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Die Wege trennen sich ziemlich oft in Bayreuth

Rick Fulker6. Juli 2016

Andris Nelsons' Kündigung als Dirigent kam sehr kurzfristig - doch, für Bayreuther Verhältnisse, war das nicht ungewöhnlich. Spannungsvolle Besetzungswechsel haben bei den Bayreuther Festspielen Tradition.

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Bayreuther Festspiele 2014 Festspielhaus. (Foto: Tobias Hase/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Nur wenige Tage vor der Premiere der Neuinszenierung übernimmt ein neuer Dirigent die musikalische Leitung von Wagners "Parsifal": Hartmut Haenchen. In einer Erklärung am Dienstag (05.07.2016) machte Katharina Wagner, Leiterin der Bayreuther Festspiele, die Entscheidung für den 73-jährigen Deutschen bekannt: "Ich bin Maestro Haenchen sehr dankbar, dass er sich kurzfristig bereit erklärte, das Dirigat der Neuproduktion zu übernehmen und freue mich auf sein erstes Mitwirken bei den Bayreuther Festspielen."

Haenchen stellt sich keinem leichten Unterfangen, denn "Parsifal", Richard Wagners letztes Werk, das er eigens für sein Festspielhaus komponiert, erfordert gute Kenntnisse der besonderen Aufführungsbedingungen vor Ort. Haenchen stößt zu einem Team, das mit Orchester, Chor, Solisten und Regisseur Uwe Eric Laufenberg seit Anfang Juni dort probt. Ein Team, das von Nelsons' Kündigung am 30. Juni doch stark mitgenommen ist.

Hartmut Hähnchen, Dirigent. (Foto: picture-alliance/dpa/M. Hiekel)
Hartmut Haenchen hat nicht viel Zeit, um in Bayreuth zurechtzukommenBild: picture-alliance/dpa/M. Hiekel

Warum hat Nelsons um Auflösung seines Vertrags gebeten? "Unterschiedliche Auffassungen in verschiedenen Angelegenheiten", so die angegebenen Gründe. Die Wortwahl war so allgemein gehalten, dass sie die Gerüchteküche ordentlich befeuerte.

Haben ihn ungebetene Ratschläge seitens Festspiel-Musikdirektors Christian Thielemann verärgert? Gab es unterschiedliche Auffassungen zwischen Nelsons und der Festspielleitung in Bezug auf Besetzungsfragen? War der junge Maestro, den man als offen und verbindlich, gleichzeitig als sensibel und etwas zurückhaltend beschreibt, von den neulich eingeführten, erhöhten Sicherheitsmaßnahmen im Festspielhaus verstört? Oder kam er mit Laufenbergs Inszenierung nicht klar, in der "Parsifal" im religiösem Kontext gedeutet wird?

Alle Erklärungsversuche wurden dementiert, und sowohl die Festspielleitung als auch der Dirigent haben sich an den Vorsatz gehalten, keine weiteren Kommentare abzugeben.

Andris Nelsons vor dem Gewandhaus.(Foto: dpa - Bildfunk)
Nelsons scheint glücklicher in Leipzig zu sein, wo er ab September Gewandhaus-Kapellmeister wirdBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Die Wagner-Festspiele locken jeden Sommer rund 60.000 Besucher nach Bayreuth. Leistungsdruck und Erwartungen sind dementsprechend hoch, Spannungen auch. 1931, so heißt es, hat der große Dirigent Arturo Toscanini seinen Taktstock zerbrochen und das Festival wutschnaubend verlassen. Anlass waren die aufkeimenden faschistoiden Tendenzen.

Andris Nelsons' Rückzug mag der aufsehenerregendste Personalwechsel in der jüngeren Geschichte der Bayreuther Festspiele sein, ist jedoch keinesfalls der einzige, wie eine kleine Rückschau verrät:

Bayreuther Kündigungen und Absagen: eine turbulente Geschichte

1999: Willy Decker: Der erfahrene deutsche Opernregisseur sollte Wagners "Lohengrin" inszenieren. Dann, mit nur einigen Monaten Vorlauf, zog er sich zurück und gab lapidar "künstlerische Gründe" als Erklärung an. Es war das erste Mal, dass ein Regisseur den Festspielen den Rücken kehrte. Der britische Regisseur Keith Warner bekam dann den Zuschlag - und lieferte eine solide Produktion.

2000: Hans Sotin: Der renommierte deutsche Bariton hatte in Bayreuth jede Wagner-Rolle für seine Stimmlage gesungen - und das jede Saison, ohne Unterbrechung seit 1972. Dann, nur zwei Tage vor der Premiere von "Parsifal", bei der er die Rolle des Gurnemanz singen sollte, verließ Sotin den "Grünen Hügel" in Rage. "Unüberbrückbare Differenzen" mit Dirigent Christoph Eschenbach seien der Grund, so die Festspielleitung. Ein anderer Bariton wurde gefunden - und im folgenden Jahr, ein anderer Dirigent.

Kammersängerin Waltraud Meier. (Foto: AP Photo/Matthias Rietschel)
Nach 18 Jahren soll Waltraud Meier nach Bayreuth zurückkehrenBild: picture-alliance/AP Photo/M. Rietschel

2000: Waltraud Meier: In 17 Jahrgängen und in den Rollen von Kundry, Isolde, Waltraute und Sieglinde wurde die deutsche Sopranistin vom Publikum vergöttert. Dann verließ sie Bayreuth im Streit über den Probenplan. "Es wird von Mal zu Mal schlimmer", sagte sie über die Festspiele, die sie einst als ihre "musikalische Heimat" beschrieben hatte. Unlängst wurde bekanntgegeben, dass Meier 2018 nach Bayreuth zurückkehren soll, um in "Lohengrin" die Rolle der Ortrud zu singen.

2004: Martin Kusej: Der österreichische Regisseur sollte "Parsifal" neu deuten. Seit 1989 war das Musikdrama auf dem "Grünen Hügel" nur in der Version vom Festspielleiter Wolfgang Wagner zu sehen gewesen. Für einen frischen Ansatz sollte nun Kusej sorgen. Ein halbes Jahr vor der Premiere wurde sein Vertrag dann einvernehmlich aufgelöst. Der Grund: die "Nichtvereinbarkeit der Arbeitsprinzipien und -weisen des Inszenierungsteams einerseits und der Bayreuther Festspiele andererseits". Ein Ersatz wurde gefunden - wobei das inzwischen verstorbene Theatergenie Christoph Schlingensief sicherlich mehr als nur ein Ersatz war. Er legte eine ambitionierte, viel diskutierte Version des Werks vor, das die Festspiele skandalisierte - und revolutionierte. Nie war das Interesse an Bayreuth größer als bei Schlingensiefs "Parsifal".

Christoph Schlingensief. (Foto: Andreas Rentz/Getty Images for Hubert Burda Media)
Christoph Schlingensief verstarb 2010 an Krebs - sechs Jahre nachdem sein 'Parsifal' Bayreuth revolutionierteBild: Getty Images

Zwei Lücken im "Ring"

2004: Lars von Trier: Es sollte seine erste Operninszenierung sein. Der dänische Filmregisseur arbeitete zwei Jahre lang an einem szenischen Konzept für den 16-stündigen Vieropernzyklus "Der Ring des Nibelungen". Zwei Jahre vor der vorgesehenen Premiere 2006 war es dann klar, dass seine Vision nicht in Erfüllung gehen sollte. Einer Erklärung der Bayreuther Festspiele zufolge, lagen die Gründe für seine Absage "ausschließlich in seiner persönlichen Erkenntnis, dass die Dimensionen und Anforderungen dieser 'Ring'-Version realistisch betrachtet seine Kräfte eindeutig übersteigen würden." Zwei Jahre mögen lang erscheinen. Angesichts des Riesenwerks war die verbleibende Zeit bis zur Premiere jedoch denkbar kurz. Der deutsche Schriftsteller Tankred Dorst, damals 79 Jahre alt, fühlte sich der Herausforderung gewachsen - obwohl auch er Opernneuling war. Das Ergebnis - so urteilten Kritiker und Zuschauer - war blass.

Lars von Trier. (Foto: Concorde Filmverleih)
Lars von Trier tüftelte an seiner Vision zwei Jahre lang - und erkannte dann, dass sie außer Reichweite bleiben würdeBild: Concorde Filmverleih

2011: Wim Wenders: Ein weiterer Filmregisseur, weitere unüberbrückbare Differenzen: Am Hügel hieß es, Wenders interessiere sich mehr für die Verfilmung und Vermarktung seiner Produktion, als für die eigentlichen Erfordernisse der Opernaufführung. Bis zum April des Jahres war klar: Er sollte nun nicht mehr den "Ring" im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 inszenieren. Der deutsche Theaterprofi Frank Castorf wurde stattdessen engagiert - zwar mit 24 Monaten Vorlauf - aber angesichts der Dimensionen des Projekts, sozusagen in letzter Minute. Castorfs "Ring" hatte beeindruckende Bühnenbilder, aber beliebige Gags und streckenweise wenig Personenregie. Aus diesen Gründen gehen seitdem die Meinungen darüber auseinander.

2012: Evgeny Nikitin: Nachdem ein Video auftauchte, in dem man den russischen Bariton sah, wie er in einer Rockband spielte - mit nacktem Oberkörper und offenbar mit einem tätowierten Hakenkreuz auf der Brust - wurde sein Engagement kurzerhand gekündigt. Nikitin dementierte, dass er je ein solches Tattoo gehabt hätte, verließ Bayreuth aber dennoch nur wenige Tage vor der Premiere. Er sollte die Titelrolle in "Der fliegende Holländer" verkörpern. Mit nur wenig Zeit zum Üben, sprang der Koreaner Samuel Youn ein - und wurde mit Ovationen bejubelt.

2014: Jonathan Meese: Für den bildenden Künstler sollte "Parsifal" im Jahr 2016 die erste Operninszenierung sein. Die bloße Ankündigung hatte Beobachter der Wagner-Festspiele beunruhigt. Schließlich handelte es sich ja um den skandalträchtigen Maler, der Nazi-Runen in seinen Werken versteckt und die "Diktatur der Kunst" mit Hitlergruß unterstreicht. Die Kosten seiner Inszenierung sprengen den Rahmen, erklärten die Festspiele im November 2014 - und kündigten seinen Vertrag. Meese erwiderte: Durch Sponsoren könne er selber die Mittel aufbringen, es gehe in Wirklichkeit um unterschiedliche ästhetische Auffassungen. Die eigentlichen Auslassungen des Künstlers waren in Worten gekleidet, die man hier besser nicht zitieren sollte.

Jonathan Meese. (Foto: Uwe Zucchi/dpa (c) dpa - Bildfunk)
Wegen Missbrauch des Hitlergrusses wurde der Mahler und Ekzentriker Jonathan Meese angeklagt - und freigesprochenBild: picture-alliance/dpa/U. Zucchi

2015: Anja Kampe: Die deutsche Sopranistin sollte die Rolle der Isolde in der Oper "Tristan und Isolde" singen. Dann, weniger als ein Monat vor der Premiere, zog sie sich zurück. Wie gewohnt waren die angegebenen Gründe sehr allgemein gehalten - mit dem Ergebnis, dass viel darüber spekuliert wurde. Eine neue Isolde ließ nicht lange auf sich warten - Evelyn Herlitzius - aber die Neuinszenierung der Festspielleiterin Katharina Wagner musste bis zum letzten Tag geprobt werden - ohne Generalprobe. Ein engerer Probenplan wäre unvorstellbar gewesen.

2016: Andris Nelsons: Siehe oben. Letztendlich werden beim neuen "Parsifal" zur Eröffnung der Festspiele am 25. Juli sowohl Regisseur als Dirigent andere sein, als ursprünglich geplant.

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