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Im Schatten des Nahost-Konflikts

Cornelia Rabitz27. Januar 2004

Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Der Name ist Symbol geworden für das größte Menschheitsverbrechen - auch noch im Jahr 2004.

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Bundesweit gedenkt man am 27. Januar des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden - es gibt Ausstellungen, Kranzniederlegungen, Schulprojekte, politische Gedenkreden und kirchlich geprägte Besinnung. Viel Bewegendes, viel Gutes, viel Notwendiges ist zweifellos dabei.

Mit der Distanz zum historischen Geschehen wächst freilich auch die Notwendigkeit, über das, was sich "Erinnerungspolitik" nennt, neu nachzudenken. Wie sollen Gedenkstätten künftig aussehen, damit sie auch jungen Leuten noch etwas sagen? Welcher Weg führt von der unmittelbaren Betroffenheit - etwa aus der Begegnung mit Zeitzeugen - hinüber zu einer modernen Erinnerungskultur? Wie kann ein Bewusstsein für die Ungeheuerlichkeit des Völkermords an den Juden geschaffen werden, ohne die nunmehr Nachgeborenen mit falschen Schuldzuweisungen oder moralischer Entrüstung zu verprellen? Schwierige Fragen, doch die Beschäftigung mit der Vergangenheit ist eine Zukunftsaufgabe.

Ohnehin scheint der diesjährige Holocaust-Gedenktag weniger von der Geschichte geprägt als von der Gegenwart. 59 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz gibt es Grund zur Sorge. In der Europäischen Union wird eine drastische Zunahme antisemitischer Gewalt beobachtet. Doch es sind nicht allein die anhaltenden Grabschändungen, die Übergriffe auf Juden, die ihren Glauben offen zeigen - es ist vielmehr die fatale Neigung, Juden wieder verantwortlich zu machen für viele Übel dieser Welt. Antisemiten halten sich nicht mehr im Halbschatten der Anonymität auf. Offen bekennt man sich zu Ressentiments und Klischees, schreibt Drohbriefe mit Absender, ruft auf den Straßen Hassparolen.

Dass nun Israel den 27. Januar zum "Tag des Kampfes gegen Antisemitismus" erklärt hat, weist mitten hinein ins Zentrum des Konflikts. Die Judenfeindschaft hat 2004 ein neues Argument gefunden. Es ist die Politik der Regierung Scharon, die den Antisemiten den Stoff zum Zündeln liefert. Die Juden Europas, konfrontiert mit einer steigenden Zahl von Übergriffen - vielfach verübt von jungen Einwanderern aus arabischen Ländern - werden in Haftung genommen für die menschenverachtende und kritikwürdige Besatzungspolitik eines Landes, in dem sie nicht leben.

Der neue Antisemitismus wurzelt im Nahostkonflikt. Er wird geschürt von Fundamentalisten auf beiden Seiten. Er ist gefährlich gegenwärtig geworden.