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"Sauberer Sport ist eine Illusion"

26. Juni 2009

Hans-Michael Holczer ist ein Kenner der Radsport-Szene. Zehn Jahre lang führte er das inzwischen aufgelöste Team Gerolsteiner. Der Tour de France sieht Holczer gegenüber DW-WORLD.DE mit gemischten Gefühlen entgegen.

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Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer lächelt. Foto: AP
Bild: AP

Der ehemalige Lehrer aus Herrenberg nahe Stuttgart machte sich als Chef des Radteams Gerolsteiner zum Fürsprecher eines entschiedenen Kampfes gegen Doping. Als die Topfahrer der Mannschaft, Stefan Schumacher und Bernhard Kohl, des Blutdopings überführt wurden, warf Holczer das Handtuch. Bei der diesjährigen Tour de France begleitet er Prominente, die von einem Autokonzern eingeladen werden.

DW-WORLD.DE: Hans-Michael Holczer, mit welchen Gefühlen werden Sie in diesem Jahr die Tour de France ansehen?

Hans-Michael Holczer: Ich denke, es wird ein eigenartiges Gefühl. Ich war seit Herbst letzten Jahres, als ich bei der Weltmeisterschaft deutscher Teamchef war, bei keinem Radrennen mehr. Das erste wird der Tour de France-Auftakt in Monte Carlo sein. Ich sehe dem Ganzen schon ein Stück weit mit gemischten Gefühlen entgegen. Aber das ist mein Job und den mache ich natürlich gerne.

Was halten Sie davon , dass bei der diesjährigen Tour de France auch wieder Fahrer dabei sein werden, die zumindest unter Dopingverdacht stehen, zum Beispiel Andreas Klöden oder Alberto Contador?

Ich will mich jetzt nicht auf irgendwelche Namen beziehen. Aber es ist sicherlich ein Problem des Radsports, dass es ihm über Jahre hinweg nicht gelingt, sich von solchen Verdächtigungen zu befreien. Wenn man die juristische Situation betrachtet, ist es aber auch nicht ganz so leicht - wie es von außen vielleicht erscheinen mag -, in der einen oder anderen Situation darauf zu reagieren. Das habe ich übrigens im vergangenen Jahr durchaus am eigenen Leib gemerkt.

Davide Rebellin im Sprint des olympischen Straßenradrennens in Peking. Foto: AP
Davide Rebellin: Gelebt wie ein Mönch?Bild: AP

Sie haben damals gesagt: "Ich bin mit meinem Konzept gescheitert." Ihre Top-Fahrer Bernhard Kohl, Stefan Schumacher, Davide Rebellin - alle des Dopings überführt. Wie sind Sie damit klar gekommen, wie kommen Sie jetzt damit klar? Das war ja irgendwo Ihr Lebenswerk.

Das größte Problem war für mich Davide Rebellin, weil ich an ihn zumindest noch ein Stück weit geglaubt habe, mehr vielleicht als an viele andere. Das war ein absoluter Ausnahmeathlet. Der hat gelebt wie ein Mönch. Ich habe nie gesehen, dass er ein Hörnchen gegessen hätte. Einen Kaffee hat er nur vor dem Rennen getrunken, damit das Coffein seine Wirkung entfaltet. Bei jedem Siegersekt hat er die Lippen zusammen gekniffen und sich dann die Tropfen abgewischt. Wenn Rebellin Cera (Anm. Blutdopingpräparat) nehmen muss, um vorne mit dabei zu sein, dann ist der Rückschluss auf das, was man tun muss, um im Radsport Erfolg zu haben, für mich grausam. Da ist für mich etwas zusammengebrochen. Und im Nachhinein habe ich auch erkennen müssen, dass ich mich selber überschätzt habe. Ich habe die Herausforderung angenommen. Ich habe gewusst, dass ich mich hier in einem schwierigen Umfeld befinde und habe voller Selbstbewusstsein gesagt: Das müsst ihr mit mir erst einmal machen. Böse gesagt muss ich einräumen: Sie haben es mir gezeigt.

Die mit den Radar-Warnern machen das gute Geschäft

Stefan Schumacher lächelnd im Gelben Trikot der Tour de France 2008. Foto: AP
Stefan Schumacher: Erst in Gelb, dann erwischtBild: AP

Glauben Sie im Rückblick, dass Sie vielleicht auch ein bisschen naiv an die Sache herangegangen sind?

Naivität liegt dann vor, wenn jeder, der heute über Sport berichtet oder sich Sport anschaut, das glaubt, was er sieht. So naiv war ich mit Sicherheit auch. Ich habe gedacht, ich habe es mit ein paar Spitzbuben oder auch mit Gaunern mit einem schwierigen Umfeld zu tun. Ich habe aber die kriminelle Energie des Umfelds deutlich unterschätzt. Das war sicherlich ein Fehler. Naiv war ich aber mit Sicherheit nicht. Was ich an Hürden gegen Manipulation aufgebaut habe, hat dazu geführt, dass diese Leute wiederum größere, perfektere und ausgeklügeltere Wege um mich herum geschaffen haben. Das ist wie bei Radarkontrollen: Ein gutes Geschäft macht der mit den Radar-Warnern. Das hat nichts mit Naivität zu tun, sondern das ist - leider Gottes - knallharte Lebensrealität.

Bernhard Kohl, lächelnd mit Gerolsteiner-Käppi. Foto: AP
Bernhard Kohl: Platz drei bei der Tour 2008, gedoptBild: AP

Glauben Sie an die Selbstreinigungskraft des Profiradsports oder haben Sie den Glauben daran auch verloren?

Ich glaube nicht an die Selbstreinigungskraft des Sports. Da ist der Radsport nur der Prügelknabe. Da bin ich mir mittlerweile ganz sicher. Aber ich glaube, wir müssen uns irgendwann von dem Gedanken verabschieden, dass wir den Sport so weit kontrollieren können, dass man ihn als sauber bezeichnen kann. Das ist, glaube ich, nicht möglich. Da geben wir uns in jeder Sportart einer Illusion hin. Es wird eine der größten Herausforderungen des Sports in den nächsten zehn Jahren sein, dieses Kulturgut eines fairen und sauberen Sports in einem gewissen Maß zu erhalten und zurück zu erlangen. Und Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Ich sage bewusst: der Sport und nicht der Radsport.

Eindruck einer Realsatire

Lance Armstrong auf dem Rad vor dem Petersdom, beim Giro d´Italia 2009. Foto: AP
Lance Armstrong: Nach dem Giro d´Italia jetzt die TourBild: AP

Trägt es denn zur Glaubwürdigkeit bei, dass Lance Armstrong bei der Tour de France startet?

Ich will mich jetzt hier nicht über einzelne Personen äußern. Aber vieles, was man sieht, was passiert, was ich erlebe und wovon ich auch die eine oder andere Hintergrundinformation zu haben glaube, macht auf mich den Eindruck einer Realsatire. Und das ist nicht bezogen auf Lance Armstrong, sondern auf viele andere Dinge.

Klammern Sie mittlerweile den Profibereich aus, wenn Sie die Faszination des Radsports vermitteln wollen?

Der Profiradsport lässt sich nicht ausklammern. Ich mache im Moment die Erfahrung, dass viele, die von diesem Sport fasziniert sind, es einfach billigend in Kauf nehmen, dass die Tour de France hier und da - zum größeren oder kleineren Teil - manipuliert ist und dass man sich darum immer weniger schert. Ich will dies nicht kommentieren, ich beobachte es einfach. Die Faszination scheint ungebrochen zu sein.

Können Sie sich denn eine Rückkehr in den Profiradsport vorstellen?

Meine derzeitige Situation ist eher so, dass ich mir das nicht vorstellen kann. Mein ungeheures Dilemma ist, dass ich mir auf der einen Seite in diesen zehn Jahren die Fähigkeiten erworben habe, Profiteams zu führen. Auf der anderen Seite habe ich aber auch persönliche Erfahrungen gemacht. Und so wie der Sport momentan strukturiert ist und ausgeübt wird, habe ich das Loch für mich noch nicht gefunden, durch das ich schlüpfen könnte, um da wieder einzusteigen.

Das Interview führte Stefan Nestler.

Redaktion: Arnulf Boettcher