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"Interessen werden emotionalisiert"

13. Februar 2002

- Botschafter Gruber warnt auf deutsch-ungarischem Symposium vor Unsachlichkeit

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Budapest, 11.2.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, G. Erth, J. Mainka

Geht es nach den Teilnehmern des deutsch-ungarischen Symposiums (...), stehen dem Verhältnis der beiden Staaten weitere unbeschwerte Jahre bevor. In den Diskussionsrunden zu den Themen Politik, Wirtschaft und Kultur wurden allerdings auch harsche Töne laut.

So fand Botschafter Wilfried Gruber angesichts der Debatte um die künftigen EU-Fördergelder für Ungarn kritische Worte. "In diesem Punkt stimmen die deutschen und ungarischen Interessen nicht immer überein", bedauerte der Diplomat. Man müsse akzeptieren, dass keine unbegrenzten Finanzmittel zur Verfügung stünden. Reaktionen wie "Ihr Deutsche habt uns doch immer so gern gehabt" seien nicht angebracht. "Die Interessen werden in Ungarn emotionalisiert. Davor kann ich nur warnen", so Gruber.

In allen anderen Punkten zog der Diplomat ein positives Fazit des Symposiums. "Der Verlauf der Diskussionen war sehr anregend. Man kann besonders stolz auf das menschliche Kapital in den Beziehungen sein." Weitere Anstrengungen seien vor allem im Bereich Wirtschaftspolitik nötig. "Die großen deutschen Firmen sind zwar alle da, aber man muss weiter um sie kämpfen, denn es gibt international einen scharfen Standortwettbewerb." Gruber ermunterte die Gastgeber, weiter gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Im vom stellvertretenden Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Zoltán Cséfalvay, moderierten Wirtschaftsblock dominierte ansonsten vor allem das Lob für die gewaltige Entwicklung der ungarischen Volkswirtschaft. So wies Jürgen Lunemann, Geschäftsführer der Audi Hungária Kft., darauf hin, dass die seit 1993 investierten 650 Millionen Euro in mehreren Schüben ins Land kamen. Kritisch merkte der Hauptgeschäftsführer des BDI, Ludolf-Georg von Wartenberg, die mangelnde Verfügbarkeit von Fachkräften und steigende Lohn- und Lohnnebenkosten an, die über das Maß der Produktivitätssteigerung hinausgehen. Obwohl Ungarn beim Wettbewerb um neue Investitionen noch immer über eine gute Position verfüge, hätten einige Unternehmen in letzter Zeit begonnen, auch Rumänien und andere bisher weniger beachtete Länder in Augenschein zu nehmen, so der Chef der Staatskanzlei von Baden-Württemberg, Rudolf Böhmler.

Übereinstimmend bescheinigten alle Diskussionsteilnehmer Ungarn in Fragen der EU-Integration eine im Verhältnis zu den anderen Kandidatenländern große Reife. Péter Hetényi, Siemens-Vorstandsvorsitzender und Präsident der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer, unterstrich, dass es jetzt darauf ankomme, einen möglichst präzisen Fahrplan für den Beitrittsprozess zu erarbeiten. Schließlich sei für die Wirtschaft nichts schlechter als Unsicherheit. Klaus B. Beckmann, der sich an der Uni Passau mit der Integrationsforschung beschäftigt, stellte klar, dass beide Seiten zu den Gewinnern der EU-Osterweiterung zählen werden. Allerdings werden die Gewinne sektoral gestreut sein. So werden in den alten EU-Ländern die Textilbranche und der Agrarbereich nicht zu den Gewinnern zählen.

Der Wirtschaft kommt auch im Bereich Kultursponsoring eine wachsende Rolle zu. "Diese Kooperation funktioniert schon teilweise sehr gut", berichtete Brigitte Kaiser-Derenthal, Leiterin des Budapester Goethe-Instituts. So habe die Allianz-Stiftung mit 80.000 Mark das Projekt "West-östlicher Diwan" für je zwölf deutsche und ungarische Künstler gefördert. "Die Beziehung basiert auf Gegenseitigkeit. Die Kultur ist ein Schlüssel, der der Wirtschaft Türen öffnet." Auch mit den ungarischen Kulturpartnern habe das Goethe-Institut eine ausgezeichnete Kooperation. "Es gibt kein Projekt ohne ungarischen Partner", so Kaiser-Derenthal.

Gergely Pröhle, ungarischer Botschafter in Berlin, sah allerdings Defizite im Kulturaustausch. "Die Rolle der Kulturdiplomatie muss wachsen. Wer sie unterschätzt, ist töricht." Es gebe ein starkes Informationsdefizit in beiden Ländern übereinander. "Ungarn wissen mehr darüber, worüber amerikanische Intellektuelle diskutieren als über öffentliche Debatten in Deutschland." Mehrere Teilnehmer mahnten die Schaffung eines deutsch-ungarischen Jugendaustauschwerks und mehr Geld für Stipendienprogramme an. Joachim-Felix Leonhardt, Generalsekretär des deutschen Goethe-Instituts, merkte an, dass bereits deutsche Schulbücher sträflich Ostmitteleuropa vernachlässigten. Auch das deutsche Fernsehen müsse mehr über Ungarn berichten.

Nicht ungetrübt sieht es um die Perspektiven der Ungarndeutschen aus, Bindeglied zwischen beiden Ländern. "Es gibt zwar Schulen mit deutschem Unterricht, aber es fehlt an zweisprachigen Lehrern", so Otto Heinek, Leiter der Selbstverwaltung der Ungarndeutschen. "Die Sprachkenntnisse der Ungarndeutschen werden schlechter."

Große Erwartungen verbinden Deutsche und Ungarn mit der deutschsprachigen Andrássy-Universität, die in Budapest im September eröffnet. "Die baulichen und rechtlichen Voraussetzungen sind gegeben, wir können jetzt schon die Eröffnung terminieren", berichtete Gábor Náray-Szabó, stellvertretender Staatssekretär im Unterrichtsministerium. Wir versuchen jetzt, die Uni zu propagieren und die besten Professoren zu gewinnen. Gábor Náray-Szabó: "Diese Uni wird ein beispielloser Erfolg werden - und nicht zuletzt ist sie die einzige deutsche Hochschule außerhalb des deutschen Sprachraums." (fp)