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Lust und Frust

Armin Himmelrath30. April 2013

Sie berichten von wilden Pubertierenden im Klassenzimmer oder wie sie den Schulstress bewältigen: Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer bloggen über ihren Berufsalltag - und stoßen damit auf großes Leserinteresse.

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Buchstaben-Würfel bilden das Wort 'Blog' auf einer Zeitung (Foto: Fotolia/Claudia Paulussen)
Bild: Fotolia/Claudia Paulussen

Sie nennen sich "Jochen English" oder "Frau Ella", "Frl. Krise" oder "Frau Freitag". Sie alle sind Lehrerinnen und Lehrer und machen ihrer Begeisterung und ihrem Frust über ihren Beruf im Internet Luft: Als Blogger liefern sie Einblicke in den Lehreralltag, erzählen von schwierigen Schülern und von nagenden Selbstzweifeln, von mobbenden Kollegen und penetranten Eltern. Und es sind nicht nur junge Internet-Freaks, die sich da im Netz tummeln, sondern auch ältere Pädagogen, die das öffentliche Erzählen für sich entdeckt haben.

Es ist fast so etwas wie eine Gegenbewegung: Lehrer hatten in Deutschland lange nicht den allerbesten Ruf. Weil noch immer etliche Schulen nur halbtags unterrichten, meinen viele Leute, Lehrer hätten ein leichtes Berufsleben. Gleichzeitig sollen die Pädagogen immer öfter Erziehungsaufgaben übernehmen, die in den Familien nicht mehr erfüllt werden. Darüber stöhnen viele Lehrer, und solche Themen stehen auch in den Blogs häufig im Mittelpunkt.

Unter Pseudonym lässt sich freier schreiben

Angesichts der Erfolge dieser Blogs – manche Autorinnen haben mehr als 1000 Leser pro Tag – könnte man fast schon überlegen, ob das Bloggen nicht zum Ausbildungsstandard für angehende Lehrerinnen und Lehrer gehören sollte: Fachwissen, Didaktik und Web-Kommunikation als neuer Dreiklang der Lehrerausbildung. "Frl. Krise" zum Beispiel, eine Berliner Lehrerin, heißt in Wirklichkeit natürlich nicht Fräulein Krise, auch nicht "Ghetto-Oma", wie sie von ihren Schülern schon mal liebevoll und gleichzeitig respektlos genannt wird.

Hände auf einer Computer-Tastatur (Foto: Fotolia/Gina Sanders)
Die Anonymität im Internet erlaubt es, auch als Lehrer einfach mal Luft abzulassenBild: Fotolia/Gina Sanders

"Unter Pseudonym kann ich freier schreiben", berichtet Frl. Krise in einem anonymen Interview. Es gebe in ihrem Alltag so viele interessante Geschichten, die sie nicht vergessen will. "Ich möchte auch, dass andere sie lesen. Außerdem reden so viele über die sogenannten Problemschulen, die keine Ahnung haben. Ich habe Ahnung, denn ich unterrichte da." Die Anonymität erlaube es ihr, auch mal Luft abzulassen ohne jedes Mal ihren Schulleiter um Erlaubnis fragen zu müssen.

Schul-Bücher en masse

Seit den Osterferien ist Fräulein Krise nun in Pension, aber sie bloggt weiter und berichtet gerührt vom Klassentreffen, bei dem ehemalige Schüler von ihren Lebenswegen erzählt haben: "'Frl. Krise, Sie haben gesagt, ich schaffe niemals Abi! Aber ich habe es geschafft!' Ying sieht mich triumphierend an. Ich bin beeindruckt." Und als dann noch ein Schüler kommt und von Gedichten schwärmt, die er früher nie gelesen hätte, ist die bloggende Lehrerin endgültig sprachlos.

Buchcover Fral. Krise: Ghetto-Oma. Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel (Copyright: rororo)
Die Ghetto-Oma hat ein Buch über ihren Schulalltag geschrieben

Solche – manchmal zu Herzen gehenden – Geschichten stoßen auf so großes Interesse, dass mittlerweile etliche Bücher mit Geschichten aus dem Schulalltag den Internet-Trend fortsetzen. Da klagen die Autoren über ignorante Kollegen und über Eltern, die ständig mit dem Rechtsanwalt drohen. Oder sie beschäftigen sich ganz ernsthaft mit der Frage, warum in Deutschland so viele Lehrerinnen und Lehrer wegen Burn Out arbeitsunfähig werden und nicht einmal das Rentenalter erreichen.

Ein toter Mathelehrer

Natürlich hat auch "Frl. Krise" ein Buch geschrieben, ihre Kollegin "Frau Freitag" sogar zwei, und zuletzt haben die beiden mitteilungsfreudigen Pädagoginnen zusammen einen Schulkrimi verfasst, der im Mai erscheinen wird. In diesem Krimi kommt Mathematik-Lehrer Altmann an einer Berliner Problemschule auf mysteriöse Weise zu Tode. "Der Altmann ist tot" reiht sich ein in eine ganze Reihe von Büchern zum Schulalltag. "Manchmal schauen Sie so aggro" von Hildegard Monheim gehört genauso dazu wie "Lehrer-Deutsch / Deutsch-Lehrer" von Hans Klaffl oder "Musstu wissen, weißdu!" von Stephan Serin. Auch das kritisch unterhaltsame Buch "Lehrer – Traumberuf oder Horrorjob" von Arne Ulbricht bekam in den Medien viel Zuspruch.

Blutiges Messer (Foto: Fotolia/GrafiStart)
"Der Altmann ist tot" - Wie starb der Mathematik-Lehrer in Frl. Krises Schulkrimi?Bild: Fotolia/GrafiStart

Es scheint, als gehöre der im Internet oder als Buch veröffentlichte staunend-ironische Blick in die Niederungen des Klassenzimmers zum Alltag heutiger Pädagogen. Das ist oft lesenswert und unterhaltsam. Aber wie bei allen Moden stellt sich am Ende doch die Frage: Was kommt als nächstes? Der Schuldirektoren-Blog? Oder die bloggende Bildungsministerin, unter Pseudonym natürlich ("Frau Dr. Winki")? Auch andere Berufe könnten noch von der Mitteilungsfreude der Lehrerblogs lernen – vielleicht Krankenschwestern mit Berichten direkt von der Intensivstation oder Richter, die live aus der Verhandlung twittern ...