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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

7. August 2004

Kanzler-Rede zum Warschauer-Aufstand / Flüchtlingslager in Nordafrika? / Stoiber contra Merkel und Westerwelle

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Die Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder bei den Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands fand bei der europäischen Tagespresse in dieser Woche besondere Beachtung. Insbesondere Schröders Absage jeglicher Unterstützung für Entschädigungsforderungen deutscher Vetriebener rief ein überwiegend positives Echo hervor.

Der Zorn in Polen über deutsche Untaten scheine abzunehmen, meinte der Kommentator der britischen TIMES und schrieb:

"Gerhard Schröder hat versucht, eines der blutigsten Kapitel der europäischen Geschichte abzuschließen, indem er deutsche Scham angesichts der Ermordung hunderttausender Polen während des Warschauer Aufstands von 1944 bekundet hat. Die kurze Rede hat viele, wenn auch nicht alle Polen zufrieden gestellt. (...) Die Zehntausenden von uniformierten Veteranen, die sich durch das Zentrum von Warschau bewegten, äußerten sich vor allem verbittert über Russland. (...) Während das moderne Deutschland neue Brücken gebaut hat, indem es sich entschuldigte und seine Verbrechen offen diskutierte, wird der Aufstand in russischen Schulbüchern kaum erwähnt."

Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA stellte fest:

"Die Ansprache von Bundeskanzler Schröder auf dem Platz der Aufständischen war besonders erwartet worden. Die Beziehungen zwischen unseren Ländern sind die schlechtesten in der kurzen Geschichte der III. Republik (seit 1989), und mehr noch, die Gespenster der Vergangenheit erhoben sich erneut, ob in Form des provozierenden Projekts des Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin oder in Form von Entschädigungsforderungen gegen Polen. In dieser Hinsicht konnte die eindeutige Rede des Kanzlers alle Ängste zerstreuen."

Ähnlich urteilte die tschechische Zeitung PRAVO:

"... Schröders Worte in Warschau, dass die Bundesregierung keine Forderungen von Vertriebenen an Polen unterstützt, sind ein weiterer wichtiger Schritt zur Versöhnung ehemaliger Feinde. Der Bundeskanzler hat die bilateralen Beziehungen an einen Punkt gebracht, den kein künftiges Kabinett - selbst wenn es Vertriebenen gewogen sein sollte - einfach ignorieren kann. Diese Tatsache sollte die heutige Opposition in Berlin bedenken."

Die französische Zeitung LES DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE hob hervor:

"Sicherlich unterstreicht dieser Besuch den Geist der Versöhnung, der in Europa herrscht. In seinen Worten geht der Kanzler indessen über die Symbolik noch hinaus. Seine Rede zeugt von wahrhaftigem Mut angesichts der politischen Lage in Deutschland. Mit ein paar Worten hat der Regierungschef die Ansprüche der Vertriebenen hinweggefegt. Obwohl an die Polen gerichtet, werden seine Worte auch in Tschechien ein Echo finden. Seit langem werfen ähnliche Ansprüche der Sudetendeutschen ihren Schatten auf die Beziehungen zwischen Prag und Berlin. In Warschau hat Schröder zweifellos das letzte deutsche Kapitel, den Zweiten Weltkrieg betreffend, abgeschlossen."

Doch gab die österreichische Zeitung DER STANDARD zu bedenken:

"Wer allerdings jetzt glaubt, dass nun unter alle deutschen Restitutionsforderungen ein Schlussstrich gezogen werden kann, der irrt. Niemand, auch kein deutscher Kanzler, kann verhindern, dass sich Vertriebene ihr Recht oder das, was sie dafür halten, vor Gerichten suchen: Wer den nationalen Rechtsweg ausgeschöpft hat, der kann sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden, was natürlich nichts über die Erfolgsaussichten solcher Klagen sagt."

Die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA betonte:

"Für Polen ist wichtig, dass die Position der deutschen Regierung gewinnt. Es kann sein, dass die radikalen Vertriebenen einen Prozess vor internationalen Gerichten führen. Und vielleicht ist das sogar gut. Es ist schwer vorstellbar, dass das Gericht ein Urteil zu Gunsten von (dem Vorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien) Pawelka fällt und nicht für Gerechtigkeit und gesunde Vernunft. Sicher ist, dass es schwierig ist, diese Angelegenheit ins Unendliche zu ziehen. Sie dauert, gegen jede Logik, schon zu lange."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kommentierte die Rolle der Vertriebenverbände:

"Allerdings finden die Vertriebenenverbände in Deutschland, anders als Schröder in Warschau meinte, durchaus Sukkurs von 'ernst zu nehmenden politischen Kräften'. Ihr Mobilisierungsvermögen ist noch immer beträchtlich, und ihrem verlockenden Potenzial an Wählerstimmen erliegen insbesondere Exponenten der bayrischen Politik immer wieder. Solange ihre Umtriebe von einem Teil der deutschen Parteien gedeckt werden, muss nicht erstaunen, dass in Polen und Tschechien trotz allen Fortschritten in den Beziehungen zu Deutschland noch so viel Misstrauen wach bleibt. Die Hardliner der Vertriebenenverbände werden sich von Appellen zur Vernunft kaum überzeugen lassen. Aber wenigstens hat ein deutscher Kanzler nun einmal klar gemacht, was im deutsch-polnischen Verhältnis toleriert werden darf und was nicht."

Die österreichische Presse beschäftigte sich noch mit zwei anderen Themen deutscher Politik. Die überregionalen SALZURGER NACHRICHTEN empörten sich über den Plan von Bundesinnenminister Otto Schily, Auffanglager für Flüchtlinge in Nordafrika einzurichten:

"Schilys Vorschlag ist weder menschlich noch praktikabel. Europa als Kontinent der Menschenrechte verspielte völlig seine Glaubwürdigkeit, wenn es den Ärmsten der Armen Asyl, ja den mindesten rechtlichen Schutz verweigerte (...). Schily betreibt Symptombekämpfung, noch dazu schlechte. Wer Flüchtlingsströme verhindern will, muss bei den Ursachen der Migration ansetzen. Dass Europa immer mehr zur Festung wird, kann nicht die Lösung sein. Vonnöten ist erstens eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in der EU (...). Zukunftsweisend kann zweitens Unterstützung der Anrainerstaaten von Krisenregionen sein. Drittens steht unsere ganze Nord-Süd-Politik, zumal gegenüber unserem Nachbarkontinent Afrika, auf dem Prüfstand."

Die Wiener Zeitung DER STANDARD kommentierte die angeblichen Attacken von CSU-Chef Edmund Stoiber gegen seine CDU-Kollegin Angela Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle. Beide - so soll er bei einem Treffen mit CSU-Sozialpolitikern gesagt haben - seien unfähig Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer bei der Bundestagswahl 2006 zu schlagen. Dazu DER STANDARD:

"Natürlich treiben den forschen Bayern, der die letzten Wahlen gegen Schröder souverän verlor, auch persönliche Motive. Er hält sich selbst für den besseren Kanzlerkandidaten und will noch einmal antreten. Aber Stoiber ist auch klar, dass der derzeitige Höhenflug der CDU-CSU eher der Schwäche der Regierung als eigener Stärke zu verdanken ist. Nahezu täglich melden sich CDU-Politiker mit unkoordinierten Plänen für diverse Reformen zu Wort, kaum ist eine Wortmeldung verhallt, klingt schon die nächste, meist widersprüchliche, im Ohr. Wenn den Wählern klar wird, dass die Opposition den unpopulären Sparkurs der Schröder-Regierung sogar noch verschärfen will, ist der Sieg bei den Wahlen 2006 keine ausgemachte Sache mehr. Auch wenn der geballte Volkszorn jetzt gerade Schröder trifft."