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Im Gespräch: Dr. Andreas Bender zum Thema Wachkomapatienten

13. August 2012

Der Neuropsychologe Boris Kotchubey untersuchte mit Hilfe verschiedener Tests die Gehirnaktivität von Wachkomapatienten. Ein Ergebnis: Viele verfügen sehr wohl über Einfühlungsvermögen, die aktive Förderung ihrer Sinneswahrnehmungen ist also wichtig. Im Interview dazu Dr. Andreas Bender, Spezialist für Hirnschädigungen und Chefarzt des Theraphiezentrums Burgau.

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Es gibt Wachkomapatienten, die können zum Beispiel auf Schmerzen reagieren. Hat man jahrzehntelang die Reaktionsfähigkeit von Wachkomapatienten unterschätzt?

Das muss man jetzt wahrscheinlich so sehen. Uns haben viele Jahrzehnte einfach die technischen Methoden gefehlt, um diese Erkenntnisse zu gewinnen, aber ja wahrscheinlich haben wir Wachkomapatienten unterschätzt.


Die Experimente ergeben jedoch auch, dass nur ein Teil der Patienten entsprechende Reaktionen zeigt. Das wirft die Frage auf, wie aussagekräftig diese neuen Untersuchungsmethoden sind.

Es ist richtig, dass bei Kernspin-Untersuchungen immer ungefähr 10 bis 20 Prozent der Patienten Reaktionen zeigen. Das ist ein kleiner Teil, aber von außen betrachtet kann man nicht beurteilen, welcher Teil der Patienten das ist. In der Konsequenz muss man davon ausgehen, dass Wachkoma-Patienten ein basales Reaktionsvermögen und Bewusstsein haben. Was natürlich wichtig für die Pflegenden und die Angehörigen ist.

Trotzdem ist das sehr schwierig zu überprüfen, denn nur im seltensten Fall wacht ein Patient wieder auf und kann von seinen Empfindungen und Gedanken während des Wachkomas berichten. Das ist doch bestimmt ein Schwachpunkt, oder?

Das ist einer der Hauptkritikpunkte bei dieser Art von Studien, denn wir messen tatsächlich mit der Kernspin-Untersuchung nicht das Bewusstsein: Wir messen die Blutflussveränderungen im Gehirn und wissen von gesunden Kontrollpersonen, dass sie dabei an bestimmte Dinge denken. Dann gehen wir im Analogieschluss davon aus, dass die Komapatienten das auch tun


Wie helfen denn nun diese neuen Ergebnisse, eine bessere Therapie für Wachkomapatienten zu entwickeln?

Sie zeigen auf jeden Fall das Potenzial auf, das diese Patienten haben. Bisher ging man davon aus, dass die Patienten nur während einer begrenzten Zeit über ein Rehabilitationspotenzial verfügen. Wir müssen davon ausgehen, dass dieses Potenzial viel länger ist. Und wir wissen, die Patienten reagieren auf emotionale Ansprache, auf Berührung. Das sollten wir uns therapeutisch zu nutzen machen.


Dann stellt sich ja die große Frage: Wie sollten sich Pfleger und Angehörige künftig um diese Patienten kümmern?

Man muss auf jeden Fall den Menschen, der vor einem liegt oder sitzt, im Auge haben. Man muss davon ausgehen, dass er versteht, was man sagt. Er hat Kommunikationskanäle, zum Beispiel über Berührungen, und diese Kanäle sollte man nutzen, um ihn zu stimulieren. Denn die Hoffnung ist, auch bei chronischen Patienten mit kleinen Schritten zu einer Besserung beitragen zu können, damit auch diese Patienten näher zum Bewusstsein kommen.


Sie sind Chefarzt an einem Therapiezentrum in der Nähe von München. Wie ist da Ihr Pflegekonzept? Wie gehen Sie auf diese Patienten ein?

Diese Patienten werden von allen Berufsgruppen gemeinsam versorgt. Es ist nicht so, dass das Pflegepersonal nur die Pflege vollbringt und die Therapeuten nur die Therapie machen: Alle arbeiten zusammen, um die Patienten über möglichst alle Kanäle zu stimulieren. Das reicht von Musiktherapie über medikamentöse Therapieverfahren und Behandlungsverfahren mit Strom bis hin zur klassischen Physiotherapie.


Sie haben jetzt ein Projekt mit 60 Wachkomapatienten gestartet, die Sie langfristig beobachten wollen. Was ist da das Ziel?

Wir möchten wissen, wie sich diese Patienten wirklich erholen können. Denn die Daten, die wir in den Lehrbüchern und älteren Studien finden, sind überholt. Wir müssen davon ausgehen, dass die Prognose der Patienten eigentlich besser ist, als wir es in der Vergangenheit angenommen haben. Das Ziel ist herauszufinden, wie gut sich diese Patienten wirklich erholen können, und zwar auf lange Sicht.

Interview: Maria Grunwald