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"Ich sehe was, was du nicht siehst"

Silke Ballweg18. November 2002

Mehr als dreißig Jahre lang hat er gesammelt, heute besteht die Sammlung von Werner Nekes aus mehr als 20.000 Objekten. Wer glaubt, zu wissen, wie wir sehen, kann hier viel Neues lernen.

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Längst überholt: Filmprojektor aus dem Jahr 1957Bild: presse

Vor mehr als zweitausend Jahren erfanden die Chinesen das erste Fernsehen. Sie warfen einfach die Schatten gebastelter Figuren, die mit Holzstäben bewegt wurden, an die Wand. Während die Schatten miteinander agierten, sprachen Schauspieler die Dialoge aus dem Off. An besonders dramatischen oder gefühlvollen Stellen wurde musiziert. Die Zuschauer müssen sich so gefühlt haben, wie wir es heute im Kino tun: entrückt.

Schon immer spielten Künstler und Wissenschaftler mit der Wahrnehmung des Menschen. Zu diesem Thema läuft derzeit eine Ausstellung im Kölner Museum Ludwig. Unter dem Titel "Ich sehe was, was du nicht siehst" werden Sehmaschinen vorgestellt. Die Apparate zeigen die Weiterentwicklung der menschlichen Kenntnis über optische Phänomene und liefern quasi eine Geschichte der visuellen Medien. Gepflastert ist dieser historische Weg mit vielen kleinen Experimenten. Auch von denen gibt es einige in Köln zu sehen.

Ausstellung Ich sehe was, was du nicht siehst! Werner Nekes
Anamorphosen: erst in der Spiegelung wird's deutlichBild: presse

Zerrbilder

Solche Experimente sind zum Beispiel Anamorphosen. Das sind Zeichnungen, die überhaupt keinen Sinn machen, wenn man sie mit bloßem Auge betrachtet. Denn ihre Wirkung entfalten sie erst durch das passende optische Hilfsmittel, beispielsweise mit einem spiegelnden Kegel, der auf die Mitte der Zeichnung gestellt wird. Erst in der Spiegelung gibt die Zeichnung ihre wahre Gestalt preis: Aus den fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Bildern auf dem Papier wird im Kegel so die Darstellung eines verliebten Pärchens sichtbar.

Das Thema der Kölner Ausstellung scheint schwierig und trocken. Doch den Ausstellungsmachern gelingt es, eine Verbindung von abstrakter Wissenschaft und alltäglicher Umsetzung herzustellen. Denn ähnlich wie heute, wurden auch in der Vergangenheit die neuesten Erfindungen schnell für den Alltag aufbereitet und unter das Volk gebracht.

Durch zwei Löcher in die Welt

Das kann man an den Guckkästen erkennen: durch zwei Öffnungen kann der Betrachter in einen Holzkasten und darin auf eine fremde Welt schauen. Auf Landschaften, das Schloss Versailles oder Stadtansichten, die Ansichten dieser Orte stehen vor einer Lichtquelle. Werden mehrere dieser Bilder (meist sind es Kupferstiche) leicht versetzt hintereinander angeordnet, ergibt sich eine erstaunlich realistische, räumliche Wirkung.

Der Renner im 18. Jahrhundert

Die Guckkästen sind die Vorfahren unserer Dia-Projektoren. Im 18. Jahrhundert waren sie die Kassenschlager auf den Jahrmärkten. Doch nicht nur dort waren sie populär. Auch der Landadel freute sich an den Eindrücken von fernen Orten. In seinem Roman "Wahlverwandtschaften" beschrieb Goethe die Wirkung des neuen Mediums auf die Betrachter so: "Sie freuten sich, hier in ihrer Einsamkeit die Welt so bequem zu durchreisen, Ufer und Häfen, Berge, Seen und Flüsse, Städte, Kastelle und manches andre Lokal, das in der Geschichte einen Namen hat, vor sich vorbeiziehen zu sehen." Zum ersten Mal kam die Welt zu den Menschen nach Hause - und das im 3D-Effekt!

Die erstaunliche Sammlung, von der in Köln rund eintausend Objekte präsentiert werden, hat der Filmemacher Werner Nekes zusammengetragen. Seit dreißig Jahren sammelt er Schriften, Zeichnungen, Filmmaterial und Objekte. Nekes, der unter anderem an Ausstellungen in Budapest, Tokio oder am Getty Center in Los Angeles beteiligt war, freut sich immer wieder, wenn neue Ausstellungen mit seinen Objekten konzipiert werden. Nur eines fiele ihm schwer, gibt er im Gespräch mit DW-WORLD zu: "Es gibt halt so vieles Interessantes zu dem Thema", sagt er mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht. "Und immer ringe ich mit den Kuratoren, weil ich noch mehr zeigen möchte, als in die Ausstellungsräume reinpasst."

Die Ausstellung "Ich sehe was, was du nicht siehst" ist noch bis zum 5. Januar 2003 im Museum Ludwig in Köln zu sehen. Begleitend zur Ausstellung ist ein reich bebilderter Katalog erschienen.