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Internationale Gemeinschaft versagt im Kongo

Alexander Göbel20. Dezember 2004

Im Kongo sind wieder schwere Kämpfe zwischen der Regierungsarmee und Rebellen ausgebrochen. Der blutigste und unübersichtlichste Krieg der Gegenwart eskaliert erneut, doch mit Hilfe von außen ist kaum zu rechnen.

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Man hätte es wissen müssen, als Ruandas Präsident Paul Kagame den UN-Diplomaten mit ganz ruhiger Stimme ins Gesicht sagte: "Wer Frieden will an den Großen Seen, muss erst Krieg führen". Das war vor einem Monat. Es ist ein Skandal, dass Kagame auch diesmal mit seinem rhetorischen Säbelrasseln davonkam. Denn die Worte des großen Kriegstreibers aus dem zentralafrikanischen Zwergstaat hätten der gesamten Weltöffentlichkeit bekannt vorkommen müssen. Man hätte es wissen müssen, dass Kagame drauf und dran war, den dritten Kongo-Krieg seit 1996 vom Zaun zu brechen, indem er erneut seine Truppen in den Kongo schickt.

Ruandas Invasion 1998 hatte dazu geführt, dass sich insgesamt sechs Staaten am "1. Afrikanischen Weltkrieg" beteiligten, in dem zwischen drei und vier Millionen Kongolesen starben. Nirgendwo auf der Erde hat es seit dem Zweiten Weltkrieg mehr Tote gegeben. Nirgendwo wurden so viele Frauen und Kinder vergewaltigt, und nirgendwo sterben weiterhin 1000 Menschen pro Tag, obwohl der Bürgerkrieg offiziell beendet ist. Und nun hat Kagame erneut die Lunte am Pulverfass Kongo angezündet, das schon bald explodieren könnte. Denn längst kämpfen nicht mehr nur Hutu gegen Tutsi oder Hema gegen Lendu, längst hat der Krieg seine eigene Dynamik entfaltet und ist bis auf weiteres jedenfalls, nicht mehr zu steuern.

Was Ruandas Präsident im Kongo will - auch das hätte man wissen müssen. Dass er die Hutu-Milizen bekämpfen will, die er für den Völkermord in Ruanda an mehr als 800.000 Tutsi zu Recht verantwortlich macht, ist nur noch ein Scheinargument, und noch dazu ein bekanntes. Diesmal will Kagame vor allem seinen Einfluss auf den Osten des Kongo ausweiten. Es geht um wertvolle Rohstoffe: Tropenholz, Gold, Coltan, Diamanten. Sein erstes Ziel - die Destabilisierung des Kongo - hat Kagame schon erreicht. Und deshalb hat er seine Truppen, die diesen "alten neuen" Krieg auslösten, schon wieder abziehen lassen. Zurück bleibt der Kongo - ein zersplittertes Riesenland, das noch tiefer im Chaos versinkt und von allen Seiten weiter ausgeschlachtet wird.

Und die internationale Gemeinschaft? Sie bietet im Kongo ein Trauerspiel. Die UN macht sich mit mehr als 10.000 überforderten Blauhelm-Soldaten völlig lächerlich - trotz "robustem Mandat" werden sie von einem bis an die Zähne bewaffneten Mob als Touristen verlacht. Schlimmer noch: UN-Soldaten ziehen nicht nur den Kopf ein, sondern sind verdächtigt, selbst systematisch Flüchtlingskinder vergewaltigt haben. Es ist reiner Zynismus: die Welt schaut auch deshalb tatenlos dem Ausbruch des dritten Kongo-Krieges zu, weil er so kompliziert ist. Aber je länger sie zuschaut, desto komplizierter wird er, und desto mehr Blauhelm-Soldaten müssten im Kongo stationiert werden.

Die Chance eines erfolgreichen Eingreifens wie durch EU-Militärs in Bunia vor einem Jahr ist jedenfalls schon lange vertan. Stattdessen: Hilflose Appelle des UN-Sicherheitsrates an Ruanda, peinliche Sanktionsdrohungen ohne erkennbare Konsequenzen. Sicher - Paul Kagame ist nicht der einzige Kriegstreiber, und er hat vielleicht Ruanda gerettet - den Kongo aber hat Kagame mit Krieg überzogen: Übrigens auch mit Hilfe großzügiger deutscher und europäischer Entwicklungsmillionen, die er seit Jahren in die stärkste Armee der ganzen Region investiert hat. Wo aber ist der politische Wille, das Morden zu stoppen? Lippenbekenntnisse allerorten - auch bei der internationalen Gemeinschaft. Aus dem Völkermord in Ruanda hat die Welt nichts gelernt. Man hätte es wissen können, ja wissen müssen.