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In Iran weht ein neuer Wind

Peter Philipp, z. Zt. in Teheran18. Juni 2005

Zum ersten Mal in der iranischen Geschichte geht ein Präsidentschaftsrennen in die Stichwahl. Vorbei sind die Zeiten, wo die Wahlsieger mit 90 Prozent der Stimmen die Exekutive übernahmen. Peter Philipp analysiert.

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Bild: AP

Die iranischen Parlamentswahlen haben keinem der sieben Kandidaten eine absolute Mehrheit gebracht. Deshalb wird es am kommenden Freiag (24.6.05) zur Stichwahl zwischen den beiden erfolgreichsten Kandidaten kommen.

Favorit ist weiterhin der ehemalige Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, bei der zweiten Stelle wurde es bei der Stimmauszählung am Samstag (18.6.) aber spannend: Zunächst führte der ehemalige Parlamentspräsident Mehdi Karroubi, dann wurde er vom Teheraner Bürgermeister Mahmoud Ahmadinejad überrundet. Die beiden eigentlichen Favoriten für den zweiten Platz – der ehemalige Polizeichef Qalibaf und der Reformpolitiker Moin – liegen abgeschlagen auf dem dritten und vierten Platz.

Panorambild: Wahlen im Iran, Mahmoud Ahmadinejad, Teheraner Bürgermeister
Der überraschende Zweite: Mahmoud AhmadinejadBild: AP

Der Erfolg Ahmadinejads könnte Rafsandschanis Position bei der Stichwahl gefährden, wenn der uktra-konservative Bürgermeister dabei die Stimmen der anderen Konservativen erhält. Gleichzeitig könnte Rafsandschani seine Position aber weiter ausbauen, wenn die jetzt erfolglosen Reformer sich hinter ihn stellen. Zum ersten Mal in der Geschichte iranischer Wahlen wird es eine Stichwahl geben - und nach dem ersten Wahlgang ist alles offen.

Volle Taschen

Iranische Zyniker hatten vor der Präsidentschaftswahl gelästert, dies sei eine "Wahl zwischen schlecht und schlechter" und wenn man sich für den ehemaligen Präsidenten entscheiden werde, dann aus praktischen Gründen: "Herr Haschemi" - wie der 71-Jährige sich im Wahlkampf titulieren ließ - habe die größte Erfahrung aller Kandidaten. Er sei mächtig und habe auch konkrete und vernünftige Ziele genannt: Ausgleich mit den USA, Lösung des Atomstreits, Schaffung von Arbeitsplätzen und weniger Eingriffe ins Privatleben der Bürger. Gute Gründe, Herrn Haschemi alias Rafsanjani zu wählen. Was ihn für viele aber auch attraktiv machte, klang wieder recht zynisch: Rasanjani habe bereits "volle Taschen", er könne es sich leisten, etwas für das Volk zu tun.

Präsidentenwahl Iran - Akbar Haschemi Rafsandschani bei der Stimmabgabe
Rafsandschani bei der StimmabgabeBild: dpa

So war es denn Stunden nach der Wahl keine Überraschung, dass Rafsandschani bei der bisherigen, noch nicht abgeschlossenen Stimmenauszählung vorne lag. Einer kleinen Sensation aber kam es gleich, dass sein schärfster Konkurrent weder der ehemalige Polizeichef, Mohamed Qalibaf, noch der Kandidat der Reformer, Mostafa Moin, war. Sondern einer, mit dem man eigentlich gar nicht gerechnet hatte: Der ehemalige Parlamentspräsident Mehdoi Karroubi. Der oft fälschlicherweise als Refomer bezeichnete Mullah schaffte es, sich bis auf eine knappe halbe Million Stimmen an Rafsanjani heranzuarbeiten. Bei der wachsenden Zahl ausgezählter Stimmen ein sehr geringer Abstand zum erklärten Favoriten.

60 Dollar pro Nase

Logische Erklärungen für diese überraschende Entwicklung gibt es nicht. Außer, dass Karroubi das Beispiel der vollen Taschen umzukehren versprochen hatte: Im Wahlkampf hatte er angekündigt, er werde als Präsident dafür sorgen, dass jeder Iraner über 18 monatlich knapp 60 Dollar bekomme. In besseren Kreisen Teherans lächelte man über so viel Naivität. Für viele Iraner, besonders auf dem Land, aber sind 60 Dollar viel Geld. Und wenn die Familie dann auch noch groß ist, dürften manche schon hübsche Hochrechnungen angestellt haben über den zu erwartenden Geldsegen.

Demgegenüber hatte der "starke Mann" Qalibaf nichts zu bieten als seinen Ruf der Tatkraft und Unbestechlichkeit. Der freilich so groß auch wieder nicht war, als dass einige betuchte Händler ihm nicht im Wahlkampf unter die Arme gegriffen hätten, um ihre Geschäftschancen für die Zukunft zu verbessern. So zum Beispiel der Importeur von Mercedes-Benz, der gut an der neuen Flotte schwäbischer Polizeiautos verdient hatte, die unter Qalibaf angeschafft wurde.

Noch weniger zu bieten hatte Mostafa Moin. Sicher eine aufrechte und ehrliche Seele, jedoch ohne Ausstrahlung und mit dem großen Nachteil, ein "kleineres Abbild" des Reformpräsidenten Mohamad Khatami zu sein – der zwar vor acht Jahren die Unterstützung der breite Öffentlichkeit gewonnen hatte, dann aber konsequent von einem Fehlschlag zum nächsten schritt. Bis die Mehrheit seiner bisherigen Anhänger sich frustriert von der Politik abwandten und deswegen auch Moin im Stich ließen.

Auch ein überraschender Dritter

Für die Iraner zählt die Leistung. Daran ändert der Erfolg Karroubis nichts: Nur so ist zu erklären, dass Rafsandschani heute wieder populär ist, obwohl man ihm während seiner früheren Amtszeit Korruption und vieles andere nachsagte. Und nur so ist zu erklären, dass der Bürgermeister von Teheran, der erz-konservative Mahmoud Ahmadinejad, überraschender Dritter wurde: Unter seiner Amtszeit ist einiges für die 12-Millionen-Stadt getan worden und das Kalkül der Wähler dürfte sein: Wer Teheran gut verwaltet, der dürfte auch gut sein für mehr.

Bleibt das Rätsel, warum die Teheraner Wahllokale am Wahltag bis in den Nachmittag gähnend leer blieben, sich dann aber derart füllten, dass ihre Schließung drei Mal verschoben werden mußte. Diese Erscheinung ist nicht neu: Wahlen werden am Freitag abgehalten, dem muslimischen Feiertag, und da zieht es viele Teheraner hinaus aus der Stadt und man kommt erst am späten Nachmittag zurück. Und wenn man erst einmal in den kühleren Bergen ist, dann läßt man sich dort auch nicht von mobilen Wahllokalen am Straßenrand an seine Bürgerpflichten erinnern – Eisverkäufer haben eindeutig mehr Erfolg. Ist der Feiertag dann aber vorbei und der Stau bei der Heimfahrt überstanden, dann kann man ja auch noch wählen gehen. Vorausgesetzt, die Wahllokale bleiben offen - das aber tun sie erfahrungsgemäß.