1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Initiativen gegen Rassismus: Zu wenig effizient?

21. März 2018

Über 100 Millionen Euro gab die Bundesregierung 2017 aus, um durch Initiativen Vielfalt, Toleranz und Demokratie zu stärken. Trotzdem scheint der Rassismus in Deutschland zuzunehmen.

https://p.dw.com/p/2ue1V
Deutschland Berlin Demonstration gegen Rassismus und Diskriminierung
Bild: picture alliance/dpa/M. Weber

"Vor allem in unserem Psychosozialen Zentrum für Geflüchtete haben wir in den vergangenen Jahren immer mehr zu tun", sagt Isabel Teller. Teller ist Juristin, Mediatorin und Beraterin im Gleichbehandlungsbüro des Pädagogischen Zentrums Aachen. 1983 gegründet, bekommt die Initiative Gelder vom Bund und vom Land Nordrhein-Westfalen und hat mittlerweile sieben Schwerpunkte. Von der Hilfe für Opfer von rassistischer Gewalt bis hin zur Integration von Flüchtlingen. "Wir haben mittlerweile eine Warteliste von sechs Monaten für Menschen, die eine Traumatherapie machen wollen. Darauf haben wir uns hier in Aachen spezialisiert."

Expertin ist Teller mittlerweile auch beim Umgang mit den Standesämtern, beinahe täglich erreichen sie Beschwerden. Der Klassiker: Manche Standesbeamte sträuben sich, Geburtsurkunden für Kinder von Flüchtlingen auszustellen, die hier in Deutschland geboren sind. "Da werden die gesetzlichen Vorgaben so ausgelegt, dass es den Antragstellern oft unmöglich gemacht wird, irgendetwas zu erreichen." 

Rat- und Hilfslosigkeit angesichts des Rechtsrucks

Auffällig häufig wird Isabel Teller in letzter Zeit zu Podiumsdiskussionen oder Fachtagungen zum Thema Rassismus eingeladen. "Wir bemerken sowohl in der Gesellschaft ganz allgemein, von Behördenseite und auch von anderen Trägern eine Rat- und Hilflosigkeit angesichts dieser rechten Tendenzen. Wir müssen uns auch stärker positionieren als früher."

Düsseldorf Polizei Auszubildende mit Migrationshintergrund
Für Polizisten mit Migrationshintergrund ist der tägliche Rassismus in Deutschland immer noch realBild: picture-alliance/dpa

Und was könnte besser laufen, damit die Initiativen auch das erreichen, was sie sich vornehmen? Einerseits müsse eine einheitliche Struktur her, so dass alle Beratungsangebote im Bereich Rassismus zumindest landesweit in einem Ministerium angesiedelt sind, sagt Teller. Außerdem fordert sie eine andere Haltung der Politik und der Behörden. "Es kommen Polizisten mit Migrationshintergrund zu mir und beschweren sich über Diskriminierung durch Kollegen und Vorgesetzte. Ich sehe in dieser Struktur sehr viel Halbherzigkeit gegen antidemokratische Tendenzen."

"Rechts zu sein ist in Deutschland wieder schick geworden"

Dass Fremdenhass und Gewalttaten durch rechtsextreme Täter in Deutschland zunehmen, kann wahrscheinlich niemand besser bezeugen als Andrea Röpke. Die Journalistin listet seit Jahren in ihren Jahrbüchern über rechte Gewalt chronologisch alle Gewaltverbrechen mit rechtsradikalem Hintergrund auf. "Rechts zu sein ist in Deutschland wieder schick geworden", sagt Röpke. Um dem entgegenzuwirken, seien die Initiativen gegen Rassismus wichtiger denn je: "Die Initiativen machen alles richtig. Sie repräsentieren die deutsche Zivilgesellschaft, sie engagieren sich."

Deutschland Schriftsteller Andrea Röpke
Alltagsrassismus und Diskriminierungen nehmen trotz zahlreicher Initiativen zu, sagt die Journalistin Andrea RöpkeBild: Linus Lemming

Röpkes einziger Kritikpunkt: Rassistische Parolen würden vor allem über soziale Netzwerke verbreitet, und darauf habe man immer noch keine adäquate Antwort. "Die AfD ist zahlenmäßig mit über drei Millionen Likes die am meisten gemochte Partei. Deren Professionalität wurde und wird bis heute unterschätzt." Bei der juristischen Aufarbeitung rechter Straftaten gebe es außerdem noch große Mängel, es müssten auch noch mehr Gelder in nachhaltige Präventionsprojekte gesteckt werden.

Aussteigern aus der rechten Szene wird an Schulen mehr geglaubt

Exit ist eine Initiative, die aktiv wird, wenn es beim Kampf gegen Rassismus eigentlich schon zu spät ist. Sie hilft Aussteigewilligen, die rechtsextreme Szene zu verlassen. Seit dem Jahr 2000 fördert das Bundesfamilienministerium das Projekt. Bei Felix Benneckenstein hat das geklappt. Zehn Jahre lang war er ein überzeugter Nazi, heute ist er 31 und für Exit in der Aussteigerhilfe Bayern aktiv. Auch Benneckenstein nimmt eine Veränderung wahr: "Man muss vorsichtig sein. Die Szene hat durch den Rechtsruck Oberwasser bekommen und fühlt sich kurz vor der Revolution."

Rechtsextremismus Deutschland Symbolbild
Rechte Gruppierungen fühlen sich hierzulande im AufwindBild: picture-alliance/dpa/J. Schlueter

Benneckensteins größtes Pfund ist seine Glaubwürdigkeit. Neonazis, die auch aussteigen wollen, melden sich zuerst bei ihm persönlich. Und auch in Schulen hat sein Wort Gewicht: "Die Lehrer bestätigen mir regelmäßig, dass mir Dinge geglaubt werden, den Lehren selbst aber nicht, obwohl sie diese genauso vermitteln."

Stärkere Auseinandersetzung mit rechten Ideologien

Eine Frage wird Benneckenstein dabei immer wieder von den Schülern gestellt: "Ist das jetzt rechts, wenn ich sage, dass es zu viele Flüchtlinge in Deutschland gibt?" Eine Frage, die eine starke inhaltliche Auseinandersetzung erfordert, meint Benneckenstein. Und diese vermisst der Aussteiger vor allem beim Umgang mit rechten Ideologien: "Was den Schülern an rechtsradikalen Info-Ständen gesagt wird, muss thematisiert werden. Nur zu sagen, das ist böse und schlecht, reicht nicht."

EXIT Deutschland Logo Aussteigerprogramm für Neo-Nazis
Die Initiative Exit hilft beim Ausstieg aus der rechten Szene

Und was wäre Benneckensteins Strategie, damit die deutschen Initiativen gegen Rassismus erfolgreicher sind? "Mehr konservativ denkende Leute einbinden, in den Initiativen braucht es mehr politische Anschauungen." Menschen, die rechts denken, würden bei Beratern aus dem linksalternativen Bereich von vornherein abschalten. Das Wichtigste aber: "Mit den Menschen, die Ängste haben, reden. Sich auseinandersetzen. Immer wieder. Damit sie sich nicht radikalisieren."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur