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Indien muss wählen

Detlev Karg17. Juli 2004

Seit gut sechs Wochen ist die neue indische Regierung unter Ministerpräsident Singh nun im Amt. Noch ist nicht klar, in welche Richtung das Land steuert. Die Armen im Lande fordern mehr staatliche Unterstützung.

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Manmohan Singh: Gandhi und die Kommunisten im RückenBild: AP

Die Amtszeit von Singhs Vorgänger Vajpayee war eine Erfolgsgeschichte: "Shining India", glänzendes Indien, damit warb Vajpayees Hindu-Partei. Dieser setzte nur konsequent fort, was Singh, in der Vorgängerregierung einst Finanzminister, eingeleitet hatte.

Denn der heutige Premier war es, der Indien für die auswärtigen Märkte öffnete. Unter seiner Regie wurde die Rupie entwertet, um den Export zu fördern. Singh erleichterte ausländische Investitionen, senkte die Steuern und liberalisierte die Aktienmärkte. Binnen fünf Jahren halbierte sich die Inflationsrate bis 1996 von 17 auf 8,5 Prozent. Sie liegt heute knapp über vier Prozent. Im ersten Quartal 2004 wuchs die Wirtschaft um beeindruckende neun Prozent. Die Devisenreserven sind von einstmals einer Milliarde auf derzeit 118 Milliarden Dollar gewachsen. Gleichzeitig gibt es eine Mittelschicht von knapp 300 Millionen Menschen mit ansehnlicher Kaufkraft. Doch zwei Drittel nehmen am Wirtschaftskreislauf kaum teil. Etwa ein Drittel der Inder lebt gar unterhalb der Armutsgrenze und hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Vom rechten Weg abgewählt

Atal Bihari Vajpayee
Atal Bihari VajpayeeBild: AP

Viel Hoffnung knüpfte sich darum an den erwarteten Wahlsieg Vajpayees im Mai 2004, doch dann folgte die erdrutschartige Abstrafung. Das rückständige und verarmte Indien verhalf Sonia Gandhi und der Kongresspartei zum Erfolg. Gandhi beeilte sich seinerzeit, ihre hauchdünne Mehrheit im Parlament zu untermauern und auch mit den beiden kommunistischen Parteien Indiens zusammenzuarbeiten - ein Schlag ins Gesicht aller Reformer.

Ein Crash und die erste Schadensbegrenzung

Ebenso erdrutschartig waren darum auch die Verluste an den Aktienmärkten Indiens: Es war der größte Crash in der Geschichte der indischen Börse. Der Sensex-Index in Bombay verlor rund 15,5 Prozent, der nationale Nifty-Index brach um 17,5 Prozent ein. Flugs beeilte sich Gandhi, eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik anzukündigen: Die neue indische Regierung strebe ein jährliches Wirtschaftswachstum von mindestens sieben bis acht Prozent über die kommenden zehn Jahre an. Gleichzeitig ließ sie dem Reformer Singh den Vortritt und verzichtete auf das Amt als Premierministerin.

Zwei Refomer als Feigenblätter?

Auf zwei Namen ruhen die Hoffnungen der Finanzwelt nun: Manmohan Singh, Architekt der indischen Wirtschaftsreformen, war Finanzminister von 1991 bis 1996 und zuvor Gouverneur der indischen Zentralbank. Sein Finanzminister Palaniappan Chidambaram, ist ebenfalls Hoffnungsträger der Börsianer, weil er früher einmal die Steuer auf Aktiengewinne abgeschafft und Traumhaushalte erwirtschaftet hat.

Indische Programmierer bei der Arbeit
Planet Asia software programmers at work, Bangalore, IndiaBild: APTN

Die Kurse haben sich indes bis heute nicht erholt. Dabei spielen indische Unternehmen in der Weltliga mit, allen voran die Computerhäuser und Systemdienstleister wie Wipro, Infosys und Satyam, die rasant wachsen und mittlerweile nach Deutschland und in die USA expandieren. Die State Bank of India und die Icici Bank sind Marktführer in dem 1,1 Milliarden Menschen zählenden Markt. Ein Heimatmarkt, von dem deutsche und US-Banken nur träumen können. Pharmafirmen wie Dr. Reddy und Ranbaxy produzieren preiswerte Generika-Medikamente, ebenfalls ein boomender Markt.

Eindeutig zweideutig

Das Misstrauen der Anleger hat Gründe. Die Privatisierung von Staatsunternehmen etwa wurde erst einmal von der Agenda gestrichen. Das Privatisierungsministerium soll nach Ansicht der Kommunisten abgeschafft werden. Gewinn bringende Staatsunternehmen werden nach dem neuen Regierungsprogramm nun nicht privatisiert. Bei Staatsunternehmen, die rote Zahlen schreiben, soll von Fall zu Fall über eine Privatisierung entschieden werden.

Die neue Regierung könnte versucht sein, es allen recht zu machen. Der jüngste Haushaltsentwurf spricht diese Sprache. Mehr Steuern kündigte Chidambaram an, um nach Protesten der Unternehmer eine erneute Reform anzudeuten. Mehr Subventionen für die Landwirtschaft soll es geben. Dabei muss die Regierung in Delhi allein 300 Millionen Unberührbare alimentieren, die keinen Zugang zu Bildung und Ausbildung haben. Ausländer schließlich dürfen weiterhin nicht die Mehrheit an indischen Unternehmen erwerben.

Wahlen in Indien Sonia Gandhi Kongresspartei
Congress Party President Sonia GandhiBild: AP

So kommt freilich kein Kapital ins Land. Fragt sich, wie lange die Reformer Singh und Chidambaram unter dem Druck der ex-sozialistischen Kongresspartei und der Kommunisten lavieren werden. Und ob die Wahlsiegerin Gandhi eines Tages als strahlende Übermutter Indiens nicht doch die Geschäfte ergreift.