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Indonesien-Tribunal fordert Umdenken in Jakarta

Gero Simone 16. November 2015

Die Massaker der Kommunistenverfolgung in Indonesien sind auch nach 50 Jahren nicht aufgearbeitet. Ein hochrangiges, jedoch inoffizielles Tribunal in Den Haag fordert Jakarta auf, sich der Vergangenheit zu stellen.

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Menschenrechtstribunal zu Indonesien in Den Haag - Anzünden von Kerzen zum Opfergedenken (Foto: DW(G.Simone)
Bild: DW/G. Simone

Weil man die Zeugin nicht sehen kann, sind es nur ihre Worte, auf die sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden richtet: "Ich war jahrelang auf der Suche nach meinen Eltern, meinen Geschwistern und anderen Familienangehörigen. Ich habe alles versucht." Das Menschenrechtstribunal zur Massengewalt in Indonesien behandelt gerade den Anklagepunkt Entführungen. Obwohl die Zeugin mittlerweile die niederländische Staatsbürgerschaft besitzt, zieht sie es vor, ihre Aussage hinter einem drei Meter hohen schwarzen Vorhang zu machen. Zu groß ist die Angst, dass sie ihre Familie in Indonesien in Gefahr bringen könnte.

In einer ehemaligen Kirche im Zentrum von Den Haag, die als Gerichtssaal dient, herrscht vollkommene Ruhe, als die Stimme der Zeitzeugin wegbricht und ihre Worte teilweise im Schluchzen untergehen: "Immer wenn ich darüber spreche, kann ich nur vor Schmerzen weinen. Allein meine kleine Schwester habe ich nach vier Jahren wiedergefunden. Von den anderen sechs fehlt bis heute jede Spur."

Chefankläger Todung Mulya Lubis (Foto: DW)
Chefankläger Todung Mulya Lubis hofft auf Wirkung des Tribunals in JakartaBild: DW/G. Simone

Wird Präsident Widodo zuhören?

In Indonesien begann im Oktober 1965 eines der größten Massaker des 20. Jahrhunderts. Diktator Suharto ließ mindestens 500.000 Mitglieder und Sympathisanten der Kommunistischen Partei Indonesiens mithilfe von Militär und Zivilisten ermorden. Etwa eine Millionen weitere Menschen wurden inhaftiert. Obwohl Indonesien seit 1998 eine Demokratie ist, hat die Regierung die Verbrechen bisher nicht angemessen aufgearbeitet. Sämtliche Versuche der Zivilgesellschaft, die Regierung zum Umdenken zu bewegen, waren vergebens.

Deswegen haben sich einige Menschenrechtsaktivisten und Opferorganisationen zusammengeschlossen, um jetzt, ein halbes Jahrhundert danach, ein inoffizielles Tribunal auf internationaler Ebene abzuhalten. Das viertägige Gerichtsverfahren sollte zwar Prozessen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag ähneln, juristische Folgen wird es aber nicht haben. Die Organisatoren setzen vielmehr auf den Symbolcharakter und die internationale Aufmerksamkeit, um Druck auf die Regierung von Präsident Joko Widodo auszuüben.

Ehemalige Kirche in Den Haag dient als Gerichtssaal für das Indonesientribunal (Foto: DW)
Ehemalige Kirche in Den Haag dient als Gerichtssaal für das IndonesientribunalBild: DW/G. Simone

Anklagepunkte gegen den Staat

Chefankläger Todung Mulya Lubis, der prominente indonesische Menschenrechtsanwalt, hat mit seinem Team neun Anklagepunkte gegen den indonesischen Staat ausgearbeitet, darunter Mord, Freiheitsberaubung, Versklavung, sexuelle Gewalt und Folter. Lubis setzt sich seit Jahren für die Einhaltung der Menschenrechte in Indonesien ein. Für ihn ist das Tribunal ein großer Schritt: "Es kann die Einstellung der Regierung ändern. Sie muss sich endlich ernsthaft mit den Menschenrechtsverletzungen auseinandersetzen, damit der Heilungsprozess beginnen kann."

Vor etwa einem Dutzend aus Indonesien angereisten Opfern der Massengewalt sowie internationalem Publikum las der vorsitzende Richter Zak Yacoob am Freitagnachmittag das vorläufige Statement vor: "Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass in Indonesien ohne jeden Zweifel schwere Menschenrechtsverletzungen in dem von den Zeugen geschilderten Ausmaß geschehen sind." Zudem bedauerte Yacoob, dass trotz Einladung kein Vertreter der indonesischen Regierung zum Tribunal erschienen war. Bis zum Frühjahr 2016 werden die sieben international erfahrenen Richter alle Beweise der Anklage detailliert prüfen und dann eine abschließende Erklärung verkünden, verbunden mit Handlungsempfehlungen an die indonesische Regierung.

Menschenrechtstribunal zu Indonesien in Den Haag - Vorsitzender Richter Zak Yacoob: (Foto: DW)
Vorsitzender Richter Zak Yacoob: "Kein Zweifel an schweren Menschenrechtsverletzungen des indonesischen Staates"Bild: DW/G. Simone

Indonesien lehnt "Einmischung" ab

Nach dem Statement der Richter umarmten sich einige Opfer sichtlich erleichtert. Einer von ihnen ist Bedjo Untung, der neun Jahre unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert war, Zwangsarbeit verrichten musste und mit Elektroschocks gefoltert wurde: "Es hat mich tief im Herzen berührt, dass die Richter klar anerkannt haben, wofür wir seit Jahren kämpfen. Jetzt liegt es an der indonesischen Regierung, die Aufarbeitung fortzusetzen."

Zwar hatte die indonesische Menschenrechtskommission bereits 2012 auf nationaler Ebene in einem Bericht festgestellt, dass es in Indonesien damals zu Menschenrechtsverletzuungenm gekommen war. Allerdings blieb der Bericht bis heute ohne Folgen, weil Generalstaatsanwalt H. M. Prasetyo bisher keine Ermittlungen eingeleitet hat. Als Reaktion auf das Tribunal in Den Haag sagte er gegenüber dem indonesischen Magazin "Kompas" nur, dass sich niemand in nationale Angelegenheiten einmischen müsse: "Das sind unsere Probleme, die wir selbst lösen werden."

Menschenrechtstribunal zu Indonesien in Den Haag - Verfolgungsopfer Bedjo Untung aus Jakarta (Foto: DW)
Verfolgungsopfer Bedjo Untung aus Jakarta: "Genugtuung über die Arbeit des Tribunals"Bild: DW/G. Simone

Sorge um Sicherheit von Zeugen

Während des Tribunals hatten die Organisatoren teilweise mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ihre Website war Ziel von Hackerangriffen und konnte aus Indonesien nicht abgerufen werden. So konnten viele Indonesier den Prozess nur über Umwege im Livestream verfolgen. Zudem waren die Organisatoren sehr um die Sicherheit der geladenen Zeugen und Ankläger des Tribunals besorgt. Für ihre Rückkehr nach Indonesien wurde eigens ein Sicherheitsplan ausgearbeitet.

Immer wieder werden in Indonesien Aktivisten bedroht, die sich für Menschenrechte einsetzen. Im August musste eine Konferenz zur Massengewalt von 1965 in Salatiga auf Java abgesagt werden, aufgrund von massiver Bedrohungen der Islamischen Verteidigungsfront FPI. Einer der Zeugen sagte auf der abschließenden Pressekonferenz in Den Haag: "Betet für mich, dass ich sicher nach Indonesien zurückkomme und meine Familie in den Arm nehmen kann."