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"Ich kenne keinen, der nicht mit dem Shuttle fliegen wollte"

Das Interview führte Tina Gerhäusser13. Juli 2005

Ulrich Walter flog 1993 mit dem Space-Shuttle "Columbia" ins All. Jetzt ist er Professor für Raumfahrttechnik in München. DW-WORLD sprach mit ihm über die Gefahren der Raumfahrt und den großen Moment vor dem Start.

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Die "Discovery" vor dem StartBild: AP

DW-WORLD: Mit welchen Gefühlen sehen Sie dem Start der "Discovery" entgegen?

Ulrich Walter
Ulrich Walter am 26.4.1993 auf dem Weg zur Startrampe.Bild: dpa

Ulrich Walter: Eigentlich mit sehr positiven Gefühlen. Die Amerikaner haben getan, was sie konnten. Das Shuttle ist in gutem Schuss. Es ist sicherer als je zuvor, und ich bin davon überzeugt, dass nichts Schlimmes passieren wird.

Woher nehmen Sie diese Sicherheit?

Wissen Sie, es ist eine psychologische Sache. Es war eine Katastrophe passiert, und man starrt jetzt darauf. Die Leute warten: Na, geht's jetzt gut? – Natürlich geht's gut. Die anderen Shuttle-Flüge waren bisher auch okay. Warum sollte jetzt ausgerechnet, wo das Shuttle viel besser ist, wieder etwas passieren? Nein, die Statistik sagt, dass vielleicht erst in 100 Flügen was passieren wird.

Wie gefährlich ist denn die heutige Raumfahrt überhaupt?

Die Raumfahrt ist nicht ungefährlich. Das Shuttle ist das komplizierteste Gerät, was die Menschheit je gebaut hat, und das Problem ist, dass man an den Grenzen des Materials fliegt. Das heißt die Thermokacheln und auch die Flügelvorderkanten werden bis an die Hitzegrenzen belastet. Man hat da kaum mehr einen Puffer. Das ist aber die Physik des Wiedereintritts - dagegen kann man nichts machen. Es gibt keine besseren Materialien und damit müssen wir deswegen leben.

Welche Strategien werden beim Training vermittelt, damit man als Raumfahrer mögliche Ängste in den Griff bekommt?

Man sollte nicht sagen Ängste, sondern es sind Sorgen. Ich glaube, jeder Astronaut hat die Sorge, dass auch auf seiner Mission was passieren könnte, auch etwas Tödliches. Aber es ist keine Angst. Und der Unterschied liegt darin: bei einer Angst ist man benommen von der Angst, man weiß nicht, was man tun soll. Aber jeder Astronaut ist sehr, sehr gut darauf trainiert, was er in jeder Gefahrensituation zu tun hat. Und das nimmt einem die Angst und hinterlässt nur noch Sorge.

Worauf genau ist man trainiert?

Es ist die Psychologie, wie man mit Risiken umgeht. Und die Nasa macht genau das Richtige: sie trainiert solche Situationen. Und zwar werden hauptsächlich, zu mehr als
50 Prozent, solche unnormalen Situationen trainiert. Die Nasa nennt das "Off-Nominals".

Können Sie da ein Extremtraining nennen, bei dem Sie selbst mitgemacht haben?

Zum Beispiel wird simuliert, dass beim Start das Shuttle anfängt zu brennen. Dann herrscht höchste Gefahren-situation, man muss also möglichst schnell aus dem Shuttle raus. Da gibt es seitlich hoch oben auf der Startrampe Körbe, da muss man rein und an Seilen rutscht man dann so etwa einen Kilometer weit runter und muss dann mit einem kleinen Panzer wegfahren. Und das wird auf der Startrampe wirklich eins zu eins trainiert.

Erinnern Sie sich noch an das Gefühl vor ihrem Start mit der "Columbia"?

Oh ja, sehr gut. Das vergisst man nie im Leben. Das ist eine angespannte, aber auf der anderen Seite fröhliche und relaxte Stimmung – naja, halb relaxed, halb angespannt. Man weiß nicht so genau, was kommt. Es ist etwas Besonderes: man weiß, man setzt sich da auf 2000 bis 2200 Tonnen Schub, man ist der Sache ausgeliefert; wenn was passiert, kann man nichts tun. Auf der anderen Seite ist es schon etwas sehr Beeindruckendes, was da mit einem passiert.

Hat man da Träume in dem Moment?

Nein, überhaupt keine. Das hat nichts mit Traum zu tun. Es ist mehr so, dass man die Realität wesentlich tiefer einatmet. Man schaut sich alles genau an. Und ich hab gesagt: Jetzt hast du fünf Jahre gearbeitet, und jetzt steigst du ein. Nach fünf Jahren harter Arbeit, jetzt geht's wirklich los. Man konzentriert sich auf das, was da kommt. Das ist das, was einen gefangen nimmt.

Wird man für die lange, harte Vorarbeit belohnt?

Die Belohnung liegt im Flug selber, nicht nur im Start. Die Belohnung liegt auch darin, dass man Wissenschaft im Weltraum machen kann. Wir sind Wissenschafts-astronauten: Es ist also nicht nur der Blick aus dem Fenster, sondern auch die Tatsache, dass man wirklich etwas tun kann, wofür man ausgebildet wurde. Das gibt doch eine große Befriedigung.

Würden Sie nochmal ins All fliegen?

Jederzeit, Mittwoch, ja!

Beneiden Sie die "Discovery"-Astronauten?

Ja. Jeder Astronaut ist begeisterter Raumfahrer. Ich kenne keinen Astronauten, der da am Mittwoch nicht einsteigen würde. Aber Astronauten sind da vielleicht ein bisschen anders, sie sind da ein bisschen nüchterner. Sie sagen: das Shuttle ist sicherer, natürlich steigt man da ein, das ist überhaupt keine Frage.

Weil man diesen Moment wieder erleben will?

Nein, weil man weiß, dass die Leute, die an dem Shuttle gearbeitet haben, das Beste getan haben, was sie konnten. Das ist das Gleiche, wenn Sie ein Auto in die Reparatur bringen: sie verlassen sich, sie kennen die Werkstatt und sagen, die haben ihr Bestes getan, und dann steigen sie auch in ihr Auto. Und sie wissen, im nächsten Augenblick kann irgendwie ein Reifen platzen oder so. Aber dagegen können sie nichts tun.

Und wie verabschiedet man sich dann von seinen Angehörigen?

Am Abend vorher gibt es den berühmten "Nightview". Da versammelt man sich vor dem Shuttle an der Straße, die hinauf führt zur Start-Rampe. Auf der einen Seite stehen die Astronauten, die unter Quarantäne-Bedingungen sein müssen - das heißt die Familie kann nicht zu ihnen. Und auf der anderen Seite der Straße ist die Familie mit den Kindern. Und man winkt sich zu, ruft sich rüber, redet ein bisschen zusammen. Das ist auch ein bisschen traurig, denn die kleinen Kinder wollen dann zu ihren Papas, aber sie dürfen dann nicht rüber. Das ist eine sehr eigenartige Situation, denn das Shuttle ist im Dunklen, hell beleuchtet - ein sehr, sehr beeindruckender Abschied ist das.