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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Frank Gerstenberg28. August 2004

Montagsdemonstrationen / Debatte über Entschädigungen für Vertriebene

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Große Beachtung in der ausländischen Tagespresse fanden in dieser Woche die sogenannten Montagsdemonstrationen in Ostdeutschland. Der Tenor der Kommentatoren lautete, dass Deutschland zu den Reformen keine Alternative habe. Dieser Ansicht war beispielsweise

DER STANDARD aus Wien:

"Der sich für dieses Jahr abzeichnende historische Höchststand beim Staatsdefizit führt drastisch vor Augen, dass es so einfach nicht mehr weitergehen kann. Die Kosten für die Arbeitslosen steigen sukzessive an. Das zeigt eindringlich den Handlungsbedarf: Wo nichts mehr ist, kann nicht immer mehr ausgegeben werden. Der deutsche Wirtschaftsexperte Bert Rürup hat es nobel ausgedrückt: Der deutsche Staat sei fiskalisch erschöpft."

Die spanische Zeitung EL PAIS ging hart mit Deutschland ins Gericht:

"Während die anderen zentraleuropäischen Staaten versuchen, sich auf eigene Faust aus dem Loch nach oben zu arbeiten, haben die Ost- deutschen von Anfang an ihre Hoffnungen auf die reichen Brüder im Westen gesetzt, damit sie sie aus dem Elend erretten. Das war ein böser Selbstbetrug. Die Deutschen haben jahrelang über ihre Ver- hältnisse gelebt. Strukturreformen kamen zu spät und nur halbherzig."

Die Demonstrationen in Leipzig jedoch führten geradewegs zurück in die Misere, warnte die englische Tageszeitung THE TIMES:

"Die Menschen im Osten Deutschlands machen sich nicht selbst, sondern den Staat und die Demokratie für ihre Lage verantwortlich. Also wird im Osten marschiert, und im Westen hat man das Gefühl, dass es sich dabei um einen Marsch in die Vergangenheit handelt. Das einzige, was Deutsche im Westen und im Osten verbindet, ist ihre Verachtung für Schröder. Dabei wäre es eigentlich fairer, den früheren Kanzler Helmut Kohl für die Situation verantwortlich zu machen."

Für die polnische Tageszeitung GAZETA WYBORCZA hat Deutschland nur zwei Möglichkeiten: Reformen oder Niedergang. Schonungslos kommentierte das Blatt:

"Bundeskanzler Schröder muss Wort halten und die Reformen bis zum Ende führen. Sonst wird Deutschland auf lange Sicht zum ´kranken Mann Europas` und die Gesellschaft fällt angesichts der chronischen Haushaltsprobleme und der wirtschaftlichen Stagnation in kollektive Depression. Schon heute gehören Umfragen zufolge besonders die Ostdeutschen zu der unzufriedensten Bevölkerung in der EU. Klar, dass unsere Nachbarn jenseits der Oder ihren Lebensstandard nicht mit den Polen und Bulgaren vergleichen, sondern nur mit dem am anderen Ufer des Rheins. Das ist auch die Schuld der Politiker aller Parteien, die angestrengt vermeiden, die Wahrheit über die Situation im Land zu erzählen."

Soweit GAZETA WYBORCZA aus Warschau. Abschließend befand die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zur Lage in Deutschland:

"Der in der DDR früher viel zitierte Marx bemerkte einmal, alle weltgeschichtlichen Ereignisse ereigneten sich zweimal, erst als Tragödie und dann als Farce. Die gegen das kommunistische Regime gerichteten Demonstrationen waren im Herbst 1989 zwar keine Tragödie, doch tragen die Versuche der Wiederbelebung in diesem Sommer gleichwohl skurrile Züge. Ausgerechnet die PDS, Erbin der einstigen Machthaber, profitiert heute von den Montags- demonstrationen."

Nach diesem Auszug aus der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG kommen wir zu einem anderen Thema: Den Forderungen der Vertriebenenverbände in Deutschland nach Entschädigungen. Warschau droht für diesen Fall seinerseits mit Ansprüchen. Das polnische Parlament, der Sejm, debattierte in dieser Woche über den Antrag mehrerer Abgeordneter, Reparationszahlungen von Deutschland zu verlangen. Die in Warschau erscheinende RZECZPOSPOLITA warnte:

"In Deutschland können wir eine neue Wahrnehmung des 2. Weltkriegs beobachten - nicht nur in nationalistischen Kreisen oder unter den Vertriebenen. Deshalb muß man sich auf eine Abwehr von Eigentumsansprüchen der Deutschen vorbereiten, die aus dem Gebiet des heutigen Polen ausgesiedelt wurden. Die polnische öffentliche Meinung muß beruhigt werden. Am besten hierfür ist die ständige Erinnerung daran, wer den Krieg begonnen hat, wer für Raub, Plünderung und Zerstörungen in Polen verantwortlich ist, bevor es zur Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aufgrund der Verständigung der Siegermächte kam."