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Integration auf 60 mal 70 Zentimetern

16. Dezember 2010

Toleranz und Integration sollen ein Gesicht bekommen. In Deutschland lebende junge Menschen mit Migrationshintergrund stehen im Mittelpunkt eines ungewöhnlichen künstlerischen Projekts.

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Tarek Marestani mit seiner Protagonistin Wassima Ait-Oufkir (Foto: Omar Hairani)
Erste Skizzen: Tarek Marestani mit seiner Protagonistin WassimaBild: Omar Hairani

Schon lange trug sich Tarek Marestani mit dem Gedanken, junge Menschen mit ausländischen Wurzeln zu porträtieren. Die Idee für das Projekt hatte er schon vor ein paar Jahren, als er noch im Bundesland Niedersachsen lebte. Als er vor einem Jahr nach Berlin zog, empfand Marestani, dass jetzt die Zeit reif sei, das Projekt in Berlin zu verwirklichen.

Er nahm Kontakt zu Freunden und Menschen mit Migrationshintergrund in den Stadtteilen Kreuzberg, Neukölln und Wedding auf - jenen Stadtteilen, in denen in Berlin sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund leben. Er fragte sie, ob sie bereit wären, sein Projekt zu unterstützen, indem sie ihre Kinder bei ihm Modell sitzen lassen. Viele erklärten sich bereit mitzumachen.

Eine Brücke der Verständigung

Tarek Marestani vor einem Bild (Foto: dpa)
In Damaskus geboren, Studium in Florenz, seit 30 Jahren lebt er in Deutschland - Tarek MarestaniBild: picture alliance/dpa

Marestani erklärte ihnen den Hintergrund seines Projekts: "Es soll eine Brücke der Verständigung sein zwischen den Menschen mit Migrationshintergrund und der deutschen Gesellschaft. Und ich will einen sachlichen Dialog aufbauen und nicht einen polemischen Dialog."

Die Porträts werden übrigens in Acryl und Öl gemalt, einer Mischtechnik auf Leinwand, und werden ein Format von 60 mal 70 Zentimetern haben. Etwa 15 Jugendliche konnte der Künstler schon für sein Projekt begeistern. Insgesamt sollen es um die 30 jungen Leute werden, die daran teilnehmen. Die Jugendlichen wolle er porträtieren, weil sie die Zukunft der Gesellschaft seien, sagt Marestani. Dafür müssten sie aber lernen, sich anzustrengen, damit sie fähig sind, an der Gestaltung der Gesellschaft teilzunehmen. Andererseits müsse die Politik ihnen signalisieren: "Wir kümmern uns um euch, gebt euch Mühe, wir helfen euch, damit es vorwärts geht."

Jugendlichen eine Chance geben

Udo Steinbach (Foto: Omar Hairani)
Udo Steinbach: Junge Menschen dürfen nicht das Gefühl haben, sie seien nicht erwünschtBild: Omar Hairani

Der frühere Direktor des Hamburger Orient-Instituts, Udo Steinbach, der den Künstler schon lange kennt, unterstützt das Projekt. Wichtig sei ihm, so der Islamwissenschaftler, welche Rolle Jugendliche mit Migrationshintergrund künftig in dieser Gesellschaft spielen. Vor dem Hintergrund der Sarrazin-Debatte sei entscheidend, welche Chancen sie haben. Gegen die Jugendlichen werde gewissermaßen eine genetische Front aufgebaut. Sie würden ausgegrenzt, wenn der bayerische Ministerpräsident sagt, dass man Abstand nehme von Migration aus anderen Kulturkreisen.

Dies sei ein Schock für die Jugendlichen, weil sie merkten, dass sie damit gemeint sind. "In dieser Situation ist es wichtig, der Gesellschaft zu zeigen, dass den Jugendlichen eine Chance geben werden muss - und zwar in einer offenen Begegnung mit ihnen."

Gedanken und Träume widerspiegeln

Tarek Marestani beginnt seine künstlerische Arbeit erst nach gründlicher Vorbereitung. Außer Fotografien und Skizzen gehören dazu auch Gespräche mit den zu porträtierenden Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern. Schließlich sollen Porträts entstehen, in denen sich auch etwas von ihren Gedanken widerspiegelt, von ihren Träumen und auch von ihrem Charakter.

Die 13-jährige Wassima Ait-Oufkir, eine Hamburger Gymnasiastin mit marokkanischen Wurzeln, ist eine der Jugendlichen, die Marestani derzeit porträtiert. Sie malt auch selbst gern und spielt in einer Theatergruppe mit. Darauf angesprochen, warum sie bei dem künstlerischen Projekt mitmachen will, sagt Wassima, die in der Zukunft vielleicht Anwältin werden möchte: "Weil ich will, dass auch gute Seiten der Integration gezeigt werden - und nicht nur die schlechten." Unter Migrantenkindern gebe es nicht nur Hauptschüler, sondern auch Gymnasiasten, sagt Wassima selbstbewusst. In ihrem Gymnasium spiele es keine Rolle, wo man herkomme, sondern man werde einfach gleich behandelt.

Tarek Marestani will nicht nur Kinder und Jugendliche mit arabischem oder türkischem Migrationshintergrund porträtieren. "Ich habe auch Menschen aus Vietnam und China getroffen, ich suche auch andere Nationalitäten." Nächste Woche habe er einen Termin in Kreuzberg mit einer chinesischen Familie, die sehr interessant sei.

Bewusstseinsprozesse anstoßen

Islamwissenschaftler Udo Steinbach erinnerte daran, dass sich Kunst in Europa im 19./20. Jahrhundert auch mit sozialen Phänomenen auseinandergesetzt habe. Dadurch seien Bewusstseinsprozesse angestoßen worden. Das erwarte er auch von Marestanis Ausstellung: "Man betrachtet die Jugendlichen mit den Augen des Künstlers. Und man sieht, dass sich die Jugendlichen fragen, welche Rolle sie in dieser Gesellschaft spielen - welche Rolle die Gesellschaft sie spielen lässt."

Tarek Marestani wendet sich mit den Porträts auch an die Wirtschaft, betont Steinbach: "Denn die Wirtschaft muss sehen, dass diese Art von Debatten, die bei uns geführt werden, in vielen Teilen der Welt mit großem Befremden gesehen werden." Es gebe durchaus ein Bewusstsein dafür, dass die Frage nach der Stabilität unserer Gesellschaft, nach dem Zusammenleben der Kulturen in dieser Gesellschaft etwas ist, was auch mit wirtschaftlichem Erfolg zu tun habe.

In spätestens einem Jahr sollen die Porträts fertig sein. Dann ist eine Ausstellung in Berlin geplant. Auch Diskussionen und Dialog-Veranstaltungen werden begleitend stattfinden. Danach wird die Ausstellung voraussichtlich in Hamburg gezeigt und wahrscheinlich auch in anderen Städten zu sehen sein. Man sei schon in Verhandlung mit Institutionen, die dabei helfen wollen, dass es eine Wanderausstellung wird, heißt es vonseiten des Künstlers. Sponsoren seien jederzeit willkommen.

Autorin: Sabine Ripperger
Redaktion: Kay-Alexander Scholz