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In die richtige Richtung

Matthias von Hein15. März 2004

Am Sonntag (14.3.) ging die Tagung des Nationalen Volkskongresses in Peking zu Ende. Wieder einmal wurde Demokratie nur vorgetäuscht - doch es gibt auch Ansätze, die optimistisch stimmen könnten.

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Der chinesische VolkskongressBild: AP

Seit 50 Jahren versammeln sich im März rund 3000 Delegierte in Peking. Knapp zwei Wochen lang täuschen sie Demokratie vor. Offiziell kommt dem Nationalen Volkskongress als Chinas Parlament die Aufgabe zu, die Regierungspolitik zu diskutieren, Gesetze zu verabschieden und die Regierung zu wählen. Allerdings ist in der Geschichte des Volkskongresses noch nie ein Kandidat abgelehnt, noch nie ein Gesetzentwurf zu Fall gebracht worden. Da alle Entscheidungen ohnehin bereits im Vorfeld von den zuständigen Gremien der Kommunistischen Partei getroffen wurden, ähnelt die Veranstaltung der Aufführung eines Stückes, das jeder kennt. Um so wichtiger aber werden die Details der Inszenierung. Das gilt um so mehr für den vergangenen Volkskongress: Immerhin war er der erste unter der Leitung der im letzten Jahr neu installierten Führung um Staatspräsident Hu Jintao und seinen Ministerpräsidenten Wen Jiabao.

Wie vieles andere auch ist Papier eine Erfindung der Chinesen - entsprechend gut weiß man in China natürlich auch um die sprichwörtliche Geduld von Papier. Dass diese Geduld auch bei der diesjährigen Tagung des Nationalen Volkskongresses wieder auf die Probe gestellt wurde, lässt sich an einem kleinen Beispiel ablesen: Am Wochenbeginn diskutierten die Delegierten in der großen Halle des Volkes die geplante Änderung der chinesischen Verfassung. Insgesamt 13 Änderungen waren geplant. Dazu gehörte auch, den Schutz der Menschenrechte in der Verfassung festzuschreiben.

Am Dienstag (9.3.) wurde jedoch bekannt, dass die Pekinger Behörden mehrere tausend Menschen festgenommen und in einer Sporthalle festgehalten hatten. Die Festgehaltenen wollten sich mit Petitionen an die Abgeordneten wenden. Anschließend wurden sie in ihre Heimatorte zurückverfrachtet. Sicherlich kein gutes Beispiel für den Schutz des Rechtes auf freie Meinungsäußerung, das erstens zu den Menschenrechten gehört und zweitens ohnehin bereits in der Verfassung verankert ist - ohne dass dies der Verfolgung Andersdenkender Einhalt geboten hätte.

Abkehr von der reinen Wachstumspolitik

Zu den Ungereimtheiten des chinesischen Scheinparlamentes gehörte auch, dass unter den knapp 3000 Abgeordneten 13 Delegierte waren, die Taiwan vertreten sollten. Nicht einer von ihnen lebt auf der Insel, nicht einer wurde von den 23 Millionen Einwohnern Taiwans gewählt. Ihre Präsenz war reine Symbolik, die den Anspruch Pekings auf die abtrünnige Insel unterstreichen sollte.

Mehr als Symbolik steckte hoffentlich in der Richtung, die Ministerpräsident Wen Jiabao in seinem Regierungsbericht einschlug. Kein Jubel über das Rekordwirtschaftswachstum von 9,1 Prozent im letzten Jahr. Stattdessen Abkehr von der reinen Wachstumspolitik der Vorgänger. Stabilität und Nachhaltigkeit soll künftig die wirtschaftliche Entwicklung prägen - bei einem mit sieben Prozent immer noch sehr hohen Wachstum.

Freude und Skepsis

Wen hat nicht versucht schönzureden, dass nirgendwo auf der Welt die Einkommensunterschiede zwischen Stadt und Land so groß sind wie in China. Er hat angekündigt mehr Geld in den ländlichen Raum zu leiten und die 800 Millionen Menschen auf dem Lande von Steuern und Abgaben zu entlasten. Die Betroffenen werden es mit Freude aber auch mit Skepsis zur Kenntnis nehmen: Derartige Ankündigungen hat es schon früher gegeben - ohne dass sich die Lage gebessert hat. Auch im vergangenen Jahr sind die ländlichen Einkommen gegenüber den städtischen weiter zurückgefallen.

Hoffnung macht die Äußerung des Präsidenten des obersten Gerichtshofes, Xiao Yang. Vor Delegierten des Volkskongresses erläuterte er den Plan, künftig alle Todesurteile vom Obersten Gerichtshof überprüfen zu lassen. Bislang werden Todesurteile von den Provinzgerichten überprüft und die massive Zahl von Todesurteilen lässt Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Prüfungen aufkommen. Mit einer strengeren Kontrolle der Todesurteile und einer entsprechend geringeren Anzahl von Hinrichtungen würde Peking der wachsenden Kritik aus europäischen Ländern Rechnung tragen, aber auch einer unter chinesischen Juristen verstärkt geführten Debatte über den massiven Einsatz der Todesstrafe. Die darf zurzeit bei nicht weniger als 68 Vergehen verhängt werden, unter anderem bei einer Reihe von Wirtschaftsverbrechen. Leider schränkte Xiao Yang gleich ein, einen Zeitplan für die geplante Änderung gebe es noch nicht. Und auch in seinem Rechenschaftsbericht für das vergangene Jahr wurde der Plan nicht erwähnt. Das ist symptomatisch für den Volkskongress.

In der Summe bleiben Ankündigungen, die in die richtige Richtung weisen. Das ist im Vergleich zur Vergangenheit schon viel: Früher war der Volkskongress vor allem ein Forum für Jubelarien und Loblieder; Kritik war verpönt. Doch solange es keine Gewaltenteilung gibt, keine organisierte Opposition, keine freie Presse, die Regierung und Verwaltung auf die Finger schaut, so lange ist es eben fraglich, ob den Ankündigungen auch entsprechende Taten folgen.