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Stabswechsel

Das Interview führte Ina Rottscheidt28. Juni 2007

Der internationale Bosnienbeauftragte Christian Schwarz-Schilling gibt sein Amt nach nur einem Jahr ab – unfreiwillig. Kritiker werfen ihm politische Schwäche vor. Im DW-WORLD.DE-Interview zieht er Bilanz.

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Der Hohe Repräsentante der internationalen Gemeinschaft für Bosnien-Herzegowina, Christian Schwarz-Schilling
Würde gerne verlängern: Schwarz-SchillingBild: AP
DW-WORLD.DE: Sie haben häufig die vom "persönlichen Ehrgeiz getriebenen Politiker“ kritisiert, die die verfassungsrechtliche und territoriale Ordnung von Bosnien-Herzegowina "zu zerrütten“ versuchten. Kapitulieren Sie?

Christian Schwarz-Schilling: Nein, überhaupt nicht. Ich wäre unter bestimmten Bedingungen gerne bereit gewesen, das Amt weiterzuführen. Aber die internationale Gemeinschaft war der Meinung, dass sie mit einem Politikwechsel die Dinge voranbringen könne. Leider hat sich auch die deutsche Präsidentschaft nicht sehr stark eingesetzt. Aber ich hätte wirklich gerne weiter gemacht.

Ich hatte in Wirklichkeit nur drei Monate Zeit, richtig zu arbeiten: Ich habe in der Wahlkampfzeit vor den Wahlen am 1. Oktober begonnen, die von viel Rhetorik und Extremformulierungen geprägt waren und die Arbeit im Parlament und mit Politikern unmöglich gemacht haben. Aber das ist in Demokratien ähnlich. Man kann ihnen nicht vorwerfen, dass gerade im Wahljahr die entscheidenden Reformen nicht durchgesetzt werden. Danach brauchte es fast sechs Monate bis zur Regierungsbildung, und als die dann im März endlich soweit war, konnte ich in so kurzer Zeit nichts richtig zu Ende führen

Immerhin ist es mir gelungen, die internationale Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass der Oberste Repräsentant für Bosnien-Herzegowina (OHR) nicht am 30.6. zurückgezogen wird, wie ursprünglich geplant. Dann gäbe es jetzt keinen Nachfolger.

Als Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina überwachen Sie seit dem 31. Januar 2006 das Friedensabkommen von Dayton. Sie können Politiker absetzen und Gesetze revidieren. Kritiker haben Ihnen eine schwache Politik vorgeworfen. Warum haben Sie von Ihren Befugnissen nie Gebrauch gemacht, wie Ihr Vorgänger Paddy Ashdown, der rund 60 bosnische Würdenträger abgesetzt hatte?

Als ich das Mandat übernommen habe, bin ich von der gesamten internationalen Gemeinschaft aufgefordert worden, den Bosniern mehr "Ownership", also Eigenverantwortung zukommen zu lassen, denn wir wollten das Land Anfang 2007 verlassen. Wie kann man man sich zurückziehen, wenn die Menschen vorher keine Selbstverantwortung gelernt haben?

Es stimmt, ich habe keine Leute entlassen, weil ich das für keine sinnvolle Methode halte, denn die Köpfe wachsen wie eine Hydra nach: Ich habe institutionelle Veränderungen vorgenommen, indem ich Gesetzesergänzungen gemacht habe oder die Steuerverteilungen implementiert habe. Ich habe eine ganze Menge Dinge gemacht, die nur nicht so öffentlichkeitswirksam waren.

Dazu stehe ich auch nach wie vor. Die Bosnier haben erkennen müssen, dass Selbstverantwortung nicht so einfach ist und die internationale Gemeinschaft musste erstmal lernen, wie hier die Realität ist. Man glaubte, hier sei alles prima und die Formelkompromisse von oben, die unten noch gar nicht richtig angekommen waren, würden jetzt funktionieren. Man hat gar nicht gesehen, dass die nur funktionieren, weil der OHR mit seiner Macht allem Nachtdruck verleiht.

Vor genau zehn Jahren teilte der Friedensvertrag von Dayton das Land in zwei "Entitäten", die "Republika Srpska" im Norden und Osten und die "Bosnisch-Kroatische Föderation" im Westen und Süden. Dahinter stand eine gute Absicht der internationalen Gemeinschaft, die man mit der griffigen Formel "Drei Völker, zwei Entitäten, ein Staat" umschrieb. War es aber auch der Grundstein für einen lebensfähigen Staat namens Bosnien-Herzegowina?

Nein, Dayton war nur die Beendigung des Völkermordes und des Krieges zwischen den einzelnen Teilen der alten jugoslawischen Föderation. Die damalige Neuordnung, die nur die internationale Verwaltung geregelt hat, war niemals eine wirkliche Verfassung, denn es gab ja verschiedene Verfassungen auf Entitäten- und Staatsebene. Aber dafür war Dayton auch nicht geschaffen worden, sondern es sollte der Anfang sein, es hat die Möglichkeit zu Verbesserungen geschaffen, aber die konnten nur schleppend voran schreiten, weil immer der Konsens aller drei Staaten benötigt wurde.

Ist diese Konstruktion sinnvoll oder muss man möglicherweise grundsätzlich diesen Verbund in Frage stellen?

Das Konzept hat von Anfang an gekrankt, weil manche in der internationalen Gemeinschaft gedacht haben, dass mit dieser Dayton-Verfassung ein moderner Staat gemacht werden könnte. Der entscheidende Fehler war, dass die Entitäten sehr unterschiedliche Funktionen hatten, auseinander drifteten und die Staatsebene viel zu schwach ausgebildet wurde.

Ohne eine entscheidende Verfassungsreform, die diese verschiedenen Ebenen zusammen führt, eine sinnvolle Staatsform herbeiführt und auch in dieser Weise dann kompatibel wird für die entsprechenden Unterbauten, also die Entitäten, ist für mich ein zukunftsfähiger Staat nicht denkbar.

Wenn Sie auf Ihre Amtszeit zurückblicken: Was steht in ihrer persönlichen Bilanz ganz oben?

Wir haben vieles voran gebracht: Die Mehrwertsteuer hat letztlich zu mehr Wachstum beigetragen, weil die Einnahmen gestiegen sind. Mit der "Partnership for Peace" sind wir einen großen Schritt in Richtung NATO vorangenommen.

Der Eintritt in die zentraleuropäische Freihandelszone CEFTA war ein wichtiger Punkt, um die regionale Verbindung zu dem früheren Jugoslawien und den Nachbarländern herzustellen. Erstmals konnten im Oktober Wahlen ohne internationalen Beistand durchgeführt worden und auch die Koalitionsregierung ist ohne Einwirkungen der internationalen Gemeinschaft geschehen. Bosnien-Herzegowina ist Mitglied des UNO-Menschenrechtsrates geworden und es erreicht mittlerweile sieben Prozent Wachstum.

Aber das wichtigste ist, dass die Wahrheit ein Stück deutlicher sichtbar wurde: Dass Bosnien derzeit nicht in der Lage ist, die Selbstverantwortung so auszuüben, das wir den OHR schließen können. Entweder muss der hohe Repräsentant noch ein oder mehrere Jahre bleiben, um das Land tatsächlich zur Selbstverantwortung zu führen oder Europa muss diese Rolle der internationalen Gemeinschaft dann selbst übernehmen und für die Sicherheit hier sorgen Aber dazu ist Europa im Moment nicht bereit, beziehungsweise Europa glaubt, Bosnien sie ein völlig normales Land wo man einfach nur abwarten müsse, bis sie soweit sind.

Das ist eine Fehleinschätzung: Bosnien hat ein einzigartiges Schicksal gehabt, mit Völkermord, Flüchtlingen und Toten, wie in keinem anderen europäischen Land nach dem Zweiten Weltkrieg. Darum können wir auch nicht sagen: Wir behandeln Bosnien wie jedes andere Land. Das ist mit Deutschland auch nicht gemacht worden. Wir haben Demokratie und Rechtsstaat auch nicht in fünf Jahren gelernt.

Was raten Sie Ihrem Nachfolger, dem Slowaken Miroslav Lajcak?


Ich werde ihm raten, mit Konsequenz aber auch mit viel Verständnis die Situation dieses Landes bei seinen Entscheidungen zu berücksichtigen und von Anfang an Europa klar zu machen, dass die Entscheidung der Schließung nächstes Jahr an Bedingungen geknüpft sind, die jetzt schon formuliert werden sollten und nicht kurz vorher.