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Imageschaden für die Türkei im Nahen Osten

Thomas Seibert, Istanbul 27. Mai 2014

Ein Jahr nach dem harten Vorgehen gegen die Gezi-Protestbewegung hat die türkische Regierung von Recep Tayyip Erdogan in den Ländern des Nahen Osten an Ansehen verloren, meinen Beobachter.

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Die Sulemanye-Moschee in Istanbul hinter einen modernen Brücke (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Im "Arabischen Frühling" des Jahres 2011, nach dem Sturz despotischer Herrscher in Tunesien und Ägypten, versuchte Erdogans Türkei, sich als Vorbild für die Region ins Gespräch zu bringen. Eine Regierung, die zu ihren islamischen Werten steht, aber gleichzeitig demokratische Wahlen gewinnt und ein Land mit einer erfolgreichen Marktwirtschaft nach westlichem Modell anführt: Das war das Bild, das Erdogan und seine konservativ-islamische AKP-Partei vermitteln wollten. Doch dann, mit dem Beginn der Unruhen rund um den Istanbuler Gezi-Park, flimmerten die Bilder von Wasserwerfern und Tränengas bei Polizeieinsätzen auch in den Ländern des Nahen Ostens über die Fernsehbildschirme.

"Autoritäre Reaktion" auf Gezi

Die Niederschlagung der Massenproteste von 2013 habe dem Image der Türkei schweren Schaden zugefügt, sagt Murat Somer, Politologe an der Istanbuler Koc-Universität. "Für die Bürger im Nahen Osten, die selbst nach mehr Demokratie und Achtung der Menschenrechte streben, waren autoritäre Reaktionen auf Proteste - wie die der AKP-Regierung in der Türkei - nur allzu bekannt aus dem eigenen Land", sagte Somer im DW-Gespräch.

"So hat nicht der Protest an sich, sondern die Reaktion der Regierung auf die Protestbewegung das Image der AKP als Partei zerstört, die muslimisch-konservative und liberal-demokratische Werte miteinander vereint", fügte der Politologe hinzu. Die Erdogan-Regierung habe die Chance verpasst, den Menschen im Nahen Osten vorzuführen, wie in einer echten Demokratie mit außerparlamentarisch vorgetragenen Protesten umgegangen wird.

Porträt des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan (Foto: Reuters)
Politologe: "Erdogans demokratische Legitimation beschädigt"Bild: Reuters

Ernüchterndes Signal für Protestbewegungen in anderen Ländern

Erdogans Reaktion auf die Gezi-Unruhen habe "seine demokratische Legitimation sichtbar beschädigt", sagte auch der Politikwissenschaftler Fethi Acikel von der Universität Ankara. "Das ist für jede Regierung auf der Welt besorgniserregend - oder zumindest sollte es besorgniserregend sein."

Aus der Sicht des Istanbuler Politologen Somer war die Niederschlagung der Gezi-Demonstrationen und das anschließende Ausbleiben politischer Veränderungen in Parteien und Parlament darüber hinaus auch ein ernüchterndes Signal für regierungskritische Bewegungen in anderen Ländern. "Die Gezi-Proteste haben die Grenzen der neuen dezentralisierten Protestbewegungen von der Türkei bis nach Brasilien aufgezeigt, die über keine wirksamen politischen Parteien oder sozialen Bewegungen an der Basis verfügen", sagte Somer.

Türkische "Soft Power" geschwächt

Ein beträchtlicher Teil des Ansehens, das sich die Türkei in den vergangenen Jahren im Nahen Osten erarbeitet hatte, sei wieder verloren gegangen. Der Umgang der Regierung mit den Gezi-Protesten habe die türkische "Soft Power" geschwächt, schrieb Nahost-Experte Tarik Oguzlu in einer Analyse für die Denkfabrik Orsam in Ankara. Als "Soft Power" wird die Fähigkeit eines Staates bezeichnet, durch die Attraktivität seines Systems, seiner Werte und seiner Populärkultur über die eigenen Grenzen hinaus Einfluss auszuüben.

Demonstranten auf dem Taksim-Platz in Istanbul im Juli 2013 werden von Wasserwerfern getroffen (Foto: AFP/Getty Images)
Tausende von Demonstranten haben im Sommer 2013 gegen die türkische Regierung protestiertBild: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

Die "Soft Power" sei für die Türkei in den vergangenen Jahren im Nahen Osten besonders wichtig gewesen - doch das Image des Landes habe wegen der Niederschlagung der Gezi-Proteste gelitten, schrieb Oguzlu. Ob die Türkei trotzdem in Zukunft als "Inspirationsquelle" für den Nahen Osten dienen könne, hänge davon ab, ob sie zu einer wirklich liberalen Demokratie werde.