1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Linke für Oppositionsrechte

Bernd Gräßler13. Januar 2016

Die Bundestagsfraktion der Linkspartei fühlt sich von der Regierungsmehrheit an den Rand gedrückt und zieht deshalb vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Ein Ziel der Klage: eine Änderung des Grundgesetzes.

https://p.dw.com/p/1Hby4
Deutschland Bundesverfassungsgericht Verfahren NPD
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb/U. Deck

Es war im Dezember 2015, als die Linksfraktion im Bundestag wieder einmal auf verlorenem Posten stand. Der Bundeswehreinsatz gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" in Syrien führe Deutschland in "einen Krieg mit völlig unkalkulierbaren Eskalationsgefahren", rief Fraktionschefin Sahra Wagenknecht in den Plenarsaal. Es sei "ein Krieg, für den es kein Mandat der Vereinten Nationen gibt, der völkerrechtswidrig ist und klar dem Grundgesetz widerspricht".

Doch CDU, CSU und SPD fegten mit ihrer Mehrheit die Bedenken von Linken und auch von Grünen beiseite. Wie so oft in dieser Legislaturperiode, für die der Wähler die Regierungskoalition mit einer satten Mehrheit von 504 Stimmen ausgestattet hat. Die Mini-Opposition aus Linken und Grünen kommt zusammen auf 127 Sitze im Bundestag, das sind nicht einmal 25 Prozent. Und so fehlte Linken und Grünen auch im Dezember 2015 das notwendige Quorum an Stimmen, um der Regierung wenigstens mit einer Verfassungsklage zu drohen.

Fraktions-Geschäftsführerin Petra Sitte kann auf Anhieb weitere Gesetze nennen, bei denen die Linke gern mit einer sogenannten Normenkontrollklage vors #link:http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Termine/DE/2015/minderheitenrechte_mv.html:Bundesverfassungsgericht# in Karlsruhe gezogen wäre - aber nicht konnte. Nötig dafür wäre eben mindestens ein Viertel der Stimmen im Bundestag. Als Beispiel, wo die Linke an dieser Hürde scheiterte, nennt Sitte das Mindestlohngesetz, dessen Ausnahmen dem Gleichheitsgrundsatz widersprächen. Oder die Finanzierung der Mütterrente durch die Beitragszahler, statt - wie es nicht nur die Linke für richtig hält - durch den Staat.

Petra Sitte - Foto: Lukas Schulze (dpa)
Linken-Politikerin Sitte: "Keine Kontrolle möglich"Bild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

"Recht auf gutes Opponieren"

"Nun kann man sagen, liebe Linke, Ihr müsst eben eine Politik machen, dass Euch mehr wählen, dann habt Ihr auch mehr Rechte im Parlament", räumt Sitte ein. Aber das würde - mindestens - noch bis 2017 dauern, wenn der nächste Bundestag gewählt wird. Vier Jahre lang wäre dann kein Gesetz darauf überprüft worden, ob es verfassungswidrige Grundsätze enthält. Ob das im Sinne des demokratischen Wechselspiels zwischen Regierung und Opposition ist, sollen nun die Verfassungsrichter entscheiden. Die Klage der Linken in Karlsruhe richtet sich formal gegen den Bundestag, gemeint ist aber selbstverständlich die Bundestagsmehrheit aus CDU, CSU und SPD. "Die Leute haben nicht nur ein Recht auf gutes Regieren, sondern auch auf gutes Opponieren, und dazu gehört die Normenkontrollklage", meint die Linken-Politikerin.

Start eines Tornado-Aufklärungsjets am Fliegerhorst Jagel zum Anti-IS-Einsatz - Foto: Carsten Rehder (dpa)
Start eines Tornado-Aufklärungsjets zum Anti-IS-Einsatz: "Unkalkulierbare Eskalationsgefahren"Bild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Unzufrieden ist die Linke aber auch mit Regelungen zur Redezeit oder zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, in denen die Koalition der seit 2013 geschrumpften Opposition schon entgegengekommen ist. So hat man die Geschäftsordnung des Bundestages dahin gehend geändert, dass bis Ende dieser Legislaturperiode schon 120 Stimmen ausreichen, um einen Untersuchungsausschuss einzusetzen oder eine Sondersitzung des Bundestages einzuberufen. Für Letzteres wäre normalerweise sogar ein Drittel der Abgeordnetenstimmen notwendig. Und in den Parlamentsausschüssen kann die Opposition eine öffentliche Anhörung erzwingen. Auch der Ältestenrat hat den kleinen Oppositionsfraktionen etwas mehr Redezeit eingeräumt, als ihnen eigentlich aufgrund ihrer Fraktionsstärke zustünde.

Ermüdende Wiederholungen

Trotzdem seien die Redezeiten von CDU, CSU und SPD immer noch so lang, "dass sich die Koalition selbst wiederholt, selbst zitiert und in ermüdender Weise ausschließlich mit sich selbst beschäftigt", klagt Petra Sitte. Am sinnvollsten fände sie es, wenn - wie beispielsweise in einigen Landtagen üblich - jede Fraktion die gleiche Redezeit hätte, denn "dann würde die Stärke der Argumente entscheiden".

Doch vor allem möchte die Linke für die Oppositionsbefugnisse mehr Sicherheit als eine bloße Änderung der Geschäftsordnung: sprich Gesetze bis hin zu einer Änderung des Grundgesetzes. Denn gerade eine kleine Opposition brauche einklagbare Mitwirkungs- und Kontrollrechte. Auch die Grünen sehen das so - rein politisch. Juristisch bewerten sie die Klage allerdings als "problematisch", sodass die Linke in Karlsruhe als Klägerin allein dasteht.

Die Bundestagsmehrheit aus CDU, CSU und SPD ist überzeugt, dass sie der Opposition bereits ausreichend entgegengekommen sei. Neue Gesetze oder gar eine Grundgesetzänderung seien nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich für die Funktionsfähigkeit des Parlaments. Als die Linke schon 2014 ihren Wunsch nach einer Grundgesetzänderung vorbrachte, verwies die damalige Fraktionsgeschäftsführerin der SPD, Dagmar Ziegler, auf den Zusammenbruch der Demokratie in der Weimarer Republik vor der Machtergreifung Hitlers. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten die Einhaltung bestimmter Quoren im Bundestag aus gutem Grund festgeschrieben.

Umstrittener Rückgriff auf Weimar

Der renommierte Düsseldorfer Staatsrechtler Martin Morlok hält wenig davon, wenn bei jeder Gelegenheit auf die Erfahrungen der Weimarer Republik verwiesen wird: "Dass Weimar an überbordenden parlamentarischen Rechten der Opposition zugrunde gegangen ist, wird man nicht sagen können".

Martin Morlok - Foto: Jörg Reich (HHU)
Staatsrechtler Morlok: "Weimar kein gutes Beispiel"Bild: HHU/Jörg Reich

Sicher sei dagegen: "Eine wirksame Kontrolle der Regierung kann nur erfolgen, wenn die Opposition die entsprechenden Rechte hat." Denn Regierungsfraktionen seien weniger motiviert, die eigene Regierung zu kontrollieren, sagte Morlok der DW. Er finde es "bedenklich, dass die Opposition derzeit nicht das Bundesverfassungsgericht anrufen kann, wenn sie ein Gesetz für verfassungswidrig hält".