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"Kein Dialog in Rio"

Mirjam Gehrke22. Juni 2012

Vertreter indigener Völker haben die Abschlusserklärung von Rio+20 abgelehnt. Ihr Vorwurf: Die Finanzkrise sei den Regierungen wichtiger als die Lösung der ökologischen und sozialen Probleme der Welt.

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Veganer protestieren vor Rio+20 Eingang. Das Bild wurde am 20.06.2012 bei Nadia Pontes gemacht
Bild: DW

"Die Zukunft, die wir wollen" lautet der Titel der Abschlusserklärung der UN-Nachhaltigkeitskonferenz. Doch hinter diesem "wir" stehen vor allem die Regierungen und Unternehmen der Industrieländer, so die einhellige Kritik von Umweltorganisationen und Vertretern indigener Völker. Die Deutsche Welle hat einige Vertreter um ihre Meinung zu Rio+20 gebeten:

Maricel Macanlanda, Aisa Pacific Indigenous Youth Network, Angehörige des Volkes der Igorot, Philippinen. Copyright: DW/Mirjam Gehrke Juni, 2012
Maricel MacanlandaBild: DW

Die Wirtschaft steht im Mittelpunkt

"Die in Rio versammelten Staaten haben nicht genug getan, um die Rechte der indigenen Völker zu respektieren. Sie haben zwar eine Menge Programme vorgestellt und über grüne Wirtschaft diskutiert. Aber die Politiker sprechen nicht mit den Menschen, sie hören sie nicht an und suchen keinen Konsens. Sie respektieren das Prinzip des "Free, Prior and Informed Consent " (FPIC) * der indigenen Völker nicht. Das betrifft uns, die Jugendlichen, direkt. Wir haben noch mehr Lebensjahre vor uns als sie. Die Regierungen verhandeln über viele Projekte und Programme, die den Menschen angeblich helfen sollen. Wir sind anderer Ansicht. Nicht der Mensch steht im Mittelpunkt dieser Pläne, sondern die Wirtschaft. Die Staaten und die großen Unternehmen werden davon profitieren. Wir lehnen die Rio+20-Abschlusserklärung ab. Die grüne Wirtschaft, die hier als Zukunftsmodell beschrieben wird, dient nicht den Menschen."

Maricel Macanlanda, Asia Pacific Indigenous Youth Network, Angehörige des Volkes der Igorot, Philippinen

(*Das FPIC ist Teil der UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker und der ILO Konvention 169 zu Indigenen und Stammesvölkern. Das FPIC soll garantieren, dass keine Aktivitäten mit Einfluss auf lokaler Ebene ohne die "freie, vorherige und informierte Zustimmung" der betroffenen Indigenen stattfinden.)

Marcos Terena, Koordinator der indigenen Stimmen bei Rio+20, führendes Mitglied der brasilianischen Nationalen Stiftung der Indigenen Funai. Copyright: DW/Mirjam Gehrke Juni, 2012
Marcos TerenaBild: DW

Die UNO muss auf die Menschen hören

"Diese UN-Konferenz hatte weitaus weniger Bedeutung und weniger politische Strahlkraft als Rio '92. Aber die sozialen Bewegungen sind bei Rio+20 sehr stark aufgetreten. Es waren alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten, indigene Völker, Frauen, Jugendliche. Die UNO sollte das vorgefertigte Konzept, mit dem sie nach Rio gekommen ist, beiseitelegen und stattdessen auf die Stimme von Mutter Erde hören, und auf die Stimmen der Kinder dieser Erde, also aller gesellschaftlichen Gruppen, die sich hier beteiligt haben. Sie alle setzen sich für eine bessere Zukunft ein. Nur wenn wir das traditionelle Wissen aller Völker und Individuen bewahren, werden wir die kulturelle Vielfalt auf der Welt erhalten."

Marcos Terena, Koordinator der indigenen Stimmen bei Rio+20, führendes Mitglied der brasilianischen Nationalen Stiftung der Indigenen Funai

Ta'Kaiya Blaney, 11 Jahre alt, vom Volk der Sliammon First Nation aus dem Nordwesten Kanadas. Copyright: DW/Mirjam Gehrke Juni, 2012
Ta'Kaiya BlaneyBild: DW

Ich mache mir Sorgen um die Zukunft

"Wir müssen den Wandel schaffen. Wir können nicht länger warten, bis der Wandel von alleine passiert. In meiner Kultur ist es eine Tatsache und eine Lebenseinstellung, dass alles zusammenhängt. Mein Land und meine Kultur – das sind zwei Seiten einer Medaille. Die Entwicklung zerstört unsere Welt, unsere einzige Welt. Die Erde ist unser Planet und wir haben nur diesen einen. Ich möchte nicht, dass sie zugemüllt und verschmutzt wird. Ich mache mir Sorgen, dass künftige Generationen keine Zukunft haben werden. Wir wurden auf diese Erde gesetzt und alles hängt miteinander zusammen. Wenn wir die Erde zerstören, zerstören wir uns selbst. Ich habe Angst, dass die kommenden Generation vieles von dem, was wir heute noch kennen, nicht mehr erleben werden: Vögel, die durch die Luft fliegen, denn in der Zukunft, auf die wir zustreben, wird es keine Vögel mehr geben, wegen dieser Industrialisierung werden wir die letzte Chance zur Umkehr verpassen."

Ta'Kaiya Blaney, elf Jahre alt, vom Volk der Sliammon First Nation aus dem Nordwesten Kanadas.

Tom Goldtooth, Direktor des Indigenous Environmental Network, mit Sitz in Minnesota/ USA. Copyright: DW/Mirjam Gehrke Juni, 2012
Tom GoldtoothBild: DW

Green Economy ist die Privatisierung der Natur

"Ich mache mir große Sorgen, denn es gab viele Widersprüche. Auf dem Gipfel ist es nicht um die Rettung der Erde und die Zukunft der Menschheit gegangen, sondern in erster Linie um kurzfristige politische Interessen. Die Regierungen der Welt und die Unternehmen sind mit dem Konzept der sogenannten grünen Wirtschaft nach Rio gekommen. Aber das ist nichts als Augenwischerei im Rahmen des Kapitalismus. Wir, die indigenen Völker, erleben täglich, was die Industrie in der Natur anrichtet. Viele Menschen in Europa und in anderen Weltregionen haben sich von der Natur entfernt. Wir wollen erreichen, dass die Schöpfungskraft der Natur wieder neu entdeckt wird. Das muss ein Grundprinzip von nachhaltiger Entwicklung sein. Marktorientierte Ansätze, die von den Industrienationen aus privatwirtschaftlichen Interessen heraus entwickelt wurden, sind der falsche Weg. Ein Beispiel ist der Handel mit CO2-Zertifikaten oder die Kompensation des klimaschädlichen Verhaltens durch die Förderung von Klimaschutzmaßnahmen an anderer Stelle, wie sie im REDD Programm* vorgesehen sind. Aus unserer Sicht ist das eine Privatisierung der Natur durch Unternehmen."

Tom Goldtooth, Direktor des Indigenous Environmental Network, mit Sitz in Minnesota/ USA.

(*REDD: "Reducing Emissions from Deforestation and Degradation" - Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung, ein Modell zum Schutz von Wäldern, die als Kohlenstoffspeicher für das globale Klima von Bedeutung sind.)