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Meinungsvielfalt in Serbien

Nemanja Rujevic17. August 2016

Serbiens Premier Aleksandar Vučić lässt in einer Ausstellung Medienberichte zeigen, in denen er heftig kritisiert wird. Die Botschaft: Bei uns gilt die Pressefreiheit. Doch das Gegenteil ist der Fall, sagen Kritiker.

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Belgrad - Austellung Medien und Politik in Serbien (Foto: DW/I. Petrovic)
Bild: DW/I. Petrovic

Der verrostete Löffel ist immer dabei: Er ist in der Hand oder in der Hosentasche zu sehen, am liebsten aber hinter das Ohr gesteckt - jedenfalls wenn der bekannteste serbische Karikaturist Predrag Koraksić Corax den Premierminister Aleksandar Vučić zeichnet. Der Löffel soll an die Zeit erinnern, als der heutige Premier noch eifriger Nationalist und für Zensur zuständiger Informationsminister war. Dessen politischer Ziehvater, Vojislav Šešelj, hatte nämlich in den kriegerischen Neunziger Jahren gerne schwadroniert, dass man Kroaten am besten mit verrosteten Löffeln schlachten sollte. So nämlich erlägen sie entweder den Wunden oder einer Infektion. Diesem praktischen Hinweis für serbische Freischärler wiedersprach Aleksandar Vučić damals nicht. Deswegen bleibt in Corax' Karikaturen der Löffel der treue Begleiter des heutigen Machthabers.

Jetzt sind die Zeichnungen im Großformat in einer Galerie in Zentrum von Belgrad zu sehen. Ausgestellt sind dort zudem jede Menge kritische Medienbeiträge über Vučić und seine Regierung: Titelseiten, Artikel, Tweets. Die zahlreichen Ausstellungsbesucher können Schlagzeilen lesen, wie "Die Zirkusdarsteller, die unser Schicksal lenken", "Zensur oder Diktatur?" und "Die Macht eines Mannes ist gefährlich". Auch mehrere Artikel der Deutschen Welle auf Serbisch sind zu finden (Titelfoto).

Man könnte meinen, da hätten gewitzte Regierungskritiker Räume gemietet, um Vučić vorzuführen. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Die Ausstellung wurde von Vučićs Fortschrittspartei selbst organisiert. Doch zu welchem Zweck? Von der Partei will keiner darüber mit der DW reden. Offiziell heißt es: "Die Ausstellung dient nicht der Diffamierung der Medien, die beleidigend über Aleksandar Vučić schreiben. Sie ist der Beweis für Bürger, dass in Serbien nicht nur Kritik erlaubt ist, sondern auch extreme Kritik und absolute Unverantwortlichkeit für das Geschriebene und Gesagte."

Serbien Premierminister Aleksandar Vučić - Foto: Stephanie Lecocq (dpa)
Hat Medien in Serbien auf die Linie gebracht: Serbiens Premierminister VučićBild: picture-alliance/dpa/S. Lecocq

Kritik erlaubt?

Ist also alles bestens um die serbische Pressefreiheiten bestellt? Da würden die wenigen verbliebenen Kritiker im Land kräftig widersprechen. Jahrelang hat Vučić zielstrebig daran gearbeitet, unabhängigen Medien zum Schweigen zu bringen: Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wurden auf Linie gebracht, Privatsender über den Werbemarkt erpresst - fast die Hälfte der Werbung wird von Behörden oder staatlichen Firmen geschaltet. Talk-Shows verschwanden von heute auf morgen aus dem Programm, viele Journalisten verloren ihre Jobs oder gaben selbst auf.

Die meisten Boulevardblätter und Sender wirken inzwischen wie PR-Agenturen der Regierung. "Serbische Journalisten sind Anschlägen, Bedrohungen, Schikanen, Einschüchterungen, Gerichtsverfahren, politischer und anderer Einflussnahme ausgesetzt", schreibt die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch in ihrem diesjährigem Bericht. Ein schlechtes Zeugnis für Vučić, der seit Jahren den Europäer und Reformer gibt.

Belgrad - Austellung Medien und Politik in Serbien - Foto: I. Petrovic (DW)
Exponate aus der Ausstellung "Unzensierte Lügen"Bild: DW/I. Petrovic

Die Ausstellung mit dem Titel "Unzensierte Lügen" deuten Beobachter auf drei unterschiedliche Arten. Die erste Botschaft sei nach außen gerichtet. Sie gelte der EU, die penibel auf Meinungsfreiheit achtet: "Seht her, bei uns gibt es keine Zensur." Die zweite Botschaft sei für die eigene Wählerschaft gedacht: "Alles, was hier ausgestellt wird, sind nur dreiste Lügen." Die dritte Botschaft richtet sich an Journalisten: "Unsere Augen sind überall, kein kritisches Wort ist folgenlos."

2523 "Exponate" sind in der Ausstellung zu sehen - für die anderen der insgesamt 6732 gesammelten Werke war kein Platz. So viele kritische Medienbeiträge erschienen also aus Sicht der Fortschrittspartei in den vergangenen zwei Jahren - umgerechnet sind das pro Tag nicht einmal zehn täglich. Zum Vergleich: Allein im Juni dieses Jahres gab es insgesamt 12.833 Medienberichte über Vučić, die meisten mit positiver Tendenz, so Beobachter. Das erwähnen die Organisatoren der Ausstellung allerdings mit keinem Wort.

"Diese Regierung duldet keine Kritik, egal in welcher Form und Auflagenstärke sie erscheint. Es sind ohnehin fast alle Medien, vor allem Fernseh- und Radiostationen, auf Vučićs Linie gebracht worden", meint Dragoljub Petrović, der Chefredakteur der Tageszeitung Danas, deren Titelseiten auch ausgestellt sind. "Die Machthaber sind paranoid, besessen von der Vorstellung, dass alle Medien nur schön über die Regierung zu berichten haben. Man sitzt als Journalist an seinem Schreibtisch und muss sich den Kopf zerbrechen, ob man morgen als vermeintlicher ausländischer Agent oder Bremser der Reformen auf der Pressekonferenz des Premierministers erwähnt wird", sagt Petrović.

Karikaturisten wollen klagen

Die Ausstellung ist in Belgrad nur noch wenige Tage zu sehen. Danach, so die Ankündigung, soll sie durch Serbien touren. Möglicherweise aber wird es ein juristisches Nachspiel geben: Corax und andere bekannte Karikaturisten wollen gegen die Fortschrittspartei klagen - wegen Missachtung der Urheberrechte. Dabei hoffen sie eher auf einen symbolischen Sieg gegen das Regime als auf üppige Entschädigungen, die die Regierungspartei gewiss problemlos aus der gut gefüllte Parteikasse bezahlen könnte.

Der bekannte Anwalt Slobodan Beljanski glaubt, dass das Erfolg haben könnte: Es sei verboten, ein Werk ohne Erlaubnis des Autors auszustellen. Vor allem in so einem Kontext, wo alle Exponate als "Lügen" bezeichnet seien. "Zugegeben, unsere Justiz befindet sich in einer desolaten Lage. Das bedeutet aber keinesfalls, dass man alles hinnehmen darf. Es gibt Richter, die noch Wissen und Ehre haben. Aber in solch politisch aufgeladenen Fällen ist es in Serbien schwer, als Richter unabhängig zu bleiben", sagt Beljanski.

Die Verlage sind eher zurückhaltend. "Der größte Wunsch der Fortschrittspartei ist es, das ganze Gerede über die Ausstellung zu verlängern", meint Želimir Bojović, der stellvertretende Chefredakteur der serbischen Ausgabe der Newsweek. Auch sein Magazin ist vertreten, was Bojović als gewisse Auszeichnung für solide journalistische Arbeit betrachtet. Klagen werde Newsweek aber nicht. "Ja, unsere Autorenrechte sind verletzt worden. Anderseits aber sind unsere Titelseiten übergroß im Stadtzentrum ausgestellt. Eine bessere Werbung kann man sich kaum wünschen."