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Im Gespräch: Technische Hilfe im Ohr - das Cochlea-Implantat

Charlotte Wilczok22. Januar 2012

Zu Gast im Studio ist Prof. Dirk Mürbe, Leiter des Sächsischen Cochlear Implant Centrums.

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Das Ohr ist eines unserer 5 Sinnesorgane, ist es einmal kaputt, kann es nicht repariert werden. ABER, es gibt technische Hilfe: Das sogenannte Cochlea-Implantat. Wichtig dabei ist allerdings, die Hörprothese möglichst früh einzusetzen. Denn das Gehirn kompensiert die Taubheit und entwickelt sich deswegen anders. Je länger man also wartet, desto mehr muß im Kopf umorganisiert werden.

DW-TV: Herr Mürbe, sind denn Cochlear-Patienten eher Kinder oder eher Erwachsene?

Dirk Mürbe: Heutzutage versorgen wir ungefähr ein Drittel unserer kindlichen Patienten mit Cochlea-Implantaten, zwei Drittel sind erwachsene Patienten.

DW-TV: Was ist denn der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen?

Dirk Mürbe: Sie unterscheiden sich in dem Rehabilitationsweg, also dem Wiedererlangen von kommunikativen Fähigkeiten nach der Operation, ganz grundsätzlich. Kinder müssen mit dem Implantat ja Sprachen erst erlernen, während die erwachsenen hörgeschädigten Patienten in der Regel vorab gehört haben und dann zunehmend schwerhörig geworden sind und dann das Implantat brauchen.

DW-TV: Das heißt Sie operieren eigentlich niemanden, der von Geburt an taub ist und der dann erst mit 26, sagen wir mal, so ein Implantat kriegen würde?

Dirk Mürbe: In der Regel nicht.

DW-TV: Wie schwer ist denn festzustellen, wenn ein Kind so ein Implantat bekommt, ob es damit gut oder schlecht sprechen lernt?

Dirk Mürbe: Das ist bei Kindern natürlich ein besonders schwieriger Rehabilitationsprozess, weil sie uns nicht direkt widerspiegeln, wie gut es mit der Sprachentwicklung voran geht. Wir bemühen uns da in einem interdisziplinären Rehabilitationsprogramm, an dem Logopäden, Sprachtherapeuten und Ingenieure beteiligt sind, das Kind über zwei bis drei Jahre zu begleiten und die Grundlagen für den Spracherwerb zu schaffen, das Kind dabei zu unterstützen. Wie gut das funktioniert, ist nicht so einfach zu erfassen, weil es eben sehr schwer direkt messbare Parameter gibt. Aber wir haben eine Forschungskooperation mit dem Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften eröffnet. Und in dieser Kooperation möchten wir gerne ereigniskorrelierte Potenziale - das sind Hirnströme in Reaktion auf Sprachstimuli – messen, um eben diesen frühen Spracherwerb von Kindern dokumentieren zu können und auch herausfinden zu können, welche Kinder kommen sehr schnell im Spracherwerb voran, welche Kinder langsam.

DW-TV: Das heißt, Sie gucken ins Hirn und messen da was ankommt?

Dirk Mürbe: Wir messen auch die Reaktion auf Sprachstimuli, Hirnströme. Und wir können da wiederum sogar feststellen, auf welcher der verschiedenen Sprachebenen (Satzbau, Wortschatz, oder Grammatik – Anm. der Red.) es Probleme gibt.


DW-TV: Also, wenn sie dem Kind sagen „Ente“, dann passiert im Hirn etwas.

Dirk Mürbe: Genau.


DW-TV: Und wenn das Kind dann selber spricht?


Dirk Mürbe: Es geht vor allem Dingen darum, das Sprachverständnis und verschiedene Probleme des Sprachverständnisses, also den Wortschatz oder die Grammatik, durch diese objektiven Messungen zu beschreiben.


DW-TV: Wie sieht es denn aus in anderen Ländern? Sind Cochlea-Implantate weit verbreitet?

Dirk Mürbe: Cochlea-Implantate sind weltweit verfügbar. Aber natürlich ist die Verfügbarkeit abhängig von den finanziellen Ressourcen in den jeweiligen Ländern. Kernpunkt ist hier, dass die Operation allein nicht hinreichend ist, sondern Ziel muss es sein, gerade in Entwicklungsländern, die Rehabilitationsstruktur - also die zwei bis drei Jahre lautsprachliche Entwicklung bei Kindern - zu unterstützen, damit die Kinder sehr gute kommunikative Fähigkeiten erlernen können.


DW-TV: Ein Implantat bleibt ja immer ein technisches Hilfsmittel. Also ein Kind wie Julius, den wir im Film gerade kennengelernt haben, der sollte wahrscheinlich die Gebärdensprache trotzdem lernen, oder? Denn wenn das Implantat mal verloren oder kaputt geht, dann ist er gehörlos.


Dirk Mürbe: Ob die Kinder Gebärdensprache lernen, hängt in der Regel vom familiären Umfeld ab. Wenn das familiäre oder soziale Umfeld gebärdensprachlich ausgerichtet ist, dann ist es unverzichtbar und sehr wichtig, dass die Gebärdensprache mitgelernt wird. Bei Kindern die in einem hörenden Umfeld leben, ist der Bedarf, Gebärdensprache zu lernen, sehr unterschiedlich.


(Interview: Daniela Levy)