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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Reinhard Kleber8. November 2003

Reformpolitik in Deutschland / Lage im Irak / Berlusconis Fürsprache für Putin / Abschlussbericht der EU-Kommission zu Beitrittsländern

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Der Streit zwischen Regierung und Opposition über die Reformpolitik in Deutschland findet große Beachtung in den Kommentarspalten der internationalen Tagespresse. Weitere Themen sind die angespannte Lage im Irak sowie die umstrittene Fürsprache des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi für den russischen Präsidenten Wladimir Putin beim EU-Russland-Gipfel in Rom.

Zur deutschen Reformdebatte schreibt DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden:

"Die CDU kann die Steuersenkungen nicht blockieren, schon allein deshalb nicht, weil die Zeitung 'Bild' sich seit Monaten für sie einsetzt und ihre Leser schon gefragt hat, was sie von dem Geld kaufen wollen. Kanzler Schröder kann die öffentliche Meinung hinter sich bringen, oder er kann Regierungschefs von Bundesländern aus der CDU-Front herausbrechen. Beide Seiten wollen das komplizierte Pokerspiel auf keinen Fall verlieren. Aber unabhängig davon steuern sie eigentlich dasselbe an: die Verschlankung des großzügigen deutschen Wohlfahrtsstaats. Im Hinblick auf die hoffnungslos hohe Verschuldung und den enormen Beitragsdruck gibt es dazu keine vernünftige Alternative."

Bei ihrer Analyse der politischen Lage in der Bundesrepublik wirft die Wiener Zeitung DER STANDARD einen Blick in die Zukunft:

"Bundeskanzler Gerhard Schröder hat bisher mit einem halben Dutzend Rücktrittsdrohungen zu den einzelnen Reformschritten im Parlament rot-grüne Mehrheiten erzwungen. Er hat sich und seine Regierung für heuer gerettet. Nächstes Jahr geht es dann nicht mehr um Notoperationen, sondern um das Eingemachte. Außerdem stehen 2004 insgesamt 14 Wahlen an. Es lässt sich schon jetzt vorhersagen, dass die SPD wohl nicht viel zum Feiern haben wird. Die eigentliche Nagelprobe für Schröder kommt damit erst nächstes Jahr. Dann wird sich zeigen, ob er die Legislaturperiode bis 2006 durchsteht."

Themenwechsel: Zum angespannten Lage im Irak merkt die italienische Zeitung LA STAMPA aus Turin an:

"Am Ende der blutigsten Woche seit dem Fall von Bagdad gibt es mehr Tote als im ersten Golfkrieg. In statistischer Hinsicht ist das der Effekt des Abschusses eines Black Hawk-Hubschraubers in Tikrit, bei dem sechs US-Soldaten getötet worden sind. In politischer Hinsicht bedroht hingegen die ständig steigende Opferzahl den Präsidenten Bush (...). Und auch die Möglichkeit, Hilfe von den Verbündeten zu bekommen, löst sich in Rauch auf, nachdem die Türkei auf die Entsendung von Truppen in den Irak verzichtet hat."

Demgegenüber hält Polen an seinem Engagement im Irak fest. Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA betont angesichts des tödlichen Anschlags auf den ersten polnischen Soldaten im Irak:

"Das musste irgendwann passieren. Im Irak sind schon viele amerikanische Soldaten ums Leben gekommen, Briten und andere waren unter den Opfern. ... Doch trotz der Tragödie, die jeder einzelne Tod ist, müssen wir daran erinnern, dass die polnischen Soldaten aufgrund einer politischen Entscheidung im Irak sind. Das ist eine konkrete Form der Solidarität mit Amerika, die Polen gleich nach dem 11. September ausgedrückt und später viele Male bekräftigt hat. Der Heldentod von Major Hieronim Kupczyk sollte diese Solidarität nicht streichen. Im Gegenteil, es wäre gut, wenn das Ergebnis der Tragödie eine Stärkung der Solidarität wäre."

Das Lob von EU-Ratspräsident Silvio Berlusconi für den russischen Präsidenten Wladimir Putin beim EU-Russland-Gipfel in Rom ist vielfach auf Widerspruch gestoßen. In der französischen Zeitung LE FIGARO lesen wir dazu:

"Während Russland sich Schritt für Schritt zum autoritären System entwickelt und der Unternehmer Michail Chodorkowski durch ein Verfahren ins Gefängnis geworfen wurde, das durch schwere Rechtsverletzung befleckt ist, hat der italienische Ministerpräsident die russische Nation als einen Hort der Demokratie mit einer strahlenden Zukunft dargestellt. Mit einer großen Tirade nahm er die Kritik der internationalen Presse aufs Korn - 'alles Legenden'. Das war dermaßen dick aufgetragen und schockierend, dass selbst Putin verblüfft schien, einen derartigen Fürsprecher zu haben."

Noch schärfer beurteilt das italienische Blatt LA REPUBBLICA das Verhalten Berlusconis:

"Indem er mit vollem Einsatz das Vorgehen der Russen in Tschetschenien verteidigt hat und sich zum Garanten für Putin in der Yukos-Affäre erklärt hat, hat Silvio Berlusconi weit schlimmeres angerichtet als ein paar diplomatische Fauxpas. Der amtierende EU-Ratspräsident hat einen bisher nie da gewesenen diplomatischen und institutionellen Zwischenfall verursacht, indem er in grober Weise das Mandat verraten hat, das ihm von den anderen Regierungen der EU anvertraut worden war. In der nicht immer glücklichen Geschichte der europäischen Außenpolitik war es noch nie vorgekommen, dass ein Staatsmann, der im Namen der Union spricht, Positionen verteidigt, die völlig im Gegensatz zu dem stehen, was zuvor gemeinsam vereinbart worden war."

Stichwort EU: Zu der Mängelliste im Abschlussbericht der EU-Kommission über den Stand der Vorbereitungen der beitrittswilligen Staaten heißt es in der dänischen Zeitung BERLINGSKE TIDENDE:

"Polen und andere neue EU-Mitgliedsländer sind weit von der Erfüllung der Spielregeln in der Gemeinschaft entfernt, von der sie am 1. Mai nächsten Jahres ein Teil werden. Das kann man im jüngsten Bericht der EU-Kommission über die künftigen Mitgliedsländer lesen. Andere Analysen deuten sogar darauf hin, dass es mit dem Prozess der Anpassung in die falsche Richtung geht. Offensichtlich ist der Erweiterungsbeschluss zu einem Ruhekissen geworden. Das wiederum kann nicht verwundern, denn die Regierungen in Zentral- und Osteuropa sehen ja, wie leicht die alten EU-Länder davonkommen, wenn sie die Regeln brechen, die ihnen gerade nicht zusagen."

Einen anderen Aspekt beleuchtet die niederländischen Zeitung DE VOLKSKRANT, die wir zum Abschluss nochmals zitieren:

"Die EU äußert sich auffallend mild über die Korruption in Osteuropa. In früheren Berichten war Brüssel streng, aber im Abschlussbericht wurde das Korruptionsthema zu einer Fußnote reduziert. Haben die Neulinge tatsächlich so viel Fortschritt gemacht im Bemühen um transparente Verwaltung? Oder hat die Kommission einsehen müssen, dass der Effekt früherer Berichte gleich null war und hat deshalb jetzt auf Kritik verzichtet? (...) Die EU hat in der Irak-Debatte Federn lassen müssen, der EU-Vorsitz ist dem Italien von Berlusconi zugefallen, Frankreich missachtet alle Regeln des Stabilitätspakts und Brüsseler Beamte kämpfen mit ihrem eigenen Betrugsfall bei Eurostat, dem Statistik-Büro. Da würde es der Glaubwürdigkeit als moralischer Sittenwächter nicht gerade dienen, wenn sich die EU über die Korruption in anderen Ländern aufregte."