwachsene, Rentner, Behinderte - sie alle haben ein Anrecht darauf zu wissen, was der von ihnen gewählte Abgeordnete macht. Politiker sind keine Übermenschen, sondern Arbeitnehmer ihres Volkes!

Die Deutschen sind ... Vereinsmenschen, die sehr viel ehrenamtlich gestalten. Sie sind außerdem sehr gastfreundlich. Dazu kann ich eine kurze Geschichte erzählen: Am 3. April 2011, dem Tag der Präsidentschaftswahlen, den ich in der Botschaft Kasachstans in Berlin mitverfolgen wollte, fragte ich eine Passantin nach dem Weg. Die deutsche Frau, um die 85 Jahre alt, erklärte mir freundlich, wie ich zur Botschaft komme. Direkt gegenüber der Botschaft wohnte sie und lud mich deshalb gleich noch auf einen Kaffee bei sich ein. Einfach so, ohne Vorplanung! Wir saßen bei ihr im Garten, tranken Kaffee und sprachen über ihre vergangene DDR-Zeit. Wer kann da noch behaupten, die Deutschen seien nicht gastfreundlich?

Mein Lieblingsort in Berlin ist ... die Museumsinsel. Seit 1999 gehört sie als weltweit einzigartiges bauliches und kulturelles Ensemble zum Weltkulturerbe der Unesco. Im Alten und Neuen Museum, im Pergamonmuseum, in der Alten Nationalgalerie sowie im Bode-Museum kann man eine Reise durch die Geschichte und Gegenwart der Stadt unternehmen. Außerdem trifft man dort viele interessante Leute.

An Berlin gefällt mir nicht ... nur die interkulturelle Vielfalt der Architektur und der Stadtbezirke, sondern auch die interkulturelle Seele jedes Einwohners der Stadt.

Die größte Überraschung während meines Aufenthalts war ... die wiedergefundene Schwester meiner Oma. Getrennt durch die Wirren des Zweiten Weltkrieges hatten die beiden 70 Jahre keinen Kontakt mehr. Dank des Internationalen Parlaments-Stipendiums beziehungsweise dank eines israelischen IP-Stipendiaten wurde der Kontakt zwischen beiden Schwestern wiederhergestellt. So habe ich vor ungefähr vier Monaten von meiner jüdischen Herkunft erfahren. Nun planen wir ein großes Familientreffen mit meiner Oma aus Deutschland und ihrer Schwester aus Israel. Dank dafür an Aaron K. Roth und Omer Hakim!

Mein Lieblingspolitiker in Deutschland ist ... der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Börnsen. Er sitzt bereits seit 1987 im Parlament - seit nunmehr sieben Wahlperioden. Das ist schon eine Leistung! Herr Börnsen ist zudem Berichterstatter für die internationalen Austauschprogramme des Deutschen Bundestages, das heißt auch für das Internationale Parlaments-Stipendium. Daher ist er mit hochrangigen Politikern und gleichzeitig mit jungen engagierten Leuten aus verschiedenen Ländern in ständigem Kontakt. Ich glaube, dass müsste jeder Abgeordneter sein! Was mir aber besonders an ihm als Politiker gefällt, dass er seinen eigenen Standpunkt hat und diesen auch dann vertritt, wenn er nicht immer mit der Fraktionsmeinung übereinstimmt. Er handelt gemäß seiner persönlichen Überzeugung und hat so zum Beispiel gegen den Afghanistan-Einsatz gestimmt.

Der Alltag eines Politikers ... umfasst mindestens zwei normale Arbeitstage seines Wählers. Ein Politiker arbeitet in den Plenarwochen zwischen 80 und 90 Stunden. Er pendelt zwischen Berlin und seinem Wahlkreis und muss an beiden Orten die Interessen seiner Wähler durchsetzen können. Er ist nah und gleichzeitig fern.

Von meinem Heimatland können die Deutschen lernen, dass ... familiäre Werte eine sehr wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen. Deshalb hat Kasachstan kein Demografie-Problem. Rund 24 Prozent der Einwohner sind jünger als 14 Jahre. Unter dem türkisfarbenen Himmel meines Landes leben 130 Ethnien friedlich miteinander. Dies könnte auch für Deutschland von Interesse sein.

Deutschland in zehn Jahren wird ... eine Weltmacht sein. Die Bundesrepublik investiert sehr viel in die Ausbildung ihrer Bürger und in die Forschung. So sichert sich Deutschland eine erfolgreiche Zukunft.

Ich komme nach Deutschland zurück, weil ... das Land mein zweites Zuhause ist. Als Angehörige der deutschen Minderheit in Kasachstan möchte ich die Brücke zwischen den beiden Hauptstädten Astana und Berlin festigen. Daher komme ich sehr gerne zurück!

Redaktion: Kay-Alexander Scholz