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Im Clinch mit Brüssel

Gerda Meuer, Brüssel30. April 2002

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist am Montagabend (29.4.) nach Brüssel gereist. Der Kanzler wollte die deutsche Industriepolitik gegen Einmischungen der Brüsseler Bürokratie verteidigen. Eine Analyse der Hintergründe.

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Der Kanzler als Anwalt der WirtschaftBild: AP

Der Kanzler ist sauer über verschiedene politische Entscheidungen, die in Brüssel getroffen wurden. Im Kern geht es Schröder um drei wichtige Problemfälle.

Problemfall I: Die Chemieindustrie

Der Hauptsitz von BASF in Ludwigshafen
Der Hauptsitz von BASF in LudwigshafenBild: AP

Die schwedische Umweltkommissarin Wallström hat vor kurzem ein Weißbuch zur zukünftigen europäischen Chemieindustrie vorgelegt. Darin will sie eine vollständige Registrierungspflicht für alle bekannten 30 000 chemischen Stoffe und ihre Ableitungen verbindlich festlegen, damit mögliche Gefahren rechtzeitig und umfassend erkannt werden können.

Diese zusätzliche Registrierungspflicht trifft dabei in erster Linie Deutschland, das weltweit eine führende Rolle in der Chemieindustrie spielt. Hier geht es um bis zu 100 000 Arbeitsplätze. Schröder weiß natürlich, dass Umweltauflagen in der Industrie grundsätzlich nicht gerne gesehen werden -auch, weil sie viel Geld kosten - in den vorliegenden Kommissionsbeschlüssen aber sieht er einen gravierenden Eingriff, der über das Maß des Erträglichen hinausgeht.

Problemfall II: Die sogenannte "Übernahmerichtlinie"

Autoproduktion bei der VW in Wolfsburg
Autoproduktion bei der VW in WolfsburgBild: AP

Hier geht es um die Vorstellung des niederländischen Binnenmarktkommissars Bolkenstein, Fusionen und Übernahmen nur nach liberalen Regeln ablaufen zu lassen. Im Klartext: es soll weder - wie in Frankreich - so genannte goldene Aktien des Staates geben noch Sperrminoritäten wie bei VW. Darüber hinaus sollen die Aktionäre und nicht die Vorstände über das Ja oder das Nein entscheiden. Der "Autokanzler" Schröder befürchtet nämlich, dass VW geschluckt werden könnte - ein ebenso produktives und gewinnorientiertes wie an der Börse zu niedrig bewertetes Unternehmen.

Problemfall III: Die "Gruppenfreistellungsverordnung"

Bis jetzt konnte die Automobilindustrie ihr Verkaufs-, Service- und Wartungsnetz monopolistisch selbst organisieren. Das soll im Oktober dieses Jahres beendet werden. Stattdessen soll Wettbewerb herrschen. Brüssel geht davon aus, dass Autos dann in Europa billiger werden. Schröder aber glaubt eher an ein großes Sterben des Mittelstands - und ist inzwischen vehement dagegen, hier mehr Wettbewerb zuzulassen.

Deutschland in Brüssel unterrepräsentiert?

Paris Eifelturm
Bild: Illuscope

Fairerweise muss man feststellen: Deutschland trägt nicht als einziges Land seine Bedenken vor. Auch alle anderen EU-Staaten, intervenieren massiv, wenn es bei ihnen an national Eingemachte geht. Dem Kanzler dämmert inzwischen eins: Die Deutschen sind in Brüssel nicht genug stark vertreten. In allen wichtigen Ebenen der Kommission ist der Einfluss der Engländer und Franzosen sehr viel stärker.

Und: Diese Beamten verstehen sich als Vertreter ihrer Heimatländer, senden Warnsignale schon ganz früh in ihre Hauptstädte, so dass man in London oder Paris elegant und still manches Thema erledigt, bevor es zu einem Problem wird. Die deutschen Beamten dagegen sehen sich häufig in erster Linie als Europäer und erst dann als Deutsche. Die Folge: Sie sind wenig in die Überlegungen in Berlin eingebunden. Und so kommt es dann meistens spät und dann umso spektakulärer zum Konflikt zwischen Brüssel und Berlin.