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Musharraf in der Sackgasse

Thomas Kruchem6. November 2007

Mit dem Außerkraftsetzen der Verfassung ist Pakistans Präsident dem Obersten Richter Iftikhar Chaudhry zuvorgekommen. Denn das Oberste Gericht könnte Musharrafs umstrittene Wiederwahl für ungültig erklären.

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Pervez Musharraf
Der Militärmachthaber gerät zunehmend unter DruckBild: AP

20. Juli 2007, vor dem schneeweißen Palast des Obersten Gerichtshofs an der Constitution Avenue in Islamabad. Rechtsanwalt Mohammed Shorish wartet zusammen mit Dutzenden Kollegen darauf, dass das Gericht seinen von Präsident Pervez Musharraf abgesetzten Vorsitzenden Ifthikar Chaudhry wieder ins Amt einsetzt. "Wir stehen hier, um die Unabhängigkeit unserer Gerichte zu verteidigen, die Unabhängigkeit unserer Institutionen und damit auch die Menschenrechte. Militär und Regierung haben mit ihren Eingriffen in die Gerichtsbarkeit Pakistans die rote Linie eindeutig überschritten" so Shorish. "Wir Anwälte haben nun die Pflicht, für freie Gerichte zu kämpfen, für ein freies Parlament und demokratische Institutionen. Nur so hat Pakistan eine gute Zukunft."

Polizist in Pakistan
Ausnahmezustand in PakistanBild: AP

Demokratisierung oder offene Militärdiktatur?

Es war eine beispiellose Demütigung für den Präsidenten in Generalsuniform, dem der Gerichtshof zuvor acht Jahre lang alle rechtliche Willkür abgesegnet hatte. Von jenem Moment an wusste Musharraf, dass sich sein Militärregime mit demokratischer Fassade nicht länger aufrecht erhalten ließ. Die Alternative lautete: Demokratisierung, die dem Militär kritisch gegenüber stehende Parteien an die Macht bringen würde, oder offene Militärdiktatur.

Das Militär - ein militärisches Wirtschaftsimperium

Pakistan steht seit seiner Gründung und dem ersten Bruderkrieg mit Indien 1947 unter dem dominierenden Einfluss des Militärs. 1956 putschte sich der Ayub Khan auch formal an die Macht. Ein weit verästelter Geheimdienst entstand und - mittels Zwang, Korruption und Patronage - ein weltweit beispielloses militärisches Wirtschaftsimperium. "Pakistans Militär ist sehr stark wirtschaftlich engagiert. Es ist der größte Landeigentümer im Lande, besitzt riesige Agrarflächen und ausgedehnte Gebäudekomplexe in den Großstädten. Professionell operierende Firmen der Armee verwalten diese Unternehmungen. Der örtliche Kommandeur ist zugleich Chef dieser Firmen" sagt Asad Bangali, einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler Pakistans. "Darüber hinaus besitzt das Militär zahlreiche Fabriken, Zuckermühlen und so weiter. Es betreibt Banken, Leasingfirmen, sogar Tankstellen. Das Militär ist also hier in Pakistan vor allem ein kommerziell operierender Konzern."

Straßensperren in Islamabad
Straßensperren in IslamabadBild: AP

Ein Konzern, der die Atombombe besitzt. Da aber viele Pakistaner Militärdiktaturen gar nicht mögen, ließen die Offiziere immer mal wieder ein Stück Demokratie zu. Stellte jedoch ein Premier die Macht der Militärs in Frage, wurde gleich wieder geputscht.

Schwieriger Spagat für den General

Demokratische Parteien bringen nur Ärger - aus dieser Haltung heraus suchte schon Diktator Zia ul Haq 1977-88 das Bündnis mit islamistischen Parteien und versetzte Pakistan beinahe ins Mittelalter zurück. Auch General Musharraf stützt sich auf ein Bündnis mit islamistischen Parteien, die offen die Taliban in Afghanistan unterstützen. Ein Bündnis, das Musharraf in die Zwickmühle gebracht hat: Seit 2002 nämlich muss er - auf Druck der USA, die ihm dafür bislang zehn Milliarden Dollar bezahlt haben - die eigenen Partner bekämpfen oder zumindest so tun als ob; mit strategisch sinnlosen Militäraktionen, die schon tausend Soldaten und ein Vielfaches an Zivilisten das Leben gekostet haben. Ein Ergebnis: Landesweit schießt immer neuer islamistischer Widerstand aus dem Boden.

Musharraf und der Artikel 43

Musharraf hat lange mit der Verhängung des Ausnahmezustands gezögert. Bis zuletzt versuchte er, sich unter Wahrung der demokratischen Fassade an der Macht zu halten, wobei ihn blutige Anschläge weit weniger störten als der aufmüpfige Oberste Richter Chaudhry. Dieser hätte wohl in wenigen Tagen die Wiederwahl Musharrafs zum Präsidenten im Oktober für illegal erklärt – gemäß Artikel 43 der Verfassung, der eindeutig sagt: Der Präsident darf nicht zugleich Oberbefehlshaber der Armee sein.

Polizei
Polizei gegen DemonstrantenBild: AP

Putsch oder Rücktritt

Eine fatale Situation für den Generalspräsidenten: Ohne Uniform hätte er bald keine Basis mehr im Militär; und nach den bevorstehenden Parlamentswahlen könnte er den wahrscheinlichen Siegern Bhutto und Nawaz Sharif kaum mehr etwas entgegensetzen. Musharraf musste also putschen oder zurücktreten.

Dass der General sich noch einmal acht Jahre an der Macht hält, ist indes unwahrscheinlich. Er hat einfach zu viele Gegner. Neben den radikalen Islamisten sind das vor allem die gemäßigten politischen Parteien mit wohl 80 Prozent des Wählerpotentials. Hinzu kommt: Die Pakistaner lassen sich nur solange mit Knüppeln und Gewehren unterdrücken, wie der einfache Soldat mitmacht.

Das wüssten auch Musharrafs Kollegen in der Armeeführung - erklärte in Islamabad General Asad Durrani, der in den 90er-Jahren Chef des Geheimdienstes ISI war. Ein General, der heute zum Frieden beitragen will. Musharraf könne sich zumindest an einer Front Ruhe verschaffen, meint Durrani. Dazu aber müsse er - auch gegen den Willen der USA - die seiner Meinung nach sinnlosen Militärattacken gegen die Islamisten einstellen und sich mit Afghanistans Präsident Karsai an einen Tisch setzen: "Beide Regierungen müssen Nein sagen zu weiteren Militäraktionen, weil sie einfach nichts bringen. Wir Pakistaner müssen nun gemeinsam mit der Regierung Afghanistans den Kurs korrigieren und versuchen, Wunden zu heilen. Machen wir weiter wie bisher, verschlimmern wir unser Scheitern nur noch."