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Weitere IS-Anschläge in Indonesien?

Thomas Latschan12. Februar 2016

Vor einem Monat erschütterte ein islamistischer Terroranschlag Indonesiens Hauptstadt Jakarta. Zu dem Anschlag bekannte sich der IS, der dort mehr und mehr Zulauf hat. Wie sehr untergräbt dies die indonesische Regierung?

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Spezialeinheiten der indonesischen Polizei bei einer Hausdurchsuchung nach dem Anschlag vom 14. Januar (Foto: Getty images/AFP/Str)
Bild: Getty images/AFP/Str

In der vergangenen Woche hat ein Gericht in Indonesien sieben Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten IS-Propaganda verteilt und dabei geholfen, IS-Kämpfer für den Krieg im Nahen Osten zu rekrutieren. Damit hat Indonesiens Justiz zum ersten Mal überhaupt Unterstützer des IS rechtskräftig verurteilt – fast genau einen Monat nach dem Anschlag auf ein Einkaufszentrum in Jakarta, zu dem sich ebenfalls die Terrormiliz bekannt hatte.

Indonesiens Behörden sind erst relativ spät dazu übergegangen, konsequent gegen die Unterstützer des IS im eigenen Land vorzugehen, bemängelt Susanne Schröter, Indonesien-Expertin an der Goethe-Universität Frankfurt. Denn schon Monate vor dem Anschlag kursierten islamistische Propagandavideos im Internet, die dazu aufriefen, sich am IS-Kampf in Indonesien zu beteiligen, bevor sich Jakarta dazu durchrang, entsprechende Seiten zu sperren. Radikale Imame, die sich in den Moscheen des Landes offen zum IS bekannten, wurden bislang nur halbherzig verfolgt. "Die Situation ist durchaus dramatisch, weil es eine relativ große Begeisterung unter den ohnehin schon konservativ gesonnenen Jugendlichen im Land für den dschihadistischen Kampf im Nahen Osten gibt", so Schröter. Dabei war das aggressive Werben des IS um Unterstützer auch in Indonesien schon länger bekannt.

Bereits im September 2014 hatte das renommierte "Institute for Policy Analysis of Conflict" (IPAC) in Jakarta eine Studie zum Thema vorgestellt. Bis heute, so schätzen Indonesiens Behörden, haben sich rund 500 Indonesier der Terrormiliz IS im Nahen Osten angeschlossen.

Der indonesische Präsident Joko Widodo umgeben von Sicherheitsleuten und anderen am Tatort des Anschlags vom 14. Januar (Foto: Reuters/W. Putro/Antara Foto)
Der indonesische Präsident Joko Widodo am Tatort des Anschlags vom 14. JanuarBild: Reuters/W. Putro/Antara Foto

Jakarta in höchster Alarmbereitschaft

Gemessen an den insgesamt rund 250 Millionen Einwohnern ist das nicht viel. Dennoch scheint die Gefahr weiterer Anschläge im Land hoch zu sein. Als Grund dafür hat das IPAC nun eine Art Konkurrenzkampf verschiedener lokaler Islamistenführer ausgemacht. Diese wetteifern mit ihren Splittergruppen um Anerkennung durch die IS-Führung im Nahen Osten und könnten nun versucht sein, sich mit weiteren Anschlägen gegenseitig zu übertrumpfen.

Dabei scheint nach jetzigem Ermittlungsstand das Attentat in Jakarta im Januar 2016 auf das Konto einer Gruppe namens "Partisanen des Kalifats" zu gehen, die von dem im Nahen Osten kämpfenden Indonesier Abu Jandal angeführt wird. Abu Jandal hat sich jedoch mit seinem Landsmann Bahrumsyah überworfen, dem Anführer der größten indonesisch-malaysischen IS-Kampftruppe in Syrien und dem Irak. Ein dritter Terroristenführer - Bahrun Naim - versuchte schon 2015 auf eigene Faust, verschiedene Anschläge auf Java durchzuführen, die jedoch vereitelt werden konnten. Zunächst stand er auch im Verdacht, hinter dem Anschlag vom 14. Januar zu stecken. Und auf der Insel Sulawesi sammeln sich vor allem aus China geflohene Uiguren um einen Fundamentalisten namens Santoso, der zu den meistgesuchten Extremisten Indonesiens zählt.

Muhammad Bahrun Naim (Foto: Reuters/Antara Foto/D. Prasetya)
Zunächst galt Muhammad Bahrun Naim als Drahtzieher des Anschlags vom 14. Januar - mittlerweile gehen die Ermittler davon aus, dass die "Partisanen des Kalifats" dahinter steckenBild: Reuters/Antara Foto/D. Prasetya

Gefängnisse als Orte der Radikalisierung

In den vergangenen Jahren hat sich die terroristische Szene im Land stark gewandelt. Nach den verheerenden Anschlägen 2002 auf Bali mit über 200 Toten und 2009 auf zwei Luxushotels in Jakarta waren die indonesischen Sicherheitsbehörden konsequent vor allem gegen "Jemaah Islamiyah", die weitaus größte Terrororganisation im Land, vorgegangen. Hunderte Extremisten wurden verhaftet, die Gruppe gilt seit 2010 als zerschlagen. "Damals hat die indonesische Regierung ein umfassendes Antiterrorkonzept entwickelt, das einerseits auf massiver staatlicher Repression basierte, andererseits aber auch auf einer theologischen Gegennarrative", erklärt Susanne Schröter. "Man hat versucht, Islamisten aus der "Jemaah Islamiyah" herauszulösen und ihnen zu erklären, dass sie auf dem Holzweg sind. Und diese Deradikalisierungskampagne hat eine Zeitlang auch gut funktioniert." Heute jedoch ist die terroristische Szene in Indonesien weit unübersichtlicher. "Da gibt es sehr viele unterschiedliche kleinere Gruppierungen, von denen nur einige Verbindungen zu den indonesischen und malaysischen IS-Kämpfern in Syrien besitzen", sagt Indonesien-Experte Andreas Ufen vom Hamburger GIGA-Institut.

Zwei ihrer größten ideologischen Anführer, die radikalen Geistlichen Aman Abdurrahman und Abu Bakar Bashir, sitzen bereits seit Jahren im Gefängnis. Auch sie haben sich wiederholt öffentlich zum IS bekannt. Den indonesischen Behörden ist es bislang jedoch nicht gelungen, ihre Verbindungen zur islamistischen Szene außerhalb der Gefängnismauern zu kappen. Insbesondere Indonesiens Gefängnisse seien sehr schlecht verwaltet, erklärt Ufen: "Viele Islamisten werden dort zusammen eingesperrt. Andere radikalisieren sich erst während ihrer Haftzeit. So scheinen sich gerade dort wichtige Rekrutierungsbasen für den IS formiert zu haben." Auch einige der Attentäter vom Januar 2016 waren ehemalige Gefängnisinsassen.

Abu Bakar Bashir im Januar 2016 (Foto: Reuters/D. Whiteside)
Der radikale Geistliche Abu Bakar Bashir soll unter anderem an der Planung der Anschläge auf Bali im Jahr 2002 beteiligt gewesen seinBild: Reuters/D. Whiteside

Gesellschaft wird konservativer

Experten beobachten zudem schon seit Jahrzehnten eine schleichende Islamisierung des Landes. "Diese hat sich nach der Demokratisierung noch beschleunigt," erklärt Susanne Schröter. "Noch vor zwanzig Jahren trug kaum eine Indonesierin Kopftuch. Heute gibt es immer mehr religiöse Filme, Bücher, Musikgruppen. Und es gibt massive Veränderungen im Rechtssystem." So wurde in der Provinz Aceh das gesamte Rechtssystem islamisiert, in anderen Landesteilen gibt es mittlerweile so genannte "By-Laws", islamische Verordnungen, die zusätzlich zum staatlichen Recht einzuhalten sind.

"Dies trägt dazu bei, dass vor allem die Rechte von Minderheiten bedroht sind. Und weil es dafür eine öffentliche Akzeptanz gibt, werden diese Minderheiten auch Opfer von Übergriffen gewalttätiger islamistischer Gruppen." Viele Indonesier befürworteten, dass Muslime mehr Rechte besitzen sollten als Nichtmuslime, "und vor diesem Hintergrund muss man verstehen, warum jetzt auch in Teilen der Gesellschaft die Akzeptanz für Dschihadisten steigt", so Schröter. Insbesondere Jugendliche würden vor diesem Hintergrund stark von der IS-Propaganda angezogen: "Da gibt es Filmchen, T-Shirts, Symbole und Logos, da werden quasi Fanartikel vertrieben. Und das ist äußerst populär."

Panzer und Soldaten auf einer Straße in Jakarta
Starke Militärpräsenz in Jakarta nach dem jüngsten Anschlag vom Januar, bei dem zwei Zivilisten getötet wurdenBild: Reuters/D. Whiteside

"Keine unmittelbare Gefahr für die Demokratie"

Trotz dieser Entwicklungen bleibt die islamistische Szene in Indonesien vergleichsweise klein. Die überwältigende Mehrheit der Indonesier lehne auch weiterhin fundamentalistische Ideologien oder gar terroristische Akte rigoros ab, betont Andreas Ufen vom Hamburger GIGA-Institut. Er glaubt nicht, "dass durch den islamistischen Terrorismus der relativ offene indonesische Islam unmittelbar gefährdet ist." Susanne Schröter rechnet aber damit, dass die Regierung unter Präsident Jokowi ihren Anti-Terror-Kampf in Zukunft deutlich verschärfen wird. "Der Staat muss seine Mischung aus Sicherheitsmaßnahmen und ideologischem Gegenangebot wiederaufnehmen und schauen, dass man jetzt zumindest die radikalen Moscheen schließt, in denen nach wie vor offen zum Dschihad aufgerufen wird."