1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel21. August 2004

US-Truppenabzug aus Europa und Asien

https://p.dw.com/p/5T9j


In der ausländischen Tagespresse war der von US-Präsident George W. Bush angekündigte Plan, 70000 Soldaten aus Europa und Asien abzuziehen, eines der meistkommentierten Themen dieser Woche. Dass allein aus Deutschland in den kommenden zehn Jahren 30000 US-Soldaten abgezogen und teilweise in osteuropäische Länder verlegt werden sollen, weckte bei manchen Kommentatoren wieder einen alten Verdacht:

So meinte der FIGARO aus Paris:

"Man muss den Hintergedanken von George W. Bush Rechnung tragen. Einige der aus Deutschland abgezogenen Bataillone nach Rumänien und Bulgarien zu verlegen, ist eine gute Art, Gerhard Schröder zu bestrafen, der es gewagt hatte, sich der Irak-Expedition zu widersetzen."

Ähnlich urteilte die belgische Tageszeitung DE MORGEN:

"Länder wie Polen, Tschechien und Ungarn oder sogar die Ukraine müssen von Washington belohnt werden für die blinde Art und Weise, mit der sie in fast jedem politischen Bereich hinter den Vereinigten Staaten stehen. Sie kriegen deshalb haufenweise US-Soldaten, die im Westen abgezogen werden, und sind damit sehr zufrieden. (...) Das 'alte Europa', wie US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld es nennt, und vor allem Deutschland, musste von den Amerikanern noch 'bestraft' werden wegen der Kritik an dem militärischen Abenteuer im Irak. Der Schlag des Truppenabzugs wird für Deutschland am schwersten sein. Tausende deutsche Bürger und verschiedene Unternehmen arbeiten direkt oder indirekt für die amerikanischen Militärs. Für ein Land mit mehr als vier Millionen Arbeitslosen ist das keine gute Nachricht."

Nach Ansicht der NEW YORK TIMES hat der Abzugsplan langfristig strategisch gesehen nur wenig Sinn. Er werde "mit Sicherheit bestehende Bündnisse strapazieren, die Gesamtkosten für das Militär erhöhen und die Abschreckung auf der koreanischen Halbinsel zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt schwächen", kritisierte das Blatt und kam zu dem Schluss:

"Auch wenn das Pentagon es bestreitet: Es scheint wohlüberlegt zu sein, dass die größten Truppenkontingente gerade aus den Ländern abgezogen werden sollen, mit denen die Bush-Regierung in den vergangenen Jahren die größten Meinungsverschiedenheiten hatte, nämlich mit Deutschland über den Irak und mit Südkorea über die Verhandlungsstrategie gegenüber Nordkorea."

Dem widersprachen die SALZBURGER NACHRICHTEN:

"Der geplante Abzug amerikanischer Truppen aus Deutschland ist keine Strafaktion für Berlins Opposition gegen den Irak-Krieg. Zwar hätten Konservative in den USA gerne eine solche Retourkutsche für deutsche Aufmüpfigkeit bespannt. Aber Washington hat mit der Ausarbeitung des neuen globalen Konzepts für die Streitkräfte bereits vor der Militäraktion gegen Saddam Hussein begonnen. Dass Präsident Bush die Umbau-Pläne gerade jetzt bekannt gegeben hat, mag ein wahltaktischer Schachzug sein. In einem Moment, da die US-Truppen mit den Einsätzen in Afghanistan und im Irak bis zum Äußersten angespannt sind, will sich Bush an der 'Heimatfront' primär als besorgter Oberkommandierender und weit blickender Stratege präsentieren. In Wahrheit reflektiert die geplante Verlagerung amerikanischer Einheiten die grundlegend gewandelte Lage in der Weltpolitik. Russland ist heute kein Gegner mehr. Eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges sind amerikanische Truppenkonzentrationen mitten in Europa ein Anachronismus."

Die britische Wirtschaftszeitung FINANCIAL TIMES stellte fest:

"Selten ist eine ausländische Macht mit so vielen Soldaten über einen so langen Zeitraum hinweg in einem Land geblieben, und selten haben die Einwohner beim Rückzug dieser Macht dann Bedauern statt Wut bekundet. Die Amerikaner haben ihre Mission erfolgreich abgeschlossen. Die sowjetische Bedrohung ist verschwunden. Es besteht auch keine Gefahr, dass ein vereinigtes und industrialisiertes Deutschland Zuflucht zu militaristischer Träumerei nehmen könnte. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass Deutschlands ehemalige Feinde mittlerweile - durchaus mit einigem Erfolg - versuchen, den schlafenden Riesen zu einem stärkeren militärischen Engagement in Ländern wie Bosnien, Afghanistan und dem Irak zu bewegen."

Die in London erscheinende Zeitung THE INDEPENDENT stellte die Frage, welche Botschaft mit dem Truppenabzug vermittelt werde und schrieb:

"Das US-Engagement in Deutschland ist lange mit einem fortgesetzten Engagement in Europa und einem Bekenntnis zur transatlantischen Allianz gleichgesetzt worden. Militärstützpunkte in Deutschland zu schließen und anschließend die US-Präsenz in - sagen wir - Usbekistan zu verstärken, würde das Ende einer Epoche bedeuten - und vielleicht auch den Niedergang des amerikanischen Engagements für Europa."

Bushs Ankündigung sei doch nur Wahlkampftaktik meinte die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT:

"Die Bedeutung der Pläne liegt vor allem im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe und darin, dass sie mit so viel Theater angekündigt wurden. Alles hängt mit der Situation auf dem Feld der politischen Auseinandersetzung zusammen. Der Präsident steckt in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit seinem Herausforderer John Kerry, das Thema Frieden und Sicherheit spielt eine wichtige Rolle, und da bietet ein Auftreten vor Veteranen in Ohio die ideale Gelegenheit für einen Fanfarenstoß. Das Weiße Haus war dabei nicht an Erwägungen interessiert, dass ein gedämpfter Ton in einem solchen Fall die Gefahr von Missverständnissen im Ausland verringert. Wie hat (der frühere US-Präsident) Teddy Roosevelt so richtig gesagt: Speak softly and carry a big stick (Sprich ruhig und präsentiere einen großen Stock)."

Zum Schluss die Moskauer Tageszeitung KOMMERSANT:

"Der Kreml reagiert ruhig auf die Annäherung amerikanischer Truppen an die Grenzen Russlands und entscheidet sich damit für das kleinere Übel. Alles andere wäre unvernünftig, denn es würde eine Konfrontation mit den USA bedeuten. Die würde zu einem neuen Kalten Krieg und zu einem unkontrollierten, wie man zu sowjetischen Zeiten sagte, Rüstungswettlauf führen. Den letzten Rüstungswettlauf, den das Amerika Ronald Reagans Moskau aufzwang, hat die Sowjetunion nicht ausgehalten - sie zerfiel. Falls Russland sich erneut in so einen Wettbewerb hineinzwingen ließe, diesmal vom Amerika des George Bush, wäre der Ausgang wohl kaum besser."