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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Frank Gerstenberg28. Februar 2004

Bürgerschaftswahlen in Hamburg / Schröder-Besuche in den USA und in der Türkei / Beziehungen Frankreich-Deutschland-England / Gründung einer europäischen 'Grünen Partei'

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Im Blickpunkt der internationalen Presse stand in dieser Woche die Reisediplomatie des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der zu Besuchen in den USA und in der Türkei weilte. Auch die Beziehungen zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien wurden aufmerksam betrachtet.

Hören Sie jedoch zunächst einen Kommentar der belgischen Tageszeitung DE STANDAARD zu den Bürgerschaftswahlen in Hamburg:

"Mit den Wahlen in Hamburg steht Deutschland vor einem Jahr von Wahlen. Hamburg wird der erste Test für die Stimmung unter der Bevölkerung. In Hamburg spielen aber auch lokale Argumente mit. Die Hafenstadt ist von jeher eine rote Bastion. Bei den letzen Wahlen von 2001 aber mussten die Sozialdemokraten trotz des Ergebnisses von 36 Prozent in die Opposition. Es gab eine Koalition von Christdemokraten, Liberalen und der 'Partei Rechtsstaatlicher Offensive' von Roland Schill. Es sah danach aus, dass Schill der erste extrem rechte Politiker war, der in Deutschland richtig Erfolg hatte. Wieviele Stimmen Schill am Sonntag bekommen wird, bleibt ein großes Fragezeichen."


Soweit DE STANDAARD aus Brüssel. Die in London erscheinende FINANCIAL TIMES richtete ihren Blick in die USA und schrieb zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen:

"Bush sollte begreifen, dass die meisten Deutschen alles, was nach unilateralen militärischen Invasionen aussieht, zutiefst ablehnen. Gleichzeitig hat Deutschland bewiesen, dass es durchaus bereit ist, seinen Anteil an den Sicherheitslasten zu tragen. Die öffentliche Meinung in den USA steht Deutschland positiv oder zumindest neutral gegenüber. Für Schröder bietet sein Besuch in Washington die Gelegenheit, eine Außenpolitik neu auszurichten, die zu sehr unter den Einfluss Frankreichs geraten ist. Das ist teilweise die Schuld der Bush-Regierung, die Berlin und Paris wegen des Irak-Krieges dämonisiert hat. Aber Schröder könnte daran denken, wie es seinem Vorgänger Helmut Kohl gelungen ist, 16 Jahre lang eine enge Partnerschaft sowohl mit Frankreich als auch mit den USA zu pflegen. Es gibt noch immer eine Grundlage für eine solide Beziehung zwischen den beiden Ländern."

Das italienische Blatt LA REPUBBLICA aus Rom spricht von einem "Image-Erfolg" für Schröder:

"Gerhard Schröder, der Anführer des pazifistischen Europa, hat in Washington ein Auftauen der Beziehungen mit George W. Bushs Amerika erreicht. Der Gipfel im Weißen Haus, der erste seit zwei Jahren, war die Gelegenheit, um das Kapitel der harten Konfrontation über den Irak-Krieg abzuschließen. Für den Regierungschef des rot-grünen Deutschland - der dem Nein zu einem Angriff gegen Saddam Hussein teilweise seine Wiederwahl 2002 verdankte - ist es zweifellos ein Image-Erfolg, der auch an der innenpolitischen Front wichtig ist. Aber die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind, wie Bush nach den Gesprächen erklärt hat, 'gut'. Das heißt nicht sehr gut und auch nicht ausgezeichnet."

Die österreichische Zeitung DER STANDARD aus Wien notierte zu der Begegnung zwischen Bush und Schröder:

"Beide haben schon bessere Zeiten gesehen. US-Präsident George W. Bush und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder werden zu Hause derzeit nicht gerade von Wogen der Sympathie und Zustimmung getragen. Der US-Präsident steht zudem im beginnenden Wahlkampf, und die Umfragewerte zeigen nach unten. Die oppositionellen Demokraten werfen Bush vor, durch seine holzschnittartige Politik wichtige Verbündete vergrämt zu haben. Bush braucht nun Freunde und muss seinen Kritikern beweisen, dass er das Land mit dem Irakkrieg nicht in die Isolation geführt hat. Außerdem braucht Bush Verbündete, um die Last der USA im Irak zu erleichtern. Diese Lasten drücken auch auf den US-Wahlkampf. Schröders Besuch im Weißen Haus ist deshalb eine eindeutige Wahlkampfhilfe für Bush. Aber auch der US-Präsident hatte einst unbeabsichtigt mit seinem Feldzug in den Irak Schröder wichtige Schützenhilfe geleistet: Schröders Widerstand gegen den Irakkrieg und die kompromisslose US-Politik sicherten ihm seine zweite Amtszeit. Eine Hand wäscht die andere, könnte man sagen, man verdankt einander viel. Schröder hat, deutlich selbstbewusster als früher, etliche amerikanische Wünsche bereits im Vorfeld seines Besuches erfüllt. Der Kanzler drängt innerhalb der EU auf Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und stößt damit in den USA auf große Gegenliebe. Die USA drängen die EU seit langem, die Tore für die im Kampf gegen den Fundamentalismus wichtige Türkei zu öffnen. In Afghanistan und am Balkan stehen deutsche Soldaten Gewehr bei Fuß und erfüllen UN-Aufträge hervorragend. Deutschland macht, was von ihm erwartet wird. So sind beide aufeinander angewiesen, ohne zu echter Freundschaft gezwungen zu sein."


Themenwechsel: Vor seiner Visite in Washington war Bundeskanzler Schröder zum Staatsbesuch in der Türkei. Die dänische Tageszeitung JYLLANDS-POSTEN sieht Schröder nach dem Besuch in der Pflicht:

"Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan und mit ihm viele andere werden den Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Ankara als gutes Zeichen dafür werten, dass Aufnahmeverhandlungen mit der EU in absehbarer Zeit beginnen können. Zum ersten Mal seit elf Jahren hat ein deutscher Kanzler die Türkei besucht. Und Schröder löste die hohen Erwartungen mit seiner Erklärung ein, dass er den starken türkischen Wunsch nach baldiger EU-Mitgliedschaft massiv unterstützt. In Deutschland wie auch in Frankreich ist dieses Thema äußerst umstritten, und genau deshalb erscheint die klare Stellungnahme des Kanzlers noch interessanter. Von ihr ist nur noch schwer wegzukommen. Außerdem ist sie Unterstützung für die jüngsten Empfehlungen der EU-Kommission. Erdogan hat in seiner relativ kurzen Amtszeit wesentliche Reformen in Gang gesetzt in einer Gesellschaft, die von mangelndem Respekt der Behörden gegenüber den Menschenrechten geprägt war. Eine lange gewachsene Kultur lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Aber daran wird hart gearbeitet, und dass muss auch so sein",

meint JYLLANDS-POSTEN aus Arhus. Die polnische Tageszeitung RZECZPOSPOLITA aus Warschau griff den voran gegangenen Besuch der deutschen Oppositionsführerin Angela Merkel in Ankara auf:

"Die CDU und vor allem ihre bayerische Schwester CSU sehen für ein islamisches Land keinen Platz in einem christlich geprägten Europa. Als die Christdemokraten noch auf der Regierungsbank saßen, hatten sie seltsamerweise nichts gegen die türkischen EU-Pläne einzuwenden. Daher liegt der Verdacht nahe, dass das Nein von Merkel und Co möglicherweise reine Wahltaktik ist."

Das türkische Blatt MILLIYET aus Istanbul betonte:

"Der Islam verbreitet in Europa Angst und Schrecken. Die Moslems, die in Europa leben, können sicherlich dazu beitragen, dass diese Angst abgebaut wird. Schröder sagte, dass die Türkei Modellcharakter für die anderen islamischen Länder haben könnte. Tatsächlich könnte eine demokratische und wirtschaftlich gut entwickelte Türkei für diese Staaten ein Vorbild sein. Das wäre ein Gewinn auch für die ganze Welt. Deswegen braucht die Türkei die EU und Europa die Türkei."

Bundeskanzler Schröder traf vor Wochenfrist in Berlin überdies mit Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sowie mit Großbritanniens Premier Tony Blair zusammen. THE TIMES aus London kritisierte den Auftritt Blairs:

"Wenn Tony Blair am Wochenende Zeit hatte, sich Zeitungsausschnitte vom Berliner Dreiertreffen anzusehen, dürfte ihm ein oft gedrucktes Foto aufgefallen sein: Es zeigt Gerhard Schröder ins Gespräch mit Jacques Chirac vertieft. Der Kanzler sitzt mit dem Rücken zu Blair, deutet aber mit dem Finger nach hinten, wo der Premierminister am Rande der Runde hockt und eifrig strahlt, während er sich abmüht, mitzubekommen, was da gesagt wird. Blair ist übereifrig dabei, die Beziehungen zu Frankreich und Deutschland zu reparieren. Sie sind zwar die Hauptrollenspieler in Europa, ja, aber wirtschaftlich sind Frankreich und Deutschland auch Europas größte Schwachstellen. Sie brauchen Großbritannien mehr als Großbritannien sie braucht. Indem er sich geradezu überschlägt, um ihnen zu gefallen, macht Blair selbst einen schwachen Eindruck und tut Europa keinen Gefallen."

Anders als die britische THE TIMES betrachtete die französische Zeitung DERNIERES NOUVELLES D´ALSACE aus Straßburg den Dreier-Gipfel mit Blick auf Europa deutlich freundlicher:

"Das deutsch-französische Tandem spielt nach wie vor eine führende Rolle - auch wenn es Großbritannien als Partner hinzugezogen hat, um London besser in ein europäisches Verteidigungskonzept einzubinden. Wer hat Angst vor einem Direktorium? Stets haben die Vorschläge einer begrenzten Gruppe von Partnern Europa vorangebracht. Nicht alle EU-Länder haben sich auf den Euro eingelassen. Im übrigen erlauben die Verträge von Amsterdam (1997) und Nizza (2000) Abkommen, an denen nicht alle Mitgliedsstaaten beteiligt sind. Wir bewegen uns also auf eine multilaterale 'Union' zu, die Fortschritte ermöglicht, ohne dass alle Mitglieder mit der gleichen Geschwindigkeit vorankommen müssen. Soll man das bedauern?"


Hören Sie zum Schluss einen Kommentar der belgischen Tageszeitung HET LAATSTE NIEUWS zur Gründung einer europäischen 'Grünen Partei':

"In Rom wurde eine europäische grüne Partei gegründet. Auf dem Podium große Namen wie Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit. Die Botschaft ist einfach: Grün ist nötig und nützlich. Die Grüne Partei unterscheidet sich grundsätzlich von allen anderen Parteien. In der Grundphilosophie wiegen nicht-materielle Werte schwerer als materielle. Die grüne Bewegung zwingt uns nachzudenken über die menschliche Dominanz auf unserem Planeten. Die Schlussfolgerung ist also selbstverständlich: Grün ist nützlich, es hat eine säubernde Wirkung."


Das war die internationale Presseschau