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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

zusammengestellt von Martin Muno10. Juli 2004

Arbeitszeit in Deutschland /// Staatsdefizit in Italien /// Perspektiven der Europäischen Union

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Im Blickpunkt der Auslandspresse stehen in dieser Woche die Diskussion um die Zukunft der Europäischen Union, das Staatsdefizit Italiens und die neu aufgeflammte Debatte über die Arbeitszeiten in Deutschland.

Zu diesem Thema schreibt die linksliberale dänische Tageszeitung INFORMATION:

"Die Deutschen müssen sich darauf einstellen, dass kurze Arbeitszeiten ein Märchen aus vergangenen Zeiten sind. (...) Die Zukunft für den einzelnen Arbeitnehmer wird mit längerer Arbeitszeit, weniger Geld und Zeit für Familie und Schrebergarten hart. Das Schlimmste aber ist, dass das Ganze keinen Deut hilft. Wesentlich niedrigere Löhne nützen nur dem einzelnen Unternehmen, das seine Kosten senken und seine Waren billiger verkaufen kann. (...) Die Beschäftigten sind aber nicht nur ein Kostenfaktor in der Produktion. Sobald sie den Betrieb verlassen, verwandeln sie sich in Verbraucher, die möglichst mit Geld um sich werfen sollen."

In den SALZBURGER NACHRICHTEN heißt es:

"Die Österreicher könnten sich in die Brust werfen und das Thema lässig abhaken. Erstens wird in Österreich länger gearbeitet als in Deutschland, zudem wird selbst die gesetzliche Grenze oft von der Realität überholt. Und zweitens ist die Arbeitswelt in Österreich viel flexibler als im Nachbarland. Damit sind wir beim Kern des Problems, an dem die Debatte über generell längeres Arbeiten zielgenau vorbeigeht. Die innerbetriebliche Sozialpartnerschaft ist in Österreich stärker entwickelt, heimische Gewerkschafter agieren klüger als ihre deutschen Kollegen. Sie lassen auf betrieblicher Ebene Arbeitszeitmodelle und damit marktgerechte Arbeitsorganisation zu, von der deutsche Betriebe oft nur träumen können."

Und das französische Wirtschaftsblatt LES ECHOS merkt an:

"Deutschland, das einst als Klassenletzter beschuldigt wurde, mit seiner veralteten sozialen Marktwirtschaft das Wachstum in der Euro-Zone zu bremsen, wird wieder zum Versuchslabor. Und seine Partner, allen voran Frankreich, wo die Debatte über die 35-Stunden-Woche voll entbrannt ist, verfolgen die Entwicklung ganz genau. Werden die Rüffel der deutschen Arbeitnehmer eine Tendenz zur Arbeitszeitverkürzung umkehren, die seit 20 Jahren andauert? Immerhin hat die, um es gelinde auszudrücken, heftige Debatte in den beiden Ländern, die sich als Lokomotive Europas verstehen, ein Gutes: Sie zeigt ohne Umschweife, was die deutschen und französischen Beschäftigten und Gewerkschafter ahnen, in diesen Zeiten hoher Arbeitslosigkeit aber nicht klar zu sagen wagen: der Status quo kann nicht andauern."

Die belgische Tageszeitung LE SOIR geht auf die Rolle von Kanzler Gerhard Schröder in diesem Streit ein:

"Der Ton ist noch ein wenig schärfer geworden, nachdem Frank Bsirske, der Chef der großen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die Politik der Schröder-Regierung als gescheitert bezeichnet hatte. Der Kanzler, Mitglied dieser Gewerkschaft, antwortete, indem er die Legitimierung des Gewerkschafters in Zweifel zog und ihm vorwarf, keinerlei Gegenvorschlag zu seinem Programm vorgelegt zu haben. Trotz der Angriffe der drei mächtigen Gewerkschaften IG Metall, Verdi und DGB bleibt Schröder gelassen. Er verfügt über eine treue Mehrheit im Bundestag (...) und kann seine Reformen bis zum Frühjahr fortsetzen."

Zum Beschluss der europäischen Finanzminister, Italien trotz seiner Defizitüberschreitung keine Rüge auszusprechen, schreibt der TAGES-ANZEIGER aus Zürich:

"Ein klares Wort aus Brüssel hätte jene Kreise in der Römer Regierung zurückbinden können, die weiterhin ungerührt Milliardensubventionen in den Mezzogiorno und in Firmenruinen wie die Alitalia pumpen wollen. (...) Doch warum sollte die Apenninenrepublik nicht jene Milde beanspruchen, welche die Euro-Finanzminister auch schon den beiden notorischen Defizitsündern Deutschland und Frankreich mit der Aussetzung der Sanktionsverfahren gewährt hatten? Der damalige eklatante Verstoß gegen den Stabilitätspakt hat alle Bestrebungen nach einer soliden, Vertrauen erweckenden und damit auch wachstumsfördernden Finanzpolitik im gemeinsamen Währungsraum enorm zurückgeworfen."

Und die Pariser Wirtschaftszeitung LA TRIBUNE kommentiert:

"Indem sie vermeiden, Italien an den Pranger zu stellen, haben die Finanzminister der Euro-Zone eine bestimmte Beständigkeit gezeigt - beim Nachsichtigsein."

Nach der Einigung auf eine Europäische Verfassung und den aktuellen Personalentscheidungen in der EU fragen mehrere Zeitungen nach der Zukunft der Union. Dazu schreibt der Leitartikler der italienischen Zeitung CORRIERE DELLA SERA:

"Die europäische Politik scheint abwesend, zerdrückt zwischen einer nationalen und einer weltweiten Dimension. (...) Die Frage ist eine einzige: Hat die politische Einheit Europas überhaupt noch Sinn? (...) Meiner Meinung nach ist die politische Einheit Europas noch sinnvoll, weil sie das einzige Instrument ist, dass Italiener, Franzosen, Deutsche und Polen zur Verfügung haben, um wirklich Politik zu betreiben, um Einfluss auf die Geschehnisse in der Welt zu nehmen - und damit auch auf die eigenen."

Die unabhängige französische Tageszeitung LE MONDE geht auf den zukünftigen Präsidenten des Europaparlaments ein:

"Das Europaparlament hätte mit der Wahl des ehemaligen polnischen Außenministers Bronislaw Geremek die Chance, die Erweiterung der Europäischen Union zu würdigen. Doch er wird wohl nicht Präsident werden, weil er nicht den zwei großen Fraktionen angehört, nicht der konservativen Europäischen Volkspartei und auch nicht den Sozialisten. Geremek hat das Pech, von der neugegründeten Partei der Föderalisten und von den Grünen unterstützt zu werden. Die Vereinbarung zwischen rechts und links in Straßburg ist die Regel. Da ist das Desinteresse der Wähler nicht verwunderlich. Die Bürger müssen glauben, dass ihre Wahl auf den Fortgang der Europäischen Union keinen Einfluss hat."

Die konservative Wiener Tageszeitung DIE PRESSE befasst sich mit der Forderung Berlins nach einem deutschen Superkommissar für Wirtschaft. Wir lesen:

"Ist der Ruf mal ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert. Es entzieht sich zwar unserer Kenntnis, ob der gealterte Alt-Achtundsechziger Gerhard Schröder je Wilhelm Busch las. Wir wissen nur, dass er nach dieser Maxime handelt. Sie ist ja wesensgleich dem Motto: Frechheit siegt. Wie sonst ist die Berliner Forderung zu werten, 'eine herausgehobene wirtschaftspolitische Verantwortung in der EU' übertragen zu kriegen? Schröder fordert Tribut für seine Unterstützung des Portugiesen Barroso. Das wollte man ja noch verstehen. Aber ausgerechnet auf dem Felde der Wirtschaftspolitik? Hans Eichel womöglich ein 'Superkommissar' für Wirtschaftsfragen?? Der größte Defizitsünder spielt sich da auf - und glaubt, wir fallen drauf rein?"

Abschließend ein Blick in die Londoner Wirtschaftszeitung FINANCIAL TIMES, die auf die Diskussion über den möglichen EU-Beitritt der Türkei eingeht:

"US-Präsident George W. Bush hat sich auf klobige Art in die europäische Diskussion um eine potenzielle EU-Mitgliedschaft der Türkei eingemischt. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac reagierte frostig und meinte, die Europäer würden sich auch nicht zu den Beziehungen zwischen den USA und Mexiko äußern. In Europa wird die Diskussion allerdings immer intensiver. Tatsache ist, dass es keine unüberwindbaren Hürden für eine Mitgliedschaft der Türkei gibt. Wenn die Türkei die politischen und wirtschaftlichen Kriterien der EU erfüllt, sollte das Land Mitglied werden. Reformen und der Respekt vor den Menschenrechten müssen gesichert sein. Die EU sollte für die Türkei harte Maßstäbe anlegen. Aber sie sollte sich nicht immer wieder neue Hürden für einen Beitritt ausdenken."