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Im Gespräch: Der Nobelpreisträger für Medizin Erwin Neher

10. Oktober 2011

"Netzwerke sind für die Forschung wichtig, weil wir praktisch alle an einer Aufgabe arbeiten. Man kann nur versuchen dem gesammelten Wissen ein Steinchen hinzuzufügen."

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Bild: picture-alliance/dpa

DW-TV: Herr Professor Neher, wer heute in der westlichen Welt geboren wird, hat gute Chancen 100 Jahre alt zu werden. Welche Herausforderung bringt denn das für die Medizinforschung mit sich?

Erwin Neher: Ein hohes Alter ist natürlich wünschenswert, aber eigentlich ist der Mensch nicht dazu gebaut, so alt zu werden. Unsere Vorfahren wurden teilweise nur 40, 50, 60 Jahre. Und die Medizin steht natürlich vor den Herausforderungen, dass einmal im Alter verschiedene Krankheiten zum Beispiel Krebs, degenerative Erscheinungen immer häufiger werden und sie muss halt gewährleisten, dass die zusätzlichen Jahre für den Einzelnen ein Gewinn sind und nicht durch diese ganzen biologischen Probleme sozusagen in Frage gestellt werden.

DW-TV: Kann die Forschung das wirklich leisten?

Erwin Neher: Nun ja, die Forschung ist dabei für viele Dinge Lösungen zu finden, für viele Dinge Verbesserungen zu finden. Natürlich sind die zwei großen Probleme Krebs und neurodegenerative Erkrankungen. Ich bin kein Spezialist auf dem Gebiet. Wenn ich sehe, was Kollegen machen, bin ich doch recht zuversichtlich, dass auf allen diesen Gebieten Fortschritte zu erwarten sind.

DW-TV: In welchen Bereich erwarten sie den Durchbruch in der medizinischen Forschung in den nächsten Jahren? Was glauben sie wo wird was passieren?

Erwin Neher: Ich glaube, dass offensichtlich werden wird, dass Krebs zum Beispiel ein sehr vielfältiges Leiden ist. Man kann nicht von dem Krebs sprechen oder auch nicht von dem Prostatakrebs, sondern praktisch jeder Krebs in jeder Person hat seine Individualität. Und die neuen Methoden oder Analysen ermöglichen doch, dass sehr viel stärker zu differenzieren und dann Therapien zu entwickeln, die für einen Krebs einer gewissen Person wirksam sind.

DW-TV: Sie selber haben ja 1991 den Nobelpreis für Medizin bekommen, zusammen mit Bert Sakmann. Können sie in einfachen Worten erklären wofür sie den Nobelpreis bekommen haben?

Erwin Neher: Wir haben den Preis bekommen für die Entdeckung der sogenannten Ionenkanäle. Ionenkanäle sind Porenartige Moleküle die in den Membranen, also in den Umhüllenden unserer Zellen, zum Beispiel Nervenzellen sitzen und auf bestimmte Reize öffnen und schließen können, sodass Ionenströme, also unserer Körperflüssigkeiten, kaltgeladene Teilchen, Ionen, dass diese zwischen dem Zelläußeren und dem Zellinneren wandern können. Und es hat sich eben herausgestellt, dass diese Ionenkanäle eine größe Zahl von Funktionen übernehmen, in allen möglichen Geweben. Nicht nur Transport, also in der Niere zum Beispiel sind sie wichtig für den Flüssigkeitstransport, aber in den meisten Zelltypen sind sie wichtig als Signalträger, um sozusagen zwischen dem Zellaußenraum und dem Zellinnenraum Signale zu transportieren.

DW-TV: Das heißt, mit dieser Erkenntnis, die sie dann gewonnen haben kann man auch Krankheiten viel gezielter bekämpfen?

Erwin Neher: Was wir praktisch gemacht haben ist, wir haben eine Methode zur Verfügung gestellt, dass man die Ströme durch diese Kanäle etwa 100 bis 1000 mal besser, empfindlicher messen kann, als das zuvor möglich war. Und dadurch kann man auch die Ströme durch einzelne solcher Poren messen. Also wenn diese An- und Abschalten, wenn die Öffnen und Schließen. Und dann sehen wir schrittartige Änderungen im Strom und die genaue Analyse dieser Ströme ermöglicht eben die Wirkungsweise der Medikamente sehr viel besser zu studieren und auch Ideen zu bekommen um neue Medikamente zu entwickeln.

DW-TV: Ein Leben in Gesundheit wünschen wir uns logischerweise alle. Aber die Herausforderungen in den Entwicklungsländern sind ganz andere als in der westlichen Welt. Wie muss sich die Medizinforschung darauf einstellen?

Erwin Neher: Wir hier, vor allem an diesem Institut sind mit Grundlagenforschung beschäftigt, also mit Gewinnen neuen Wissens, was irgendwann eben auch eingesetzt werden kann zur Lösung angewandter Probleme, zum Beispiel medizinischer Probleme. Und in Entwicklungsländern, nehme ich an, kann man sich oft den Luxus dieser Grundlagenforschung nicht leisten, sondern muss sehr viel mehr auf Lösung der dort anstehenden Probleme, Tropenkrankheiten oder anderer ortspezifischer Probleme um das Wissen was die Wissenschaft im Laufe der letzten 100 Jahre erarbeitet hat, um dies für die speziellen Bedürfnisse dieser Länder einzusetzen, auszunutzen.

DW-TV: Geforscht wird heute auf globaler Ebene. Netzwerke sind ganz wichtig, gerade auch im wissenschaftlichen Bereich. Warum ist das so wichtig?

Erwin Neher: Weil wir praktisch alle an einer Aufgabe arbeiten. Die Aufgabe ist die Lebensprozesse zu verstehen auf der Grundlage physikalisch-chemischer Prozesse. . Man muss einfach auf den Erkenntnissen der Kollegen sowohl früherer Arbeiten, als auch der Arbeiten die im Augenblick ablaufen, auf der Basis dieses Wissens muss man versuchen möglichst ein Steinchen hinzuzufügen.

DW-TV: Die diesjährige Nobelpreisträgertagung in Lindau ist der Medizin gewidmet. 24 Nobelpreisträger werden in Lindau am Bodensee sein, sie auch. Darunter aber auch viele 100 Nachwuchswissenschaftler. Warum sind diese Treffen so wichtig?

Erwin Neher: Die Tagung hat sich entwickelt. Die war ursprünglich wohl mehr gedacht als ein Treffen unter Nobelpreisträgern um mit wissenschaftlichen Kollegen zu sprechen. In den letzten 10, 20 Jahren ist vor allem der Gesichtspunkt herausgearbeitet worden, dass Nobelpreisträger mit jungen Wissenschaftlern, also Studenten, teilweise auch Schülern reden. Einmal um Interesse an den Naturwissenschaften zu schaffen, um den jungen Leuten ein bisschen beim Start zu helfen, ein paar gute Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Und auch für die Preisträger selber ist es interessant zu hören was junge Leute darüber denken, was geforscht werden soll oder wie man es macht oder was vielleicht anders gemacht werden soll in der Forschung.

DW-TV: Diese Begeisterung für die Wissenschaft, wird die heute auch ausreichend vermittelt. Was meinen sie?

Erwin Neher: Die nachwachsende Generation ist natürlich vielfältigen Ablenkungen ausgesetzt. Internet, Computerspiele, all diese Kommunikation, Fernsehen vor allem. Die nimmt natürlich viel Zeit weg und führt oft dazu, dass die Kinder und Jugendlichen sich nicht mehr mit dem Beschäftigen, was aus ihnen selber kommt. Das Interesse an naturwissenschaftlichen Dingen wird dabei oft überdeckt. Und das hat natürlich dazu geführt, dass einige Zeit lang die Studierendenzahlen in den Naturwissenschaften stark zurück gingen, aber inzwischen gibt es ja eine ganze Menge an Initiativen, die versuchen dieses an sich natürliche Interesse, das Kinder an der Umwelt haben, zu fördern und dann später eben auch das Interesse an der Wissenschaft wach zu halten.

DW-TV: Also zum Schluss unseres Interviews doch noch ein bisschen optimistische Töne, schönen Dank für das Gespräch.

(Interview: Manuela Kasper-Claridge)