1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Obama am Brandenburger Tor

Naomi Conrad19. Juni 2013

Scharfschützen auf den Dächern, eine Glaswand vor dem Rednerpult. Barack Obama spricht am Brandenburger Tor unter größten Sicherheitsvorkehrungen - bei brütender Hitze. Gäste und Journalisten stöhnen.

https://p.dw.com/p/18tBF
US President Barack Obama delivers a speech at the Brandenburg Gate on June 19, 2013 in Berlin. Barack Obama will walk in John F. Kennedy's footsteps this week on his first visit to Berlin as US president, but encounter a more powerful and sceptical Germany in talks on trade and secret surveillance practices. AFP PHOTO / ODD ANDERSEN (Photo credit should read ODD ANDERSEN/AFP/Getty Images)
Obama in Berlin Rede Brandenburger TorBild: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Mit Scharfschützen ist nicht zu scherzen. Deshalb bleiben die Fenster des DW-Büros im obersten Stockwerk eines Gebäudes im Regierungsviertel zu. Die schwüle Hitze wabert durch den Flur und staut sich unter dem Schreibtisch. "Mach bloß nicht die Fenster auf", warnt ein erfahrener Kollege: Auf dem Dach des Abgeordnetenhauses gegenüber von der Redaktion bewegen sich zwei kleine Punkte. Vielleicht Fensterputzer, vermutlich aber Scharfschützen. Der Kollege ist sich sicher, dass sie auf uns zielen. Es ist nicht ganz klar, ob er das wirklich ernst meint. Die Fenster bleiben sicherheitshalber geschlossen.

Barack Obama ist für 25 Stunden in Berlin - und mit dem US-Präsidenten steigt die Sicherheitsstufe auf "1 plus". Überall stehen Polizeiwagen, die Innenstadt um das Brandenburger Tor ist weitgehend abgesperrt, die U-Bahn geschlossen. "Wie komme ich hier bloß wieder weg?", fragt eine etwas verzweifelt aussehende Touristin. Obama? Ist ihr egal. Die vielen Polizisten machen ihr sichtbar Angst.

Höchste Sicherheitsstufe

Auch vor dem Presseamt der Bundesregierung stehen Polizisten, drinnen bedienen sich Journalisten am Büffet: Amerikaner, Schweden, Deutsche, sie alle wuseln durcheinander. Ein Fotograf zeigt ein Bild von sich vor der Präsidentenmaschine "Airforce One", das ein Kollege von ihm am Vorabend geschossen hat. "Ach, ist doch schon irgendwie cool." Er grinst. "Wenn ich mal Kinder habe, dann zeige ich ihnen das Bild."

Scharfschützen am Pariser Platz - Foto: Wolfgang Rattay
Scharfschützen am Pariser Platz: Sicherheitsstufe "1 plus"Bild: Reuters

Und fragt dann: "Hast du vom Skandal gehört?" Ein amerikanischer Securitymann habe Präsident Joachim Gauck rabiat zur Seite gedrückt, als dieser auf Obama zugehen wollte. Der Fotograf hat das aus dem Augenwinkel beobachtet. Aber er war nicht schnell genug, um es zu fotografieren. Leider. Er zuckt mit den Schultern. Der Fotograf sitzt mit anderen Kollegen auf dem Boden und wartet: Stative und Kamerataschen stehen vor einer Sicherheitsschleuse Spalier. Wer gleich zur Obama-Rede vor dem Brandenburger Tor will, muss hier durch. Auch Fotografen gelten eben erst mal als terrorverdächtig.

"Hast du die amerikanische Sicherheitsbeamtin mit den dicken Beinen gesehen? Mit der habe ich nachher noch ein Date!" Die Witze werden derber, je länger Obama auf sich warten lässt. Es dauert, bis endlich der Sicherheitscheck beginnt. Ein Fotograf beschwert sich, dass sein Handy bereits zum dritten Mal nach Sprengstoffspuren untersucht wird. Der Sicherheitsbeamte zuckt entschuldigend die Schultern: "Sorry, das müssen wir so machen." Anweisungen von oben.

Die Journalisten werden in mehrere Busse verfrachtet. Der Fahrer verteilt Wasser. Wieder warten, bis alle Kollegen die Sicherheitsschleuse passiert haben. Ein Zeitungsredakteur schüttelt den Kopf: "Das ist doch Wahnsinn. So viel Sicherheit habe ich noch nie gesehen!" Er ist seit fast 20 Jahren Redakteur. Selbst im Weißen Haus, wohin er mal den ehemaligen Kanzler Gerhard Schröder begleitet hat, seien die Sicherheitsvorkehrungen nicht so hoch gewesen. Und überhaupt sei ihm dieses ganze Drama um den Präsidenten-Besuch einfach zu viel.

Brütende Hitze am Brandenburger Tor

"Was schreibt ihr? Wie viele Gäste sind denn wohl hier?", fragt ein Zeitungsredakteur in die Runde. Eine Diskussion entbrennt im Bus, wie viele der 6000 geladenen Gäste, darunter die fähnchenwinkenden Schüler der John F. Kennedy-Schule und verschwitzte Politiker, wohl wirklich kommen. "Ach, schreib einfach, dass mehr Polizisten als Gäste hier sind." Allgemeines Nicken und Grinsen. An die 8000 Polizisten sollen im Einsatz sein.

Der Bus fährt vielleicht 300 Meter, biegt um die Ecke. Die Journalisten dürfen aussteigen, in die drückende Hitze. Vor dem Tor harren die geladenen Gäste geduldig aus. Jack wartet schon seit über zwei Stunden. "Weil ich ein Fan von Obama bin", sagt der siebenjährige Amerikaner schüchtern. Warum? Er schüttelt den Kopf, zieht die Schultern zusammen. Seine Mutter lächelt. "Weil er trotz allem ein guter Präsident ist." Trotz der oft kritisierten Drohnen-Einsätze und des Skandals um das Abhörprogramm "Prism". Sie hofft, dass Obama in seiner Rede etwas zu den guten Beziehungen zwischen Europa und den USA sagen wird. Was Jack sich von der Rede erhofft, ist nicht aus ihm herauszubekommen, er zieht weiter den Kopf ein. Ein britischer Kollege bringt Jack und seiner Mutter Wasser an die Absperrung, die die Journalisten von den Gästen trennt. Sein Hemd klebt an seinem Rücken. "Das arme Kind, das geht doch gar nicht, kein Wasser, in dieser Hitze", knurrt der Brite und verschwindet wieder auf der Tribüne.

Jack (l.) wartet auf Obamas Ankunft am Pariser Platz in Berlin - Foto: Naomi Conrad (DW)
"Das arme Kind": Obama-Fan Jack (l.)Bild: DW/N.Conrad

Unten spielt Musik, Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler posiert in der ersten Reihe mit ein paar Kollegen für ein Foto. Ein paar Zuschauer haben Hüte aus Zeitungspapier gefaltet, andere haben sich Tücher umgebunden. Dann, endlich: Die Scharfschützen auf den Dächern nehmen Stellung ein, die Gebärdendolmetscherin vor der Tribüne ebenfalls. Barack Obama, Angela Merkel und der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit laufen durch das Brandenburger Tor, setzen sich auf die Tribüne. Vor ihnen ist eine Scheibe aus Panzerglas, hinter ihnen das Tor. Ein "Obama, ich liebe dich" schallt aus der Menge. Gelächter, dann Stille.

"Hello Berlin!"

Angela Merkel spricht vom Tor, dem Symbol der Freiheit, dankt Obama für sein Kommen. Er steht auf, wird aber mit einem "not yet" von Merkel wieder an den Platz verwiesen. Erst muss Merkel noch die transatlantische Freundschaft loben, erst dann darf Obama reden. "Hello Berlin!", die Gäste jubeln, als er sein Jackett auszieht - "wir sind doch unter Freunden". Die Menge schwenkt ihre amerikanischen und deutschen Fähnchen noch enthusiastischer.

Auch Obama spricht von Freundschaft, appelliert an den Westen, Frieden und Freiheit in die ganze Welt zu tragen. "Die Mauer ist längst Geschichte geworden", ruft Obama in Anspielung an die Berliner Mauer, "aber jetzt ist es an uns, Geschichte zu schreiben!" Etwa durch nukleare Abrüstung oder den Kampf gegen Aids. Die Journalisten schreiben, fächern sich mit ihren Notizblöcken kurz Wind zu, schreiben weiter, tippen in ihre Smartphones und beugen sich nach vorne, um Fotos zu machen. Schweiß tropft auf die Tribüne.

Merkel und Obama - Foto: Reuters
Merkel und Obama: Verschwinden, wie sie gekommen warenBild: Reuters

Mit einem "Vielen Dank" und "Gott schütze Amerika - und Deutschland" beendet Obama die Rede. Der Präsident verschwindet wieder durch das Brandenburger Tor, mit Wowereit und Merkel, um deren Schulter er einen Arm gelegt hat. Ein letztes Fotomotiv der transatlantischen Freundschaft. Die Gäste müssen sich entlang der Sicherheitsbarrieren schlängeln, um den "Pariser Platz" zu verlassen.

Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich lehnt sich auf dem Weg nach draußen vor und raunt einem Journalisten verschwörerisch zu: "Sehr amerikanisch." Friedrich zieht weiter, der Journalist schüttelt den Kopf. "Also, ich fand das jetzt eigentlich gar nicht so pathetisch." Ein Sicherheitsbeamter, das Gesicht mit leichtem Sonnenbrand, lächelt, weil er jetzt endlich nach Hause darf. Zumindest in den Schatten. Mehrere seiner Kollegen seien schon in der Hitze kollabiert.

Ein paar Straßenblöcke weiter hat sich eine Schlange vor einem Eiscafé gebildet. Die Scharfschützen auf dem Abgeordnetenhaus sind verschwunden - die Fenster in der Redaktion bleiben allerdings weiter geschlossen.