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Politik

"Indonesien steht auf der Kippe"

13. Februar 2017

Die Gouverneurswahl in Jakarta an diesem Mittwoch steht im Schatten einer zunehmenden Islamisierung von Politik und Gesellschaft Indonesiens, erläutert Berthold Damshäuser im DW-Gespräch.

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Proteste von Islamisten in Jakarta (Foto: Getty Images/AFP/A. Berry)
Bild: Getty Images/AFP/A. Berry

Deutsche Welle: Indonesien und moderater Islam werden im Westen häufig in einem Atemzug genannt. Wie steht es denn aus Ihrer Sicht um den moderaten Islam in Indonesien?

Berthold Damshäuser: Ich beschäftige mich seit 40 Jahren intensiv mit Indonesien. In dieser Zeit hat sich das Land grundlegend verändert, auch in kultureller und religiöser Hinsicht. Äußerlich sichtbar wird das schon daran, wie sich insbesondere Indonesierinnen heute kleiden, die "islamische Kleidung" hat sich durchgesetzt, kaum noch sieht man Frauen ohne "Jilbab" (eine Art Kopftuch). Der traditionelle moderate Islam wird schwächer, religiöse Toleranz schwindet, islamistische Kräfte werden immer stärker. Indonesien steht gewissermaßen "auf der Kippe".

Berthold Damshäuser (Foto: Edith Koesoemawiria)
Indonesien-Experte Damshäuser: "Land hat sich in letzten 40 Jahren grundlegend verändert"Bild: Edith Koesoemawiria

Was zeichnete das Land damals aus?

Auch damals bekannten sich bereits rund 85 Prozent der Indonesier zum Islam, doch war dies oft ein formales Bekenntnis. In den 70er Jahren war das Land noch sehr stark von der traditionellen javanischen Kultur geprägt, die als Leitkultur Indonesiens gelten konnte. Diese Kultur zeichnete sich durch einen toleranten Synkretismus aus, eine Verbindung bzw. Vermischung von Animismus, Hinduismus/Buddhismus und dem Islam. Man sprach nicht zu Unrecht von einer "javanischen Religion", deren Vertreter auf die dogmatischen Systeme der Buchreligionen herabblickten und sich der javanischen Mystik (Kebatinan) zuwandten, die islamische, hinduistische, zuweilen auch christliche Elemente keineswegs ausschloss. In javanischen Familien kam es sogar vor, dass man einige seiner Kinder taufen ließ, andere als Muslime großzog.

Das alles ist mittlerweile nahezu verloren gegangen. Auch Javaner wenden sich von ihrer Kultur ab, so dass man sagen kann, dass die javanische Identität als Folge der seit den 80er Jahren erfolgten verstärkten Islamisierung durch eine islamische Identität ersetzt wurde. Ähnliches gilt für andere indonesischen Ethnien, deren Identität ebenfalls primär eine islamische geworden ist. Leider begünstigt dies die mittlerweile immer stärker werdenden islamistischen Tendenzen und das Schwächerwerden des moderaten Islam.

Was würde ihrer Ansicht nach denn einen moderaten Islam auszeichnen?

In Indonesien könnte man das Verhältnis zur Staatsideologie Pancasila als "Prüfstein" betrachten. Das erste Prinzip von Pancasila besagt, dass der indonesische Staat auf Monotheismus basiert und nicht auf einer bestimmten Religion. Das schließt einen Scharia-Staat aus. Und natürlich auch die Ablehnung eines Gouverneurs, nur weil dieser Christ und kein Muslim ist. Konkret: Jeder, der den gegenwärtigen christlichen Gouverneur Jakartas deshalb ablehnt, kann nicht mehr als "moderat" gelten. Leider werden nicht-moderate Auffassungen in diesem Sinne vielleicht bereits von einer Mehrheit der indonesischen Bevölkerung geteilt.

Islamisten-Führer Habib Rizieq in der Menge (Foto: Reuters/D. Whiteside)
Der radikale Prediger Habib Rizieq führt die "Front für die Verteidigung des Islam" in IndonesienBild: Reuters/D. Whiteside

Wie reagiert die indonesische Politik auf die immer stärker werdenden islamistischen Tendenzen?

Unterschiedlich. Zum Teil hilflos, zum Teil berechnend. Leider gibt es seit langem politische Kräfte, die sich von einer Zusammenarbeit mit Islamisten Vorteile versprechen. Zum Beispiel mit der sogenannten "Front für die Verteidigung des Islam". Die wurde bereits 1998, also noch unter der autoritären Regierung des früheren indonesischen Staatspräsidenten Suharto gegründet, und zwar als Bollwerk gegen liberale Kräfte, die gegen Suharto demonstrierten. Die Liberalen setzten sich damals dennoch durch und zwangen Suharto zum Rücktritt. Aber der Geist war aus der Flasche: Es scheint legitim sich im politischen Kampf mit den Islamisten zu verbünden. Das findet bis heute seine Fortsetzung.

Wie genau passiert das?

Gerade die Entwicklung der letzten Wochen und Monate legt nahe, dass sich sogar ein Teil der säkularen politischen Elite Indonesiens, und zwar insbesondere die Gegner des jetzigen Präsidenten Joko Widodo (Jokowi) in verstärktem Maße der Islamisten bedienen, insbesondere der genannten "Front für die Verteidigung des Islam". Sie hofieren deren Vorsitzenden Habib Rizieq, der dadurch immer mehr an politischem Gewicht gewinnt und sich mittlerweile sogar zum "Groß-Imam des indonesischen Islam" ernannt hat, ein geradezu absurder Anspruch, dem leider von nicht wenigen Indonesiern stattgegeben wird. Rizieq ist es gelungen, die "Schmuddelecke" zu verlassen, in der er als Hassprediger, der sogar schon zum Mord an Ungläubigen aufgerufen hat, unbedingt hätte bleiben müssen. Hier ist ein Geist gerufen worden, den die auf kurzfristigen Vorteil bedachten indonesischen Politiker vermutlich nicht mehr los werden.

Islamisten-Führer Habib Rizieq in der Menge (Foto: Reuters/D. Whiteside)
Der radikale Prediger Habib Rizieq führt die "Front für die Verteidigung des Islam" in IndonesienBild: Reuters/D. Whiteside

Wer stellt sich in Indonesien dem Islamismus entgegen?

Zum Glück gibt es noch starke Kräfte in Indonesien, die dazu in der Lage sind und dies auch tun. Zum Beispiel die PDIP, die Partei der früheren Staatspräsidentin Megawati. Auch breite Teile der indonesischen Zivilgesellschaft, liberale Intellektuelle  und Medien, die moderaten islamischen Organisationen werden sich den Islamisten nicht so einfach ergeben. Und deshalb steht der Ausgang dieses Kulturkampfes auch noch nicht fest. Die Regierung allerdings wirkt zögerlich und hilflos, obwohl Präsident Jokowi sicherlich ein ideologischer Gegner der Islamisten ist, die ja zum Teil auf seinen Sturz hinarbeiten. Dass er ein Verbot der verfassungsfeindlichen "Front für die Verteidigung des Islam" offensichtlich für zu riskant hält, sagt einiges aus. Auch der Haltung des traditionell säkularen indonesischen Militärs sind sich viele in Indonesien nicht mehr sicher.

Warum zögern die liberalen bzw. säkularen Kräfte?

Im politischen Diskurs in Indonesien ist es geboten, größte Rücksicht auf die mehrheitlich (85 Prozent) muslimische Wählerschaft zu nehmen. Und Kritik an Islamisten wird auch von vielen moderaten Muslimen als Angriff auf den Islam selbst interpretiert. In Indonesien herrscht bei vielen Muslimen die Auffassung, dass es gilt, den Islam gegen starke und aggressive Feinde im In- und Ausland zu verteidigen: Gegen westlichen Neo-Imperialismus und Kulturimperialismus, gegen Neo-Liberalismus, gegen einen angeblich wieder erstarkenden indonesischen Kommunismus und neuerdings auch gegen den Einfluss Chinas auf die indonesische Wirtschaft und die indonesische Regierung. Und dieses populären "Verteidigungs-Narrativs" bedienen sich insbesondere die Islamisten. Wer sich ihrer Argumentation widersetzt und sie bekämpfen will, gilt schnell als "islamophob" und wird als Beleg dafür betrachtet, dass sich der Islam zu Recht verteidigen muss. Natürlich wird die Realität dadurch auf den Kopf gestellt.

Wie steht es angesichts solcher Entwicklungen um die indonesische Demokratie?

"Demokratie" ist eines der vielen diffusen Wörter, die wir auch in diesem Interview verwenden müssen. Die real existierende liberale Demokratie in Indonesien ist, trotz all ihrer Schwächen, bislang erfolgreich. Die Frage ist natürlich, wie gefestigt sie ist. Es gibt starke, auch säkulare Kräfte, die eine liberale Demokratie nach westlichem Vorbild für Indonesien als ungeeignet betrachten. Zum Beispiel Ex-General Prabowo Subianto, der bei den letzten Präsidentschaftswahlen nur knapp unterlag. Und neben ihm gibt es viele weitere Befürworter einer Rückkehr zu einem autoritären System. Vermutlich auch im Militär. Wenn die autoritären Kräfte, wie es sich zuweilen andeutet, ein Bündnis mit den Islamisten eingehen und dadurch über die nächsten Präsidentschaftswahlen an die Macht gelangen, müssten sie die Verfechter eines exklusiven, radikalen oder intoleranten Islam "belohnen". Im schlimmsten Fall entstünde ein autoritär-islamistischer Staat. So weit muss es nicht kommen, aber mittlerweile liegt das leider im Bereich des Möglichen.

Berthold Damshäuser ist Malaiologe und lehrt seit 1986 an der Universität Bonn. Er ist. Mitherausgeber von "Orientierungen –Zeitschrift zur Kultur Asiens" sowie des 2015 erschienen Buches "Wege nach – und mit – Indonesien".

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia