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Im Sommerloch

Alexander Kudascheff18. August 2004

Die Europazentrale liegt wie jedes Jahr um diese Zeit im Sommerschlaf. Doch das Aufwachen wird anders sein als in der Vergangenheit.

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Alexander Kudascheff

Brüssel ist versunken. Nichts tut sich. Die Kommission - sonst ein Quell unerschöpflicher Aktivitäten - ist kaum besetzt. Gesundheits-Verbraucher-Wettbewerbs-Agrarinitiativen - sie bleiben aus. Die Generaldirektoren - im Urlaub. Die scheidenden Kommissare - im Urlaub. Die Pressesprecher - die meisten im Urlaub. Die anderen: stand by - haben aber nichts zu sagen. Die neuen Kommissare: noch nicht da.

Und der scheidende Kommissionspräsident: Romano Prodi - er ist endlich dort, wo er wahrscheinlich während der letzten fünf Jahre eh am liebsten war: in Italien und bastelt mit pasta e vino an einer neuen, einer italienischen Karriere. Und obwohl die Abschiedsworte für il professore noch gar nicht gesprochen sind, eine wehmütige Träne weint ihm niemand nach - vielleicht seine engsten Mitarbeiter, die jetzt versorgt werden.

Und der Neue? Er ist eine Überraschung. Jose Barroso, der unterschätzte Portugiese. Schon seine ersten Auftritte auf dem immer glatten Brüsseler Parkett zeigten einen rhetorisch erfahrenen Pragmatiker, der fließend in englisch und französisch parlieren konnte - welch ein Unterschied zum rhetorischen Stümper Prodi.

Aber Barroso zeigte noch mehr. Eine Woche vor der Zeit stellte er seine neue Kommission vor - schnörkellos und entschlossen - und überraschte ein Mal mehr. Die Kommission - eine gelungenes Puzzle zwischen den Großen und den Kleinen, den Alten und den Neuen. Von Superkommissaren ist nicht mehr die Rede. Aber die Zielsetzung ist klar: Die Kommission will sich nicht mehr verzetteln, sie will wirtschaftspolitische Akzente setzen, sie will Profil zeigen bei den in ganz Europa nötigen Strukturreformen ( in Deutschland allerdings am meisten).

Das ehrgezige Ziel der Lissabon agenda - der wettbewerbsfähigste und innovativste Wirtschaftsraum der Welt zu werden - es wird noch einmal angepackt - und hoffentlich ohne die Phrasen des Gipfels von Lissabon im Jahre 2000. Damals hat man geschwafelt - statt die Mitgliedsstaaten der EU auf konkrete Maßnahmen zu verpflichten.

Nun aber wird es - potentiell zumindest - ernst. Ob Nellie Kroes-Smit für den Wettbewerb, Dalia Gruybauskaita für den Haushalt, Charlie Mc Creevy für den Binnenmarkt, Stavros Dimas für die Umwelt, Mariann Fischer Broel für die Landwirtschaft - die neuen Kommissare sind Liberale. Sie alle sezen auf weniger Reegelungswut als ihre Vorgänger. Und Günter Verheugen, der neue Industriekommissar, soll als starker Mann vieles koordinieren - wird aber auf mehr als selbstbewusste Mitkommissare treffen.

Da wird Fingerspitzengefühl bei Verheugen erwartet - das er im übrigen hat, wie er in den letzten fünf Jahren bewiesen hat. Vor allem aber wird es auf den neuen Präsidenten ankommen: auf Barroso. Wie führt er seine Mannschaft? Wieviel Freiheit gibt er seinen Kommissaren? Wieviel ist für ihn Chefsache und was nicht? So wie es aussieht, kann man allerdings von einer straffen Amtsführung Barrosos ausgehen.

Und das heißt: Das Sommerloch ist Ruhe vor dem politischen Sturm. Es heißt durchatmen, bevor die neue Kommission ihre Arbeit aufnimmt - allerdings erst im November.