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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Reinhard Kleber1. Mai 2004

EU-Erweiterung / Zypern-Referendum / Gaddafi-Besuch in Brüssel

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Die internationale Presse befasste sich in dieser Woche vor allem mit der Erweiterung der Europäischen Union um zehn Staaten und die Volksabstimmung in Zypern. Ein weiteres Kommentarthema war der Besuch des libyschen Staatschefs Muhammar el Gaddafi bei der EU in Brüssel.

Mit Blick auf die Feiern zur EU-Erweiterung gießt die Wiener Tageszeitung KURIER gleichsam Wasser in den Wein der Feiernden:

"Das historische Ereignis der Vereinigung Europas wird überschattet von Sorgen, Zweifeln, Konfusion. Geschichtlich bedeutsam ist, wie sich dieser Kontinent nach seiner jahrzehntelangen Teilung neu organisiert. Zehn Länder treten der Union bei - freiwillig, mit der ausdrücklichen Zustimmung ihrer Bürger. (...) Die Erweiterung schafft neue Chancen.(...) Aber sie ist auch ein Wagnis.(...) Die Newcomer sind auf vielen Gebieten tüchtig. Und sie locken Investoren mit niedrigen Steuern und verbesserter Infrastruktur. Das alles finanzieren die Nettozahler wie Deutschland und Österreich. Wie man den unfairen Wettbewerb stoppen kann, ist eine ungelöste Frage unter den 25."

Auch das niederländische Blatt DE TELEGRAAF erhebt Einwände:

"Natürlich werden durch die Erweiterung der Union noch viele Probleme entstehen. Auf dem Papier ist viel geregelt, aber in der Praxis werden sich Hindernisse auftun. Eines dieser Hindernisse ist finanzieller Art. Es ist bereits deutlich, dass die neuen Staaten in den kommenden Jahren mehr Geld fordern als abliefern werden. Die Hindernisse muss und wird man überwinden, denn das ist nötig, um das gesteckte Ziel zu erreichen - ein vereinigtes, demokratisches Europa, in dem auch die früheren Ostblockstaaten ein Zuhause finden."

Die britische Zeitung THE INDEPENDENT beleuchtet die Rolle der europäischen Spitzenpolitiker bei der Abstimmung:

"Die heutigen Feiern sind in gewissem Sinne eine vertane Gelegenheit durch einen Mangel an politischer Führung. (Frankreichs) Präsident Chirac, Kanzler Schröder und (der britische) Premierminister Blair, die drei Politiker, die hier die Führungsrolle hätten übernehmen können und müssen, sind alle zu sehr mit ihren eigenen Problemen zu Hause beschäftigt gewesen."

Zum Ausgang des Referendums auf Zypern merkt die BERNER ZEITUNG aus der Schweiz an:

"Schade. Ein geeintes Zypern in einem geeinten Europa: Es hätte so gut zum 1. Mai, zum Tag der Erweiterung der Europäischen Union, gepasst. Doch das, wovon die meisten Türkisch-Zyprioten zu träumen wagten, war für die erdrückende Mehrheit der Griechisch-Zyprioten ein Albtraum. Das Nein aus dem Süden ist mit Blick auf die anstehenden Beitrittsfeierlichkeiten ein großer Wermutstropfen. Zäune und Minenfelder passen nicht ins Europa-Bild. (...) Auch 30 Jahre nach dem Zypern-Krieg mangelt es an Versöhnungsbereitschaft. Betonköpfe, unter ihnen auch der griechisch-zypriotische Präsident Tassos Papadopoulos und Vertreter der orthodoxen Kirche, haben die Nein-Stimmung geschürt."

Drastische Worte findet die britische TIMES:

"Die überwältigende Ablehnung des UN-Plans durch die griechischen Zyprer ist eine Katastrophe. Die Chance, die Insel nach 30 Jahren wieder zu vereinen, ist auf Jahrzehnte hinaus verloren. Kolossale diplomatische Bemühungen waren umsonst. Zypern wird jetzt mit einem bitteren Beigeschmack der EU beitreten. Die Herausforderung besteht jetzt darin, die Auswirkungen dieser Entscheidung zu begrenzen. Zum Glück sind die Regierungschefs in der Türkei und in Griechenland verantwortungsbewusst genug, um ihre Politik der Annäherung unter diesem Votum nicht leiden zu lassen. Die UN wird sich zurückziehen, aber ihre Friedenstruppen werden vor Ort bleiben."

Für die französische Zeitung L'ALSACE hat die denkwürdige Abstimmung bereits zu einem Sympathie-Wechsel geführt:

"Wer hat in Zypern gewonnen? - Jedenfalls nicht die europäische Idee, nicht die Vereinten Nationen, die das Referendum ausgehandelt hatten - und auch nicht Griechenland. Wenn man einen Sieger benennen sollte, so wären das paradoxerweise die Zypern-Türken, die sich über ihren Präsidenten und die türkische Schutzmacht hinweggesetzt haben. Die Zypern-Griechen haben sehr egoistisch abgestimmt, indem sie die von der internationalen Gemeinschaft gewünschte Wiedervereinigung verhindert haben. So hat die Sympathie die Seiten gewechselt. Europa wird die Zypern-Griechen frostig aufnehmen und dem Norden der Insel helfen."

Die NEW YORK TIMES plädiert angesichts des Stimmverhaltens der Volksgruppen für sofortige klare Konsequenzen:

"Weil die Türkei an die Tür Europas klopft, darf die Teilung Zyperns nicht zum Geschwür werden. Das heißt: Die wirtschaftliche Isolation des türkischen Nordens muss sofort ein Ende haben und das Geld, das dem Norden für den Fall der Vereinigung versprochen wurde, muss auch ausgezahlt werden. Und die EU sollte die Hilfe für den Süden drastisch beschneiden. Dies wird das Interesse der türkischen Zyprioten an der Vereinigung aufrecht erhalten, während es ein klares Signal an die griechischen Zyprioten sendet, dass die Welt offene Fehden nicht toleriert."

Themenwechsel: Der erste Besuch des libyischen Staatschefs Gaddafi in Europa seit 15 Jahren veranlasste das LUXEMBURGER WORT zu einer kritischen Stellungnahme:

"Der vom grimmigen Oberterroristen zur sanften Friedenstaube gewandelte libysche Staatschef Muhammar el Gaddafi wurde in Brüssel von der EU-Kommission wie ein verlorener Sohn gefeiert. Schwamm über das Lockerbie-Attentat und ähnliche Petitessen. Und als Anerkennung für seinen Sinneswandel durfte der Putschistenoberst die Hand von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi medienwirksam an seinem Lieblingsort, einem Beduinenzelt, schütteln. Nur den Wüstensand hatte man zu importieren versäumt."

Die französische Zeitung LE JOURNAL DE LA HAUTE MARNE mahnt zur Vorsicht gegenüber dem libyschen Staatsoberhaupt:

"Im Moment braucht der libysche Oberst den Westen. Seine Versöhnung mit den USA und mit Europa ist es ihm wert, die Verantwortung für die einstigen Anschläge auf Passagierflugzeuge zu übernehmen. Aber man kann sich sicher sein, dass der Größenwahn und Wankelmut diesen Mann befähigt, sich eines Tages wieder gegen seine neuen Freunde zu wenden. Gaddafi ist in erster Linie ein Opportunist."

Eine ganz andere Position vertritt die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA:

"In Brüssel will man testen, ob Gaddafi tatsächlich ein verlässlicher Partner für die EU sein kann. Man sollte ihm die Chance geben, den versprochenen Kurswechsel seiner Politik auch zu vollziehen. Zwischen Deutschland und Libyen ist allerdings noch nicht alles im Reinen. Die Frage nach Entschädigungen für den Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle ist weiterhin offen. Doch wie sollte man dieses Problem lösen, wenn man nicht miteinander spricht?"