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Wie war die DDR?

Das Gespräch führte Gabriela Schaaf6. Januar 2009

Die Wende. Der Umbruch. Die Zeit danach. Das sind Themen des Schriftstellers Ingo Schulze. Im Interview mit DW-WORLD.DE spricht der Autor über sein persönliches Bild der DDR – und das "Verschwinden des Westens".

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Ingo Schulze, deutscher Schriftsteller ("Simple Storys", "Neue Leben"), Foto: dpa - Report
Der Schriftsteller Ingo SchulzeBild: PA/dpa

DW-WORLD.DE: Herr Schulze – Ihr persönliches Bild der DDR, wie sähe das aus?

Ingo Schulze: Wie sähe das aus? Es wären viele Bücher. Es wären alte Häuser, es wäre relativ viel Zeit und viele Treffen in Wohnungen. Ich glaube, diese Privaträume, Wohnungen, Küchen, aber auch Spaziergänge, das ist etwas sehr Markantes gewesen. Dass man sich, wenn man sich besuchte, dafür lange verabreden musste. Oder dass man einfach mal an der Tür klingelte und hoffte, dass jemand da ist. Aber all diese Generalisierungen neigen natürlich auch schon zum Klischee.

In den deutschen Feuilletons ist das Erinnern an die DDR wieder ein großes Thema. Die Zeit etwa hat geschrieben: "Den Deutschen gelingt es nicht, sich zu erinnern. Es wird gelogen, geschwiegen oder gestritten." Stimmt das?

Mit jeder neuen Erfahrung schaut man ja auch neu auf die Vergangenheit zurück. Und selbstverständlich gibt es widersprüchliche Erfahrungen, die sich nicht vereinen lassen. Es gibt nicht die eine Wahrheit. Und deswegen finde ich ganz gut, dass es Kunst gibt: In einer Geschichte, in einem Gedicht oder in einem Theaterstück können Wahrheiten nebeneinander stehen. Eigentlich schreibe ich auch deshalb, weil ich keine Generalisierung mehr abliefern möchte.

Die DDR ist ein real verschwundenes Land. Was erinnert Sie überhaupt noch an früher, wenn Sie zum Beispiel durch Dresden, die Stadt ihrer Kindheit, gehen?

Die wiederaufgebaute Frauenkirche in Dresden, Foto: AP
Die Frauenkirche in Dresden - nach dem WiederaufbauBild: AP

Ich bin vor zwei Jahren nach Dresden gefahren, ohne Freunde zu benachrichtigen, nur um einfach mal allein durch die Stadt gehen zu können. Es war ernüchternd. Ich habe nie für die Frauenkirche gespendet, die Silhouette gefiel mir aber, und dann stand ich davor und dachte "Oh Gott, das soll das Zentrum von Dresden sein?" Aber viel schlimmer war das, was drum herum entstanden ist, dieses Disneyland für Touristen, aus Beton mit einer Gipsfassade davor. Da merkte ich plötzlich: Das, was ich nie geliebt hatte, diese Melange aus Dresdner Barock und Stalinismus, war doch irgendwie noch Architektur gewesen, da ließ sich eine gewisse Zeit ablesen, das hatte nicht so eine Beliebigkeit. Jetzt versucht man im Dresdner Zentrum ein Märchenland zu bauen, aber eigentlich geht es nur noch um Tourismus und Kommerz. Was ich nie als Architektur empfunden habe, wird da plötzlich aufgewertet und kriegt ein nahezu menschliches Antlitz.

Sie haben ja auch kritisiert, dass die Architektur sehr viel Kahlschlag betrieben hat, beziehungsweise dass sie an alte Zeiten anknüpfen und Nationalsozialismus und DDR quasi überspringen will. Um an die DDR zu erinnern – soll man die alten Leninstatuen wieder aufbauen?

Ich bin ganz froh, dass die alten Leninstatuen weg sind. Aber zum Beispiel in Berlin den Palast der Republik abzureißen, ist absurd. In Berlin spüre ich einen regelrechten Hass auf die Moderne. Man hat den Eindruck, es soll ein Sprung vom Kaiserreich in die große Bundesrepublik gewagt werden, und das vollzieht sich auch im Kleinen. Ich möchte nicht die heruntergekommenen Häuser und die Einschüsse in den Fassaden zum Kult erheben. Dass vieles weg gerissen wird, könnte man ja irgendwie verschmerzen. Was aber dahinter passiert, das halte ich für gefährlich: dass immer mehr öffentlicher Raum verschwindet und immer mehr kommerzieller Raum entsteht. Zum Beispiel der Potsdamer Platz in Berlin. Da sind fast nur Touristen, da geht eigentlich kein Berliner hin. Das ist kein öffentlicher Raum mehr, der ist sozusagen an Firmen vergeben worden. Und so ist es mit vielen Dingen. Demokratie ist ja eben, dass es einen öffentlichen Raum gibt. In der DDR war das immer so etwas Offiziöses, aber jetzt, wo die Möglichkeit da ist, dass man wirklich eine Öffentlichkeit, einen öffentlichen Raum schafft, da schlägt der Kommerz zu und degradiert die Leute zu Konsumenten.

Das Wort Zweifel steht in leuchtenden Neon-Buchstaben auf dem Dach des ehemaligen Palastes der Republik in Berlin - aufgenommen am 01.02.2005, Foto: dpa - Report
Der Palast der Republik in Berlin - vor dem AbrissBild: dpa Zentralbild

Sie haben mal gesagt, das Verschwinden des Ostens sei weniger Ihr Problem als das Verschwinden des Westens. Was meinen Sie damit?

Damit meine ich einfach die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Ich kann nicht aus eigener Erfahrung sagen, wie es in den 1970er oder 1980er Jahren im Westen gewesen ist – nach allem, was ich gehört habe, gab es damals aber noch einen ganz anderen Standard, ein ganz anderes Bewusstsein von sozialer Gerechtigkeit. Seit 1990, seit ich den Westen kenne, ist immer mehr ökonomisiert worden, und die Politik befindet sich auf dem Rückzug. Warum kann man zum Beispiel die Bahn nicht zu einer Sache machen, die für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gut ist? Man könnte die Fahrpreise senken und eine ökologische Alternative aufbauen – warum muss die Bahn jetzt auch noch Gewinn machen? Es gibt sehr viele Dinge, die ich nicht gut finde in dieser Entwicklung, und das macht mich auch wütend.

Ingo Schulze, 1962 in Dresden geboren, lebt als freier Autor in Berlin. "Simple Storys" (1998), sein Roman aus der ostdeutschen Provinz, galt bei vielen Kritikern als der lang ersehnte Einheitsroman. Schulzes neues Buch "Adam und Evelyn", eine Tragikomödie aus dem Wendejahr 1989, war für den Deutschen Buchpreis 2008 nominiert.