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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Beatrice Hyder 29. Mai 2004

Köhler for President // Europa ringt um Verfassung vor der Wahl

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Beherrschende Themen in der ausländischen Presse diese Woche waren die Wahl von Horst Köhler zum Bundespräsidenten und das Ringen um eine europäische Verfassung mit Blick auf die Europawahl am 13. Juni.

Bei der Bundespräsidentenwahl wurden zwei Aspekte beleuchtet: Zum einen, dass Deutschland erneut keine Bundespräsident i n bekommen hat, und, das von CDU/CSU durch den Sieg ihres Kandidaten gesehene Signal für einen Regierungswechsel 2006.

Die BERNER ZEITUNG spricht von einem 'schalen Nachgeschmack':

".. letztlich blieb die große Überraschung aus. Das erstaunt nicht: Denn die Union und die FDP wollten mit der Wahl Köhlers ein Signal für eine Zeitenwende zu ihren Gunsten setzen. Geschlossenheit zu demonstrieren war deshalb oberste Priorität. Dieses partei- politische Kalkül der Opposition hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. In einem Land, das seit langem in der Krise steckt, kommt es jedoch nicht überraschend. Keine Frau nach (Johannes) Rau also - stattdessen ein zweifelsfrei brillanter Ökonom und nüchterner Analytiker."

Die Schweizer Zeitung DER BUND sieht trotz der Niederlage von Gesine Schwan bei der Wahl eine Frau als Siegerin des Tages:

"Die kalte Machtpolitikerin Angela Merkel hat sich auf der ganzen Linie durchgesetzt. Die CDU-Chefin hat damit ihre Stellung in der Partei und im Hinblick auf die Kanzleranwartschaft gestärkt. Sie hat die ganze Bundespräsidentenwahl für dieses Ziel instrumentalisiert. Damit hat sie der überparteilichen Funktion des Präsidentenamtes keinen Dienst erwiesen."

Auch die polnische RZECZPOSPOLITA sieht Merkel als Gewinnerin im unions-internen Machtpoker:

"Die Opposition feierte die Wahl Köhlers wie den Beginn des Endes der Regierung Schröder - obwohl sich in Deutschland die Rolle des Bundespräsidenten praktisch nur auf repräsentative Funktionen beschränkt. Der Sieg Köhlers ist auch ein Erfolg für CDU-Chefin Merkel. Der neue Bundespräsident war ihr Kandidat. Er stärkt ihre Position in der Reihe der Unions-Anwärter auf den Kanzlersessel."

Ähnlich äußert sich der niederländische DE VOLKSKRANT, allerdings:

"In der Kungelei um seine (Köhlers) Kandidatur stellte sie ihren Konkurrenten in der Partei ein Bein. Die Chance für einen weiblichen Kanzler ist durch die Wahl eines Mannes zumindest nicht geringer geworden. Mit der Wahl von Köhler zeigen CDU/CSU und FDP, dass sie die neue Mehrheit in Deutschland bilden, auch wenn die Regierungs- Periode von Bundeskanzler (Gerhard) Schröder noch zwei Jahre dauert."

Der österreichische STANDARD warnt CDU/CSU und FDP aber vor voreiligen Schlüssen, denn:

"...angesichts eines Vorsprungs von 73 Stimmen des bürgerlichen Lagers gegenüber Rot-Grün in der Bundesversammlung (ist es) nicht gerade überraschend, dass Köhler gewählt wurde. Es wäre laut Umfragen ohnehin anders ausgegangen, wenn es eine Direktwahl des Bundespräsidenten gegeben hätte. Dann hätte vermutlich (Gesine) Schwan das Rennen gemacht."

Die konservative österreichische Tageszeitung DIE PRESSE warnt:

"Vielleicht ist die Erwartung der Unionsparteien, die Wahl Köhlers werde eine 'politische Zeitenwende' in Deutschland einleiten, zu hoch gesteckt; vielleicht zieht man allzu leichtfertig Parallelen zu einer früheren Bundespräsidentenwahl, die ein Signal für einen Machtwechsel mit umgekehrten Vorzeichen war: 1969, als der Sieg des Sozialdemokraten Gustav Heinemann die sozial-liberale Ära einleitete. Aber sicher ist: Hätte die rot-grüne Regierung bei dieser Bundespräsidentenwahl ihre Kandidatin Gesine Schwan durchgebracht, hätte dies das Ende der politischen Ambitionen Merkels bedeutet."

Der niederländische DE TELEGRAAF sieht die Bundestagswahl 2006 für die Union nur unter bestimmten Bedingungen gewonnen:

"Nur wenn Schröders Rechnung aufgeht und er vor der Wahl dem Bürger mit wirtschaftlichen Erfolgen zeigen kann, dass alle Einsparungen nicht umsonst waren, hat Rot-Grün noch eine Chance zur Fortsetzung der Regierung. Falls dies aber nicht geschieht, dann wird die SPD auf dem heutigen Tiefpunkt bei den Umfragen stecken bleiben, und dann kann die Opposition das Messer ansetzen."

Der TAGESANZEIGER aus Zürich betont die mögliche Mittlerfunktion des neuen Bundespräsidenten, denn:

"... dem Land stehen schwierige Zeiten bevor. Falls die Union im nächsten Jahr die Zweidrittelmehrheit in der Länderkammer gewinnt, droht neben der Wirtschafts- und der Vertrauenskrise nämlich noch eine lähmende politische Krise. In einer solchen Situation wird es einen Bundespräsidenten brauchen, der sich in erster Linie dem Land verpflichtet fühlt. Und dessen Autorität als überparteiliche Instanz von den Parteien auch respektiert wird."

Gerade diese Betonung der Überparteilichkeit ist nach Ansicht der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG kein gutes Zeichen für die deutsche Politik:

"Wenn Horst Köhler, von der CDU portiert, und Gesine Schwan, die für die SPD ins Rennen gestiegen war, in der deutschen Öffentlichkeit auftraten, kam ihnen viel Sympathie entgegen, weil sie glaubwürdig darstellen konnten, nicht mit dem politischen Establishment verkuppelt zu sein. Beide machten kein Hehl aus ihrer Ansicht, dass Deutschland in den letzten Jahren nicht zuletzt wegen partei- politischer Ränkespiele in den desolaten Zustand geraten ist, in dem es die meisten Bürgerinnen und Bürger glauben."

Themenwechsel. Die Europa-Wahl steht bevor; die EU-Verfassung ist wegen weiter bestehender Meinungsverschiedenheiten über einige Kernpunkte allerdings immer noch nicht unter Dach und Fach.

Der schwedische DAGENS NYHETER warnt - um aus der Sackgasse herauszukommen - vor einem von vielen geforderten Referendum über den Verfassungsentwurf:

"Einzelne Abstimmungen in allen 25 Mitgliedstaaten würden in der Praxis bedeuten, dass es nie zu einer Veränderung kommen kann, weil ein paar Tausend Wähler auf Malta ein Grundgesetz für 450 Millionen EU-Bürger verhindern könnten...Besteht die Alternative in Europa zwischen einer Verfassung, mit der sich nichts ändern lässt, und gar keiner Verfassung, fällt einem EU-Befürworter die Entscheidung nicht schwer."

Auch das tschechische Nachrichtenmagazin RESPEKT plädiert dafür, sich mit dem Verfassungsentwurf noch etwas Zeit zu lassen:

"Welchen Sinn hätte es, während des EU-Gipfels im Juni einen Verfassungstext anzunehmen, der den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellt und den dann am nächsten Tag alle kritisieren? Die Antwort ist klar: keinen. Eine solche Version würde besser auf Eis gelegt, bis in der EU Meinungsführer mit einer wirklichen Vorstellung vom künftigen Europa erwachsen. Bis dahin könnte sich Europa der Reform seiner Wirtschaft und der Stabilisierung des Irak widmen."

Anders sieht das der spanische EL PAÍS vor allem mit Blick auf die Europawahl:

"In ihrer 25-jährigen Geschichte haben es diese Wahlen noch nie geschafft, die Wähler für europäische Ideen und Programme zu mobilisieren. Stattdessen ist es bei einer Summe von Wahlen nationalen Inhalts geblieben, obwohl das EU-Parlament inzwischen eine große Macht hat. Es ist bedauerlich, dass die EU-Verfassung nicht rechtzeitig abgeschlossen werden konnte. Stünde sie zur Abstimmung, hätte dies den Wahlen einen größeren europäischen Impuls gegeben."

Auch der französischen FIGARO rechnet mit einer geringen Wahl- Beteiligung, denn:

"Im Bewusstsein der Bürger ist Europa noch immer weit weg. Je nach den Wünschen der Politiker wird Europa als vorteilhaft oder nachteilig dargestellt. Weiterhin haben die nationalen Interessen den Vorrang."

Ähnlich sehen das die SALZBURGER NACHRICHTEN:

"Im Ringen um das neue Grundgesetz sind sich die Staaten nicht wesentlich näher gekommen. Ob es nun um Stimmgewichte im Ministerrat, die Zusammensetzung der Kommission, die Verankerung des Christentums im Vorwort, den Stellenwert der Grundrechtscharta, um Steuern, Justiz, Polizei oder Soziales geht, die Standpunkte liegen nach wie vor weit auseinander. Entsprechend tappen die Wähler im Dunkeln. Für welche Partei sie am 13. Juni stimmen sollen, wird ihnen in einem abgedroschenen Anti-Spesen-Türkei-Wasser-Atom-Wahl- kampf zwar eingetrichtert, wie das Europa der Zukunft aber aussehen wird, bleibt im Verborgenen."

Die britische FINANCIAL TIMES plädiert dafür trotz des Gefühls, zu wenig Einfluss auf EU-Entscheidungen zu haben, zu den Wahlurnen zu gehen:

"Die Europawahlen bieten den EU-Bürgern eine wichtige und direkte Möglichkeit, dieses 'Demokratie-Defizit' zu verringern. Es ist die größte demokratische Wahl über Grenzen hinaus, die es je gab... Nur wenn das Europaparlament mehr Macht bekommt, kann es auch lernen, mehr Verantwortung zu übernehmen."