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Im "Dampfkessel Gottes"

Kay-Alexander Scholz10. Januar 2003

Beim derzeitigen Mystery-Boom fällt die britisch-irische Produktion "Die unbarmherzigen Schwestern" besonders auf. Erzählt werden wahre Geschichten, die man kaum glauben mag.

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Das Kloster als GefängnisBild: Presse

Vier junge Frauen stehen im Mittelpunkt der Handlung. Dublin 1964. Der Film beginnt mit der nüchternen Einblendung eines Namens: Margaret. Danach findet man sich auf einer traditionell irischen Hochzeitsfeier wieder. Bilder von tanzenden Mädchen und trinkenden Männern. Eine von ihnen (Margaret, gespielt von Anne-Marie Duff) folgt ihrem Cousin in eine Dachkammer. Dort wird sie vergewaltigt. Zitternd wagt sie sich wieder zurück in den Kreis der Familie. Sie flüstert einer anderen das Verbrechen ins Ohr, die das Geheimnis nicht für sich behalten kann.

Das Unheil nimmt seinen Lauf. Von Ohr zu Ohr. Auch der Priester erfährt es. Spätestens an dieser Stelle begreift man als Zuschauer, wer bestraft werden wird und erstarrt für einen Moment im Kinosessel. Am Morgen danach wird Margaret unter Tränen regelrecht abtransportiert.

Gefallene Frauen?

Nächster Name, nächste Geschichte von "Sünde" und "Schande". Das Waisenkind Bernadette (Nora-Lane Noone) ist zu kokett mit den Jungs. Rose (Dorothy Duffy) hat ein uneheliches Kind zur Welt gebracht, wie auch die etwas einfältige Crispina (Eileen Walsh). Es folgt eine Liste mit hunderten Namen.

Die Magdalenen-Heime wurden um 1840 als Zuflucht für "gefallene Frauen" gegründet. Namensgeberin war Maria Magdalena, eine biblische Prostituierte, die vor Jesus ihre Sünden bereute und ihm die Füße waschen durfte. Anfang des 20. Jahrhunderts übernahmen die katholische Kirche und die Nonnen "Sisters of Mercy" das Regiment. Die Mädchen wuschen die Wäsche für Hotels, Universitäten und anderen Institutionen – mit der Hand. Das war Knochenarbeit im "Dampfkessel Gottes". Lohn gab es keinen, die Gewinne flossen in die Kirchenkasse.

Erst als Waschmaschinen in die zivilen Haushalte Einzug hielten, wurden die Magdalenen-Heime geschlossen, das letzte erst 1996.

Mittelalterliche Gefängnisse

Bis zu 30.000 Mädchen wurden in diesen Arbeitslagern von ihren "Sünden" befreit. Braune Uniformen, Holzpritschen als Betten, Brei als Essen, ständige Gebete, kein Kontakt nach draußen, kein Privatleben. In einer Szene stehen die nackten Mädchen vor Angst und Kälte bibbernd in Reih und Glied vor den Nonnen, die sich einen Spaß daraus machen, über die dicksten Brüste zu urteilen - Sadismus pur.

Film: Die unbarmherzigen Schwestern
Filmszene "Die unbarmherzigen Schwestern"Bild: Presse

Der schottische Regisseur Peter Mullan stellt die Heime als Orte dar, in denen in jeder Ecke Repressionen und Gewalt lauern. Wer ungehorsam ist, bekommt Peitschenhiebe von der Oberin (Geraldine McEwan). Fluchtversuche enden mit einer Glatze und blauen Flecken. Angst ist eines der beherrschenden Gefühle beim Zuschauen und Kopfschütteln angesichts der Tabuisierung.

Preisgekrönte Kritik

Als der Film im Herbst 2002 in Venedig gezeigt wurde, applaudierten die Zuschauer, nachdem sich Bernadette und Rose gewaltsam den Weg nach draußen bahnen. Die Kritiker sprachen dem Meisterwerk den Goldenen Löwen zu.

Mullan allerdings wurde vom Vatikan stark kritisiert, der Film sei Propaganda, eine "schlecht gelungene Karikatur" und "wütende rachsüchtige Provokation" so die Vatikanzeitung "L'Osservatore Romano". Der Regisseur arbeite mit Verallgemeinerungen und Typisierungen. Das sei keine ernst zu nehmende Kritik an der Kirche. Mullan reagierte mit scharfen Worten: "Die Priester, die jetzt Skandal rufen, haben recht. Aber skandalös ist nicht mein Film, skandalös ist, was die Kirche in Irland getan hat. Ich erhebe meine Stimme gegen alle, die den Frauen die Freiheit nehmen – Taliban inklusive."

Vergangenheitsbewältigung tut Not

Mullan hatte das Thema u.a. durch die Channel-4-Dokumentation "Sex in a Cold Climate" für sich entdeckt. Patricia Burke Brogan hatte 1992 mit ihrem Theaterstück "Eclipsed" erstmals die Medienöffentlichkeit über dieses tot geschwiegene Thema informiert. Brogan arbeitete selbst in einem der Heime und wollte das Stigma durchbrechen, das die Ex-Magdalenen-Frauen umgab.

Film: Die unbarmherzigen Schwestern
Filmszene "Die unbarmherzigen Schwestern"Bild: Presse

In Irland wurde der Film zum Hit des Jahres 2002 und konnte selbst "Harry Potter" und "Den Herrn der Ringe" überholen. Bis zum heutigen Tag hat sich die katholische Kirche in Irland nicht offiziell bei früheren Magdalenen-Frauen entschuldigt oder eine Entschädigung angeboten.