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Gesellschaft

Im Frauenhaus endlich ruhig schlafen

Stefanie Zobl
1. November 2016

Schläge, Tritte oder Psychoterror - wenn die Gewalt zu Hause unerträglich wird, flüchten deutschlandweit seit 40 Jahren Tausende Frauen in ein Frauenhaus. Viele müssen wegen Platzmangels abgewiesen werden.

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Deutschland Frauenhaus in Berlin im Jahr 1976
Das erste Frauenhaus wurde 1976 in Berlin eröffnetBild: picture-alliance/C. Hoffmann

Ein unauffälliges Mehrfamilienhaus in einer ruhigen Berliner Wohngegend: Nichts lässt darauf schließen, dass es sich hierbei um ein Frauenhaus handelt. Hier ist Melissa L. (Name geändert) untergekommen, nach einer wahren Odyssee. Ihre Geschichte erzählt stellvertretend die Frauenhaus-Mitarbeiterin Heike Ritterbusch: Monatelang war Melissa L. vor ihrem gewalttätigen Mann auf der Flucht. Aus ihrem Heimatland, das nicht genannt werden soll, um L.s Identität nicht aufzudecken, kam sie über Großbritannien, Spanien, Frankreich und Italien nach Deutschland. Überall gelang es ihrem Mann, sie aufzuspüren, der Teufelskreis der Gewalt setzte sich fort. Hier im Frauenhaus in Berlin sind sie und ihre kleine Tochter endlich sicher. "Melissa L. geht es sehr schlecht, körperlich und psychisch", erklärt Heike Ritterbusch. 

Die Adresse des Frauenhauses hält der betreibende Verein "Cocon" geheim. Meldet sich eine Frau, die Schutz sucht, wird sie zuerst an einen neutralen Treffpunkt gelotst, von dort abgeholt und hierher gebracht. Die Frauen, die hier unterkommen, waren oft Monate oder sogar Jahre lang Schlägen oder psychischem Missbrauch ausgesetzt, meist von Männern aus ihrem engeren Umfeld. Durch die Anonymität des Ortes kann ihnen der Schutz vor ihren Peinigern gewährleistet werden, den sie brauchen. Anderen nahe stehenden Personen sollen sie deshalb auch nicht sagen, wo sie sich aufhalten. Wird die Anonymität trotz aller Vorsichtsmaßnahmen verletzt, müssen die Frauen in eine andere Einrichtung.

Frauenhaus - Notausgang für Opfer häuslicher Gewalt
Seit 40 Jahren bieten in Deutschland Frauenhäuser Schutz und HilfeBild: picture-alliance/dpa

Eine einschneidende Einscheidung

Melissa L. bewohnt eines der kleinen, einfach ausgestatteten Zimmer mit Betten, Schrank, Kommode, Tisch. Badezimmer und Küche teilen sich die Frauen gemeinschaftlich. 53 Frauen und Kinder können gleichzeitig im Cocon-Frauenhaus unterkommen. 250 Frauen und Kinder werden jährlich dort aufgenommen. Die meisten bleiben zwischen einem Tag und drei Monaten. Dann gehen sie entweder nach Hause zurück, weil sie sich noch nicht bereit fühlen, den großen Schritt in ein neues Leben zu machen, oder haben es geschafft, sich mit Unterstützung und Beratung der 15 Frauenhaus-Mitarbeiterinnen eine neue, eigenständige Existenz aufzubauen.

Seit 40 Jahren gibt es nun Frauenhäuser in Deutschland: Das erste wurde am 1. November 1976 in Berlin in einer Villa am Wannsee eröffnet, wenige Wochen später folgte Köln. Aktivistinnen der autonomen Frauenbewegung hatten sich dafür eingesetzt. Um die Finanzierung mussten sie hart kämpfen. Viele der Frauenhäuser, die dann in weiteren Städten der Bundesrepublik gegründet wurden, seien sogar ohne Finanzierung gestartet, teils in besetzten Gebäuden, erzählt Stefanie Föhring von der Zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser ZIF. Von Seiten der Stadtverwaltungen habe es massiven Widerstand gegeben, denn das Problem der häuslichen Gewalt gegen Frauen habe für sie nicht existiert. So sei es in der Anfangsphase eine der Hauptaufgaben der Feministinnen gewesen, auf das Problem aufmerksam zu machen.

Frauenhaus - Notausgang für Opfer häuslicher Gewalt
Einfache Räume bieten Zuflucht für eine Nacht oder mehrere MonateBild: picture-alliance/dpa

Der Kampf um Anerkennung geht weiter

Auch 40 Jahre später müssen die beiden Dachverbände ZIF und Frauenhauskoordinierung, wo die Frauenhäuser der Wohlfahrtsverbände vereint sind, noch immer viel Lobby-Arbeit leisten. Nach wie vor gestaltet sich die Finanzierung schwierig. Nur Schleswig-Holstein hat ein Gesetz dafür, in allen anderen Bundesländern unterscheiden sich die Regelungen von Kommune zu Kommune. Grundsätzlich sind die deutschlandweit 352 Frauenhäuser unterfinanziert, die dort beschäftigten Fachkräfte arbeiten unter Tarif.

Zudem ist häusliche Gewalt nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu. Laut einer Studie der EU-Kommission ist in Europa jede dritte Frau zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen, in Deutschland ist es jede vierte. 42 Prozent der Betroffenen erleiden Verletzungen, die medizinisch dokumentiert werden. Bis zu 20.000 Frauen kommen bundesweit jährlich in Frauenhäusern unter. In etwa die gleiche Menge an Frauen bekommt aufgrund zu geringer Kapazitäten keinen Platz. Die Dunkelziffer für von Gewalt betroffener Frauen ist groß.

Hilfe zur Selbsthilfe

Die EU-Kommission empfiehlt deshalb einen Frauenhausplatz auf je 7500 Einwohnerinnen. Innerhalb Deutschlands erreicht nur Bremen diese Quote, innerhalb Europas sind die Unterschiede noch eklatanter: Auf dem Balkan gibt es nur wenige Frauenhäuser. Die Niederlande sind dagegen sehr gut aufgestellt, mit hohen Sicherheitsstandards in den Häusern.

Heike Ritterbusch stellv. Frauenhausleiterin
Arbeitet im Berliner Frauenhaus "Cocon": Heike RitterbuschBild: Privat

Die Frauen, die sich in Deutschland an Frauenhäuser wenden, haben laut Heike Herold, der Geschäftsführerin des Dachverbandes Frauenhauskoordinierung, wenig Ressourcen, selber Wege aus der Gewaltsituation zu finden. Rund zwei Drittel haben einen Migrationshintergrund, einige brauchen Dolmetscher, um sich zu verständigen. Dazu gehört auch Melissa L. Dennoch steht sie kurz davor, aus der Einrichtung auszuziehen, in eine eigene Wohnung. Ein Jahr lang hat sie im Cocon-Frauenhaus gelebt. Sie sei immer noch sehr angeschlagen von den vorausgegangenen Erlebnissen, erzählt Heike Ritterbusch, fühle sich nun aber bereit, sich auf die eigenen Beine zu stellen.