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Infantilisierende Komik

Robert Schurz / sam7. Januar 2003

Man kann darüber lachen oder sich über das Niveau der Scherze ärgern, die sich im deutschen Fernsehen über den Bildschirm quälen. Auf jeden Fall stellt sich aber die Frage, warum unser Leben so komisch geworden ist.

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Brutal? Aggressiv? Entwürdigend? Aufklärend?Bild: AP

Seit 15 Jahren hat sich die Anzahl der Comedy-Sendungen verachtfacht. Nach dem Erfolg von RTL-Samstag Nacht wurde eine Comedy-Schiene nach der anderen aus der Taufe gehoben. Gesendet wird nur das, was Quote macht. Es ist also Unsinn, die Medien für das schelten zu wollen, was sie senden. Man müsste eher die Gesellschaft kritisieren, die sich nach der Nachfrage ausrichtet, und damit auf das, was der Humanismus die niedrigsten Regungen des Menschen nannte; wie etwa Schadenfreude.

Symptom des Überdrusses

Erklärungen für den Boom der Scherze gibt es eine Menge. Sie alle stimmen darin überein, dass die grassierende Komik ein Symptom des Überdrusses ist. Soziologen haben Begriff der Erlebnisgesellschaft als Zeichen der "Postmoderne" geprägt: Da die Zivilisation das Leben der Menschen sinnleer mache, sei nur noch das Erlebnis anzustreben, das "Event". Events sollen nur einen kurzfristigen Reiz bieten und Komik als Event muss ein "Brüller" sein, wie es im Jargon der Comedy-Schreiber heißt. Ein Witz, über den man nicht nachdenken muss.

Das ist die Logik der Dekadenz: Die Reize müssen entweder stärker werden, um noch erregen zu können, oder die Anzahl der Reize muss erhöht werden. Beides findet momentan statt. Doch das erklärt nur den Boom der Unterhaltung allgemein, nicht speziell die Zunahme der Comedy in den letzten 15 Jahren. Eine Erklärung wäre, dass die drohenden Katastrophen der globalisierten Welt verdrängt werden müssen. Man kann sich ihnen gegenüber unempfindlich machen - mit Hilfe von Comedy.

Begierden und Eitelkeiten

In der Tat: Brutalität ist das Markenzeichen des Comedy-Booms: Harald Schmidts Spott zielt so vor alledem auf jede Art von Betroffenheit und dem daraus folgenden Engagement. Er zeigt am deutlichsten, wie sehr wir alle Befehlsempfänger unserer Begierden und Eitelkeiten sind und wie wenig Sinn es hat, irgendetwas verbessern zu wollen.

Wo ist aber in dieser Entlarvung die Grenze zwischen Aufklärung und bloßer Entwürdigung? Natürlich gab es auch beim "Maschendrahtzaun" ein aufklärendes Moment, sofern kleinliche Nachbarschaftsstreitereien hier zum Lebensinhalt geworden sind. Nur: Darum ging es nicht, sondern nur noch um eine naive Frau, die sich vorführen und zum Idioten machen ließ. Das aufklärerische Moment ist weit in den Hintergrund getreten.

Universelle Verantwortungslosigkeit

"Das Schwierige ist, dass alles erlaubt ist", so der Sketch-Schreiber Matthias Täfrich. "Vor 50 Jahren gab es Tabus, mit denen man spielen konnte." Ohne den Reiz des Tabubruchs würde, so könnte man meinen, die Lust an der Comedy zurückgehen. Das Gegenteil ist der Fall. Unermüdlich wiederholen sich die Geschmacklosigkeiten, die keinen mehr provozieren. Es ist der Mensch selber, der jeden Respekt vor sich selber kündigt. Diese Kündigung hat eine fatale Kehrseite, die in einer universellen Verantwortungslosigkeit besteht. Indem der Mensch sich zum Deppen erklärt, hofft er, sich von jeder Verantwortung befreien zu können.

Sigmund Freud
Sigmund FreudBild: AP

"Das Denken wird für einen Moment auf die kindliche Stufe zurückversetzt, um so der kindlichen Lustquelle wieder habhaft zu werden", so Sigmund Freud in seinem Buch über den Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Für Freud bedeutet der Witz einen "infantilen Typus" des Denkens. Der Witz, so die Theorie, enthält eine kindliche Art der Realitätsverarbeitung, die beim Erwachsenen einen komischen Eindruck macht.

Das Kind lacht nach Freud im Überlegenheitsgefühl oder aus Schadenfreude: Du bist gefallen, und nicht ich. Erwachsene verspüren unter den gleichen Bedingungen das komische Gefühl. Das Komische ist so im Grunde nichts anderes als verdrängte primitive Gefühlsregungen. Das wirft ein neues Licht auf den Comedy-Boom, der davon lebt, dass in unserer Gesellschaft eine gewaltige Infantilisierung stattfindet.

Unmündigkeit, Aggression, Gefühlskälte

Zwei Momente also liegen dem gegenwärtigen Erfolg von Comedy zugrunde: einerseits die Tendenz zur Unmündigkeit und Infantilität, andererseits eine zunehmende Aggressivität, die wiederum an der Abwehr von Betroffenheit liegt, an einer systematischen Einübung in jene Gefühlskälte, die Komik erst ermöglicht. Beide Faktoren hängen zusammen, denn gerade der infantilisierte Erwachsene ist der Typus mit unbekümmerter Aggressivität, den kaum etwas betrifft. Vielleicht ist ja die Infantilisierung der Gesellschaft und der dazugehörige Comedy-Boom nur eine vorübergehende Erscheinung, und wir hören in dem Moment auf, Spielkinder zu sein, wenn die Lage wirklich ernst wird. Vielleicht aber können wir diesen Punkt dann gar nicht mehr realisieren, wie eben Kinder, die noch nicht wissen, wann der Spaß vorbei ist.