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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Herbert Peckmann15. November 2003

CDU straft Abgeordneten Hohmann ab / USA wollen mehr Demokratie im Irak / Konjunkturentwicklung in Europa / Frankreich gedenkt Ende des Ersten Weltkrieges

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In den Kommentarspalten der internationalen Tagespresse hat in der vergangenen Woche der politische Fall des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann Beachtung gefunden, der in einer Rede die Juden mit dem Begriff "Tätervolk" in Verbindung gebracht hatte. Weitere Themen waren die jüngsten Bemühungen der USA, angesichts zunehmender Gewalt im Irak die Lage dort in den Griff zu bekommen sowie die Konjunkturentwicklung in Europa und der französische Gedenktag an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 85 Jahren.

Die dänische Tageszeitung INFORMATON meinte zu den antisemitischen Äußerungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann:

"Der Ausschluss von Martin Hohmann aus der CDU/CSU- Bundestagsfraktion ist ein Symptom für Gesundheit. Die CDU und ihre bayerische Schwesterpartei CSU haben viel zu lange stark rechtsorientierte Standpunkte unter Mitgliedern und Abgeordneten toleriert. Die Toleranz gründet sich auf Angst, dass herrenlose Rechtsstimmen von einer neuen, schlagkräftigen Partei rechts von der CDU/CSU aufgefangen werden könnten. Um das zu verhindern, wollte man diese Stimmen integrieren. Noch lässt sich nicht sagen, ob diese Furcht jetzt überwunden ist."

Die überregionale österreichische Tageszeitung SALZBURGER NACHRICHTEN kritisierte den Umgang der CDU mit dem Fall Hohmann:

"Die CDU-Spitze versucht Hohmann als bisher verborgene Zeitbombe zu verharmlosen. Tatsache ist, der Mann ist seit Jahren als notorischer Rechtsausleger bekannt. Die Fraktionsführung hat ihn mehrfach bei heiklen Themen von der Rednerliste gestrichen. Solange Hohmann unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Öffentlichkeit seine braunen Sprüche klopfte, schien er für die CDU offenbar erträglich zu sein. Und das ist der schlimmste Aspekt an dem Skandal."

Für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz war vieles in Deutschland jahrzehntelang verdrängt und teilweise tabuisiert worden. Das Blatt schrieb:

"Deutschland war eingebunden in eine Konfliktsituation, die für den Blick nach innen und nach hinten nur wenig Raum liess. Erst jetzt, wo eine echte Normalisierung stattgefunden hat und das wiedervereinigte, prosperierende Deutschland die ihm gebührende Führungsrolle in Europa zu spielen vermag, kann eine solche Diskussion stattfinden."

Die Schweizer BASLER ZEITUNG kommentierte die Reaktionen auf den Fall Hohmann:

"Dass hier deutsche Ohren hellhörig werden, ist gut. Aber der Aufwand, den die Öffentlichkeit darauf verwendet, die Verfehlung zu ahnden, weckt Unbehagen. In den letzten Tagen entwickelte sich ein Wettlauf um das rigoroseste moralische Urteil, angereichert mit parteipolitischem Kalkül. Vielleicht brächte es mehr, wenn man sich etwas weniger der antisemitischen Unkultur und mehr einer säkularisierten, jüdischen Kultur widmen und damit Identifikationsangebote schaffen würde für die Nachgeborenen, die Juden nicht als Kategorie der moralischen Erörterung, sondern simpel als Saufkumpel und Squashfreundin sehen möchten."

DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden befasste sich allgemein mit dem Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nazi-Vergangenheit am Beispiel der andauernden Diskussion um das Berliner Holocaust-Mahnmal:

"Das Mahnmal bestätigt, dass die Naziperiode zum Maß aller Dinge in der deutschen Geschichte geworden ist. Im Hinblick auf die Art der damals begangenen Verbrechen ist das zu verstehen. Aber man kann dabei auch zu weit gehen. Man darf in der Rückschau die deutsche Geschichte nicht zu einem einzigen großen Vorspiel auf Hitler reduzieren. ... Die Deutschen auch der jüngeren Generation sollen sich der schuldigen Vergangenheit bewusst bleiben. Aber sie brauchen nicht auf ewig deren Gefangene zu sein."

Themenwechsel. Zum blutigen Anschlag auf italienische Soldaten im Irak und zu den Bemühungen der USA, die Lage in den Griff zu bekommen schrieb die dänische Tageszeitung POLITIKEN:

"Der Terroranschlag passte zu einem Muster mit immer gewaltsameren Angriffen auf Ziele, die irgendwie mit der amerikanischen Präsenz verknüpft werden. Damit soll nicht nur unter den amerikanischen Streitkräften, sondern im ganzen Land noch mehr Unruhe, Instabilität und Furcht verbreitet werden. ... Der jüngste Angriff war gegen die europäischen Streitkräfte in der von den Briten geleiteten Zone gerichtet, in der auch aus Dänemark entsandte Soldaten operieren. Auch diese sind also der Gefahr von Anschlägen ausgesetzt."

THE GUARDIAN aus London konstatierte:

"Trotz der Versicherung von (US-Zivilverwalter) Paul Bremer, der Präsident bleibe 'standhaft', scheint der Druck in Washington für die Strategie eines eher früheren statt späten Rückzugs zu wachsen. Die konkurrierenden Szenarien, die nun zwischen den verschiedenen Gruppierungen diskutiert werden, lassen es unwahrscheinlich erschienen, dass ein klarer Schnitt sehr schnell erfolgen wird. (US- Präsident George W.) Bushs Besuch in London kommende Woche wird es Großbritannien erlauben, auf höchster Ebene an diesem Dialog teilzunehmen ... ."

Die französische Zeitung LE PROGRÈS sprach von einem Dilemma der USA im Irak:

"Die USA waren nicht in der Lage, in mehreren Monaten wieder aufzubauen, was sie in einigen Stunden zerstört hatten - und so haben sie den Terrorismus in einem Land erblühen lassen, in dem er vorher kaum existierte. ... Die Amerikaner sind unfähig, vor Ort politische Führer für die Unterstützung eines Vorhabens zu finden, dessen schlechte Konzeption und mangelnde Umsetzungsmöglichkeit immer deutlicher wird. Wie sollen sie auch, wo ihre Verachtung für die Iraker so offensichtlich ist?"

Die INTERNATIONAL HERALD TRIBUNE sorgte sich um die Zukunft der Demokratie im Irak:

"Unglücklicherweise hat (Präsident Bushs) größtes Experiment zur Förderung der Demokratie im Irak stattgefunden. Und er ist dabei nicht sehr vielversprechend vorgegangen. Wie die Iraker zeigen, findet sogar eine terrorisierte Bevölkerung nicht Gefallen an einer ausländischen Invasion und an einer Besetzung. ... Die Förderung der Demokratie (im Irak) muss für die USA erste Priorität bekommen."

Ähnlich sah es auch die WASHINGTON POST:

"Ein beschleunigter politischer Übergang könnte die Situation verbessern, wenn er zu einer funktionierenden nationalen Regierung führt, die die meisten Iraker unterstützen. Aber das kann nicht ohne einen glaubhaften politischen Prozess gelingen. ... Beides, der politische Übergang und die Sicherheitslage wären einfacher für die USA durch eine enge Partnerschaft mit den Verbündeten und den Vereinten Nationen zu bewältigen ... ."

Auch die italienische CORRIERE DELLA SERA fordert, die USA zu unterstützen:

"Nur eine multinationale Truppe, die einer irakischen Regierung Legitimität geben kann, kann den USA helfen. ... Im Frühjahr hatten Arroganz und gegenseitiger Opportunismus die USA und Europa auseinander dividiert. Um zu verhindern, dass sich das Chaos vom Irak auf die Welt ausbreitet, ist es jetzt nötig, dass die internationale Gemeinschaft die Amerikaner in Bagdad nicht allein lässt."

Zum Schluss noch zwei Kommentare aus Frankreich. Die Wirtschaftstageszeitung LES ECHOS befasste sich mit den jüngsten optimistischeren weltweiten Konjunkturprognosen:

"In Europa scheint das Schlimmste überwunden zu sein. Nachdem es seine Nachbarn ins Konjunkturtief gezogen hat, kommt Deutschland nun aus der Rezession. Und könnte wieder die Rolle der Lokomotive in der Eurozone übernehmen, zwar ein wenig stotternd, aber real. Schließlich und vor allem beginnt die US-Wirtschaft wieder voll zu glänzen."

Und LES DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE. Das Blatt schrieb zum französischen Gedenktag an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 85 Jahren:

"Je weiter das Datum zurückliegt, umso mehr erscheint uns der erste Weltkrieg als archaischer Krieg. (...) Inzwischen gab es den europäischen Aufbau. Sein immenses Verdienst liegt darin, dass er - hoffentlich für immer - die Idee eines bewaffneten Konflikts zwischen Nachbarn in Verruf gebracht hat. Dass Frankreich daran denken könnte, gegen Deutschland Krieg zu führen, wäre völlig unsinnig. Der Begriff des Erbfeinds, von Politikern so lange und so leichtfertig benutzt, steht in der EU zum Glück nicht mehr in Kurs."