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Indyk: Assad könnte Chemie-Waffen einsetzen

Michael Knigge2. Februar 2013

Der ehemalige US-Botschafter in Israel, Martin Indyk, erklärt im DW-Interview die Verbindungen zwischen der Syrien-Krise und dem Atomkonflikt mit dem Iran. Er traut Assad den Einsatz von Chemiewaffen zu.

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Martin Indyk (Foto: DAPD)
Bild: AP

DW: Nach den Luftangriffen auf Syrien haben sowohl Syrien als auch Iran Israel mit Konsequenzen gedroht. Wie fragil ist die Situation im Nahen Osten?

Martin Indyk: Hier spielen kurz- und langfristige Faktoren eine Rolle. Irans Streben nach Atomwaffen und sein Einfluss auf Regime in der Region ist eine langfristige Herausforderung für die Stabilität der Region. Die Revolutionen wiederum haben neue Möglichkeiten geschaffen. Wir beobachten das in Nordafrika, in Libyen, Algerien, Mali und Ägypten. Darüber hinaus haben wir die Syrienkrise, die immer weiter im Chaos versinkt.

Ich glaube, dass es an all diesen Fronten erst einmal schlimmer wird, bevor sich die Situation verbessert. Obwohl ein israelisch-syrischer Konflikt möglich ist, halte ich ihn nicht für sehr wahrscheinlich. Der gefährlichere Aspekt in der Syrien-Krise ist die Abwärtsspirale ins Chaos, was vielleicht zu viel mehr zivilen Opfern in Syrien führen könnte und zum Einsatz chemischer Waffen - als letztes Mittel des Regimes.

Befürchten Sie, dass es zu einem größeren militärischen Konflikt im Nahen Osten kommen könnte?

Ich glaube nicht, dass die jüngste Krise zwischen Israel und Syrien dazu führen wird. Es sei denn, die Syrer glauben, dass es von Vorteil wäre Israel in einen Konflikt zu verwickeln. Die Syrer wollen ihre Luftwaffe nicht verlieren, weil sie sie gegen die Opposition einsetzen. Das würde aber sehr schnell passieren, wenn sie sich mit Israel anlegten. Ich glaube, die Syrer werden sich zurückhalten - wir werden sehen.

Iran kann drohen, aber es ist nicht zu Taten fähig - außer vielleicht zu einer Verstärkung des Terrorismus. Ich glaube nicht, dass Iran einen größeren Krieg auslösen wird. Es gibt immer die Möglichkeit eines israelischen oder amerikanischen Militärschlags auf Irans Atomanlagen, wenn sich das Land entscheiden sollte, die Bombe zu bauen. Das könnte dramatische Reaktionen in der Region auslösen.

Ich glaube, wir bewegen uns auf eine sehr angespannte Phase zu. 2013 wird ein Jahr sein, in dem der Nahe Osten noch unbeständiger sein wird als er es ohnehin schon ist.

Könnten sich die israelischen Luftschläge kontraproduktiv auf den syrischen Bürgerkrieg auswirken? Schließlich geben sie Assad die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit vom Konflikt innerhalb Syriens abzulenken und die Syrer gegen den ausländischen Feind hinter sich zu scharen.

Israelischer Kampfjet
Israelischer KampfjetBild: Getty Images

Das ist ein Problem, aber ich glaube, die Israelis haben sich sehr lange zurückgehalten, weil sie wissen, dass es dem Regime nützen könnte. Aber die Syrer haben eine rote Linie Israels überschritten, die seit 1976 existiert: dass sie keine Boden-Luft-Raketen an die Hisbollah und ihre Verbündeten im Libanon liefern. Das ist schon immer eine rote Linie für Israel gewesen und die Syrer wussten das. Sie haben sich immer daran gehalten – offenbar bis jetzt. Ich glaube, die Israelis sind zu dem Schluss gekommen, dass es trotz des von Ihnen gerade angesprochenen Risikos die bessere Lösung war, ihnen klar zu machen, dass sie das nicht akzeptieren würden.

Russland hat Israels Aktion sehr deutlich verurteilt. Welche Rolle spielt Moskau hier?

Die Russen lenken viel Aufmerksamkeit auf sich, aber ich glaube nicht, dass das etwas bewirkt. Die Russen tun ihr Bestes, um den Konflikt in Grenzen zu halten, ihn auf eine Weise zu lösen, die ihren eigenen Einfluss nicht schmälert. Sie versuchen, sich von Assad zu distanzieren, aber sie wollen ihn nicht fallen lassen. Sie würden gerne erreichen, dass er abtritt, aber das wollen sie nicht sagen.

Ich glaube, ein Teil der russischen Sorge ist, dass die Vereinigten Staaten Syrien aus Russlands Einflussbereich herauslösen, aber ich bin der Meinung, dass das eine unbegründete Sorge ist. Ich glaube nicht, dass Präsident Obama auf Syrien sehr erpicht ist. Es ist sehr klar, dass er sich nicht so weit einmischen will. Die Vereinigten Staaten und Russland könnten diese schlimme Situation gemeinsam angehen, bevor es dazu kommt, dass das Regime chemische Waffen einsetzt. Das wäre ein Desaster.

Was ist Ihre Prognose für Syrien und Assad? Wie wird sich der syrische Bürgerkrieg entwickeln?

Ich habe eine ziemlich düstere Prognose. Ich glaube, dass Assad seine Wahlmöglichkeiten für sehr begrenzt hält: töten oder getötet werden. Und solange das der Fall ist, wird die Lage weiter eskalieren. Er benutzt jede Waffe, die ihm zur Verfügung steht: von Panzern über Artillerie, Hubschraubern und Bombern bis zu der Andeutung, chemische Waffen einzusetzen. Ich glaube, wenn es zu einem verzweifelten letzten Akt kommt, wird er sie benutzen, um eine Art Reststaat zu etablieren und eine Art ethnische Säuberung mit chemischen Waffen durchzuführen. Und das ist eine erschreckende Aussicht.

Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. 60.000 Menschen wurden bereits getötet. Wie kommt das?

Der kritische Moment, der Assad einen Strich durch die Rechnung machen kann, sind die Russen. Wenn die Russen klar machen, dass sie ihn nicht unterstützen, bleibt ihm nur noch der Iran. Und die Iraner können nicht viel tun, um ihn zu schützen. In der Tat bauen die Iraner kontinuierlich ihre Beziehungen zu einer ganzen Reihe von Akteuren aus, um ihre eigene Position zu schützen. Auch sie haben angedeutet, dass sie Assad nicht fallen lassen wollen. Wenn die Russen ihn fallen ließen, würde Assad vielleicht seine Haltung ändern. Dann verstünde er vielleicht, dass das Spiel vorbei ist, und bereitete seinen Abgang vor.

Martin Indyk ist Vize-Präsident und Direktor für Außenpolitik an der Brookings Institution in Washington. Er war von 1995 bis 1997 und von 2000 bis 2001 amerikanischer Botschafter in Israel.

Das Interview führte Michael Knigge.