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Der Kaufrausch ...

18. Dezember 2009

In Deutschlands Innenstädten herrscht Kampfstimmung. Auf den Weihnachtsmärkten drängeln sich die Menschen – auf der Suche nach dem richtigen Geschenk. Was sagt eigentlich die Wissenschaft zum kollektiven Kaufrausch?

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Weihnachtsmarkt am Genarmenmarkt in Berlin (Foto: AP)
Bild: AP

"Jede Stadt hat ihre eigene Weihnachtssitte", schrieb 1933 der berühmte Publizist Sebastian Haffner in einem Artikel in der Vossischen Zeitung. Aber Berlin, so führt er weiter aus, habe als besondere Würze des Festes das Weihnachtsgeschäft erfunden. Prophetischer hätte Haffner den Rummel kurz vor dem Fest der Feste nicht in Worte fassen können. Denn seit damals hat sich nichts geändert. Die Blicke sind gierig. Was vormittags entspannt beginnt, endet kurz vor Kassenschluss in bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Mittendrin steht schmunzelnd der Berliner Soziologe Friedrich Rost. Ein honoriger Mann, Mitte fünfzig, grauer Bart, randlose Brille. Er beobachtet genau, was sich in Berlins größtem Kaufhaus, dem Kaufhaus des Westens, abspielt. Wie die Menschen rastlos an den Auslagen vorbeihasten, ohne Ruhe und ohne Kontemplation.

Die Schlacht als Teil des Festes

Potsdamer Weihnachtsmarkt (Foto: picture alliance)
Weihnachtsmärkte zelebrieren das SchenkenBild: picture alliance/ZB

Anders ginge es nicht, sagt der an der Freien Universität Berlin lehrende Wissenschaftler mit ruhiger Stimme. Seit 20 Jahren erforscht er das Phänomen des Schenkens und Beschenktwerdens. "Weil es eben eine Wertschätzung ausdrückt, die man sich im Grunde genommen im Laden auch nicht selbst kaufen kann. An sich sind Geschenke sichtbare Zeichen der Beziehung." Bevor man etwas mit leuchtenden Augen unter den Weihnachtsbaum legt, müsse man allerdings nolens volens in die Schlacht.

Doch Geschenke aussuchen kann auch ein Quell der Freude sein. Dem Schenken wohne auch ein einzigartiges glücklich machendes Moment inne. Rost stellt sogar die These auf, dass freiwilliges Geben "Aggressionen hemme" und "lange zähe Konflikte entspannen könne". Schenken ist in den Augen des Berliners "ein einzigartiger Akt des Sozialen Handelns, der es vermag, unbezahlbares Urvertrauen herzustellen."


Schenken macht glücklich

Weihnachtsbaum (Foto: AP)
Bild: AP

In den Augen des Soziologen ist das Schenken in der Tat kein egoistischer Akt. Es ist nichts, was nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Es ist allein auf den Anderen ausgerichtet. Ihn hat man beim Schenken im Blick, denn ihm will man ja eine Freude machen. Schenken solle schließlich "Glückshormone ausschütten, von denen beide was haben".

Bis heute weiß man allerdings wenig über den Ursprung und die Bedeutung des Schenkens. Letztendlich ist es ein Thema, dem die Wissenschaft wenig Beachtung schenkt. Denn im profanen Schenken sind ungemein viele Codes und Gesten, kulturelle Verabredungen und Missverständnisse unseres alltäglichen Lebens versteckt.

Ökonomen warnen vor Geschenken

Nur die Ökonomen beurteilen das ein bisschen anders. Der britische Finanzexperte Joel Waldfogel sieht in den Gaben einen "wirtschaftlichen Wahnsinn", der alljährlich so viel Wert vernichte wie ein Hurrikan. Waldfogel vernachlässigt das friedliche Moment des Schenkens und spricht vom "ökonomischen Irrsinn". Seinen Recherchen zufolge gibt jeder Deutsche im Schnitt circa 700 Euro für das Weihnachtsfest aus - oft mit äußerst zweifelhaften Resultaten. Schwiegereltern, dicht gefolgt von Großeltern, Tanten, Geschwistern und Eltern irren sich nach Waldfogels Studie am häufigsten mit ihrer Geschenkauswahl. Die Summe aller Fehlkäufe beläuft sich auf 70 Milliarden Euro, so das Ergebnis seiner Untersuchung.

Die besten Geschenke kann man nicht kaufen

Wer am eigentlichen Höhepunkt des Wahnsinns, wie der Publizist Sebastian Haffner den Vormittag des 24. Dezember beschreibt, immer noch nichts in den Händen hält, solle sich keine Sorgen machen. Denn, so tröstet Geschenkexperte Friedrich Rost, es gebe auch Geschenke, die man gar nicht kaufen kann. Man solle einfach mal Zeit verschenken und dem anderen gut zuhören.

Autor: Christoph Richter

Redaktion: Sabine Oelze