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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Barbara Zwirner31. Januar 2004

Blair und Kelly-Affäre / Reformmüde Deutsche/ Zuwanderung in Europa

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Die Entlastung des britischen Premierministers Tony Blair durch den Untersuchungsbericht zur so genannten Kelly-Affäre ist das herausragende Thema in der internationalen Presse in dieser Woche. Im Blickpunkt außerdem die Reformmüdigkeit in Deutschland und der Appell des UN-Generalsekretärs Kofi Annan an die Europäer, eine humane Zuwanderungspolitik zu führen.

Die französische Tageszeitung LIBERATION würdigt, wie die Briten den Bericht zur Kelly-Affäre abgewickelt haben:

'Premierminister Tony Blair Sieger durch K.o., die BBC am Boden. Nach diesem außergewöhnlichen Tag, den London bei der Vorlage des Untersuchungsberichts zur Kelly-Affäre erlebt hat, möchte man als erstes sagen: 'Chapeau, die englischen Herren!' Die Untersuchung des britischen Lordrichters Brian Hutton, die Parlamentsdebatte zwischen Tony Blair und seinen Gegnern, die Entschuldigungen der BBC und der Rücktritt ihres Präsidenten - und das alles live auf BBC – dürften eine Lektion in handelnder Demokratie gewesen sein. Wie gern würde man es sehen, dass sich die Politik in Frankreich davon inspirieren ließe. Die Hoffnung darauf ist allerdings nicht allzu groß.'

Nach Ansicht der österreichischen Tageszeitung SALZBURGER NACHRICHTEN hat der britische Premier Tony Blair seine Glaubwürdigkeit nicht zurückerlangt:

"Der Report des Richters Brian Hutton wird seine Wirkung in der britischen Öffentlichkeit wohl nicht verfehlen. Dennoch dürfte er nicht ausreichen, um die beschädigte Glaubwürdigkeit des Regierungschefs vollends zu reparieren. Hutton hat gemäß Auftrag nur einen kleinen Ausschnitt der Debatte über die amerikanisch-britischen Kriegsgründe untersucht. In diesem konkreten Fall mag der Regierung Blair attestiert werden, dass sie die vom Regime Saddam Husseins ausgehende Gefahr nicht aufgebauscht habe. Aber in den vergangenen Monaten ist die Argumentation Washingtons und Londons für den Feldzug gegen Bagdad Stück für Stück zerzaust worden."

Die dänische Tageszeitung POLITIKEN meint:

"Es hat eine gewisse Ironie, dass der Sieg für den britischen Premierminister Tony Blair genau in der Woche kommt, in der der verantwortliche US-Waffeninspekteur zurückgetreten ist und erklärt hat, dass es im Irak Saddam Husseins keine Massenvernichtungswaffen gegeben hat oder gibt. Was eine wirkliche sicherheitspolitische Gefahr als eigentlichen Kern der Angelegenheit betrifft, stehen Blair und seine Mitstreiter in immer schlechterem Licht da. Die Mechanismen, die die BBC zu ihren Fehlern führten, kennen wir in den Medien alle. Ein Journalist übertreibt ein bisschen über das hinaus, was seine Quelle eigentlich gesagt hat. Wenn diese dann, überdies als einzige, anonym bleibt, kann die Geschichte nur schwer überprüft werden."

Zum Konflikt mit dem Rundfunk- und Fernsehsender BBC schreibt die spanische Zeitung EL MUNDO:

"Nach seinem süßsauren Erfolg im Parlament konnte der britische Premierminister Tony Blair im Zwist mit dem Rundfunk- und Fernsehsender BBC einen klaren Sieg feiern. Man hatte damals die Unabhängigkeit der BBC gelobt, weil sie als Staatssender der Regierung die Stirn bot. Zu einem guten Journalismus gehört es aber auch, dass die verbreiteten Informationen abgesichert sind. Der Watergate-Skandal bildete einen Meilenstein in den Beziehungen zwischen Staat und Presse. Dies gilt nun auch für den Fall Kelly, jedoch mit umgekehrtem Vorzeichen."

Die Turiner Zeitung LA STAMPA ergänzt:

"Das ist der erste dunkle Fleck, der in 82 Jahren auf den britischen Rundfunk- und Fernsehsender BBC fällt. Und es ist heute nur schwer zu sagen, ob der Rücktritt von Präsident Gavyn Davies, dem Vorsitzenden des BBC-Aufsichtsrats, ausreicht, diese Wunde vernarben zu lassen, die der 'Fall Kelly' im Juli auf so dramatische Weise gerissen hat. Nun wird unweigerlich jemand sagen, dass der BBC-Sender künftig nicht mehr derjenige sein kann, der er einst war. Dass über seine Glaubwürdigkeit hinaus auch sein Einfluss Schaden nimmt. Das wäre aber übertrieben. BBC ist und bleibt einer der gesündesten Institutionen in der Welt der Medien."

In der NEW YORK TIMES lesen wir:

"Mr. Blair sollte sich nicht von den Erfolgen dieser Woche blenden lassen. Die britische Öffentlichkeit ist über die Besetzung des Iraks weiterhin beunruhigt, besorgt über seine unkritische Unterstützung der ungeschickten amerikanischen Diplomatie vor dem Krieg und besorgt über die Fehler der Geheimdienste, die zu einer Überschätzung der Gefahr durch irakische Waffen geführt haben. Dass die britische Regierung nicht gelogen hat, bedeutet nicht, dass sie in dieser Frage klug oder zumindest kompetent vorgegangen ist. Hier sind weitere Nachforschungen nötig."

Kritisch äußert sich auch die in London erscheinende Tageszeitung INDEPENDENT:

"Blairs Entlastung durch Lord Hutton wischt nur eine Beschuldigung von der Anklageschrift. Die andere - dass die Regierung und die Geheimdienste sich selbst über die Fähigkeiten der irakischen Waffen getäuscht haben - steht noch. Und dies nagt an der Glaubwürdigkeit Blairs, in seiner Partei, im Parlament und bei den Wählern. Alastair Campbell (der frühe Kommunikationschef Blairs) hatte absolut recht, als er seinem Tagebuch anvertraute: 'Da gibt es diese problematische Sache mit dem Vertrauen.' Und dies hört nicht einfach auf."

Mit dem Stand der Reformen in Deutschland und den schlechten Umfragewerten für die SPD beschäftigt sich die österreichische Tageszeitung DER STANDARD:

"Schröder und seine Partei kassieren jetzt die Strafe für die Reformflut des Vorjahres. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet im Jahr 2003, als Bonvivant Schröder die größte Entschlossenheit seiner Karriere zu einschneidenden Maßnahmen aufbrachte, der Sturzflug in den Umfragen einsetzte. Umgekehrt bekam der Bundeskanzler gute Noten, als er 2001 und 2002 die 'Politik der ruhigen Hand' verfolgte und in feines Tuch gehüllt den jovialen Bundesgevatter mit Zigarre gab. Bei den deutschen Bürgern ist augenscheinlich eine gewisse Reformmüdigkeit eingetreten. Die Menschen reagieren eben verunsichert, wenn praktisch jede Woche eine 'Reformsau' mit großem Getöse durchs Dorf getrieben wird und sie über die Auswirkungen der angekündigten Veränderungen im Unklaren gelassen werden."

Abschließend ein Blick in die dänische Tageszeitung POLITIKEN zur Aufforderung von UN-Generalsekretär Kofi Annan vor dem EU-Parlament zu einer aktiven und humanen Zuwanderungspolitik zu führen:

"Kofi Annan machte einen starken Eindruck, als er vor dem Europaparlament die Zuwanderung als eins der wichtigsten Themen unserer Zeit aufgriff. Der UN-Generalsekretär appellierte an die Mitmenschlichkeit der Europäer, verbreitete aber eine im Kern sehr simple und nüchterne Botschaft. Zuwanderung liegt im europäischen Interesse, weil wir immer weniger werden. Zuwanderung liegt auch im Interesse der Herkunftsländer und ist eine unausweichliche Folge der ständig wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit auf der Welt. Die begeisterten Ovationen der EU-Parlamentarier hatten etwas Heuchlerisches, wenn man bedenkt, wie kräftig derzeit daran gearbeitet wird, Europa dicht zu machen. Und wie viele Politiker es vorziehen, über Probleme statt über Lösungen zu sprechen, wenn es um neue Minderheiten geht."