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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Barbara Zwirner 23. Oktober 2004

Krise bei Opel / Streit in der CDU/CSU / Auffangzentren in Nordafrika / Kontroverse um EU-Kommissar / Irans Atomprogramm

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Die europäische Presse befasst sich in dieser Woche unter anderem mit der Krise bei der General Motors-Tochter Opel und dem andauernden Streit in der CDU/CSU. Aufmerksamkeit finden auch die Diskussion um illegale Einwanderung nach Europa und die Kontroverse um den designierten italienischen EU-Kommissar Rocco Buttiglione.

Die Wiener Zeitung DIE PRESSE schreibt zur Krise bei den Opel-Werken:

"Taktik hin oder her: Deutschlands Wirtschaft braucht zum Überleben eine Korrektur des Lohnniveaus. Die Alternative sind Massenkündigungen à la Opel. Auch das Beispiel BMW ist da kein Gegenbeweis. Gut, dort sind besonders fähige Manager am Werk. Aber konkurrenzfähig arbeitet die Autoschmiede vor allem, weil bei Luxusautos der Arbeitskostenanteil sehr gering ist. Am Änderungs- Bedarf ändert auch der derzeitige Exportboom nichts. Schlecht ausgelastete Fabriken mit unterbeschäftigten Arbeitern können jederzeit ohne Fixkosten-Steigerung ihre Produktion erhöhen und sind daher auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig. So ein Boom ist aber kein Aufschwung: Er erhöht die Zahl der Arbeitsplätze nicht, er sorgt nur in sehr geringem Ausmaß für Neuinvestitionen."

Die in Warschau erscheinende RZECZPOSPOLITA meint:

"Die Deutschen wissen, dass sie viel verdienen und arbeiten tüchtig. Nur wird woanders auch viel und tüchtig gearbeitet, aber bedeutend weniger verdient. Sie sollten sich also nicht wundern, wenn jetzt Kosten gespart werden sollen, und leider ausgerechnet bei ihnen. Es bringt nichts, sich auf die Hilfe von Politikern zu berufen, weil sich die Restrukturisierung von Opel nicht mehr rückgängig machen lässt. Wenn das der Fall wäre, gäbe es das Unternehmen in ein paar Jahren nicht mehr. Opel ist nicht der einzige Automobilkonzern, der Kosten senkt."

Die dänische Tageszeitung INFORMATION kommentiert:

"Deutschlands eigentliches Problem ist Deutschland. Nicht nur die Autoindustrie, sondern auch der Einzelhandel und die Baubranche liegen darnieder. Der Binnenmarkt steht vor dem Zusammenbruch, weil die Kunden auf ihrem Geld sitzen bleiben. Sie streben zu den Sonderangeboten bei Aldi, schieben den Autokauf vor sich her, sagen Ferien ab. Was am Ende des Monats übrig bleibt, kommt komplett auf die Bank. Die Kunden sparen aus Angst vor der Zukunft und wollen sich für noch schlimmere Krisenzeiten rüsten. Allein die Furcht vor Arbeitslosigkeit schafft Arbeitslosigkeit. Deshalb kann die Lösung nicht im Beschneiden der Löhne bestehen. Was das Land am dringendsten braucht, ist ein Gefühl von Vertrauen in die Zukunft. Erst damit wird sich die Krise mildern."

Und die spanische Zeitung EL PAIS ergänzt:

"Deutschland ist dabei, sich zum chronisch Kranken von Europa zu entwickeln. Der Hauptgrund der wirtschaftlichen Schwäche liegt in der Wiedervereinigung, die sich selbst für eine so starke und disziplinierte Gesellschaft wie die deutsche als harter Brocken erwiesen hat. Aber auch die Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder trägt zur Erstarrung bei. Die angekündigten Reformen weckten die schlimmsten Befürchtungen. Ein großer Teil der Veränderungen fand dann gar nicht erst statt. Die Frage ist nun, ob das Schlimmste überstanden ist. Die Krise bei Opel gibt nicht gerade Anlass zum Optimismus."


Den weiter schwelenden Streit in der CDU/CSU nimmt die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT in den Blick:

"In der deutschen Oppositionspartei CDU spielt sich derzeit eine Revolte gegen Parteichefin Angela Merkel ab. Sie wird für die Niederlagen verantwortlich gemacht, die ihre Partei bei den jüngsten Wahlen hinnehmen musste. Mittlerweile kann sich die Regierungspartei SPD ungestört als Musterbeispiel der Solidität profilieren. Gerhard Schröder scheint endlich seine Rolle als souveräner Bundeskanzler gefunden zu haben. Der Fraktionschef der SPD im Bundestag, Franz Müntefering, sagte am Wochenende, was viele denken: Man darf gar nicht daran denken, dass die Kampfhähne der CDU das Land regieren könnten."

Das LUXEMBURGER WORT sieht das Durcheinander in der Union so:

"Ist es Angela Merkels Schuld, dass der Umfragenvorsprung wie Schnee in der Sonne schmilzt? Auch! Doch die Unions-Kakophonie um die Kanzlerkandidatur und interne Machtkämpfe besonders des vormaligen, unterlegenen bayrischen Kanzlerkandidaten ließen ihr wenig Spielraum. Die missglückte Türkei-Unterschriftenaktion zeugt nicht nur von Unverständnis des institutionellen Funktionierens der Europäischen Union, sondern auch von einer Fehleinschätzung der Stimmungslage in der Bevölkerung. Rot-Grüne Reformbeharrlichkeit zeigt Wirkung: Will die Union aus Fehlern der Regierung Kapital schlagen, muss sie Regierungsalternativen ausarbeiten, innere Querelen beilegen und sich auf die Landesprobleme konzentrieren. Sonst wird die Wahl 2006 wider Erwarten eng."

Die Londoner FINANCIAL TIMES kommentiert die politsche Stimmung in Deutschland wie folgt:

"Bundeskanzler Gerhard Schröders Wahlkampf für eine dritte Amtszeit hat bereits begonnen. Und er macht Punkte. Es gibt gute Gründe dafür, warum die SPD zur Mitte der Legislaturperiode wieder an Popularität gewinnt. Einer davon sind die schier endlosen Grabenkämpfe im konservativen Lager: Die CDU-Fürsten zerfleischen sich wegen unterschiedlicher Reformpläne für Arbeitsmarkt und Gesundheit. Doch nach Einschätzung von Analysten wirft auch das kluge Taktieren Schröders Früchte ab. Nachdem er den deutschen Wählern in den ersten beiden Jahren seiner zweiten Amtszeit bittere Reformmedizin verabreicht hat, umwirbt er sie nun. Noch vor dem Sommer begann er, der Bevölkerung zwei neue Grundsätze einzuhämmern: dass er zu seinen Reformen stehen, aber keine neuen Initiativen entwickeln würde."


Zur Debatte in der EU über Auffangzentren in Nordafrika für illegale Zuwanderer schreibt der niederländische Zeitung DE TELEGRAAF:

"Die auflodernden Emotionen um 'Lager' oder 'Auffangzentren', die einige Länder in Nordafrika einrichten wollen, um dort Asylsucher oder andere Migranten aufzufangen, zeigen, dass es sich um ein sehr heikles Thema handelt. Dies gilt umso mehr, als Deutschland zusammen mit Italien und Österreich ein großer Verfechter dieser Möglichkeit ist. Die Kombination von 'Deutschland' und 'Lager' ist nun einmal außerordentlich unglücklich und erstickt jede Diskussion. Der Aufbau von Räumlichkeiten für Asylbewerber in Nordafrika soll verhindern, dass aus dem Mittelmeer ein großer Friedhof wird. Aber auch das bedeutet nur Herumdoktern am Symptom. Wichtiger wäre es, Armut und Arbeitslosigkeit in den Herkunftsländern zu bekämpfen, so dass der Migrationsdruck an der Wurzel angepackt würde."

Auf die NEW YORK TIMES sieht in Auffangzentren keine dauerhafte Lösung:

"Es ist offensichtlich, dass illegale Zuwanderer in Europa ebenso wie in den USA ein ernstes Problem darstellen. Aber dieses Problem kann nicht dadurch gelöst werden, dass es ausgelagert wird. Es ist möglich, dass richtig entworfene, geführte und kontrollierte Transitlager Teil einer Lösung sein können. Aber die wichtigere Aufgabe für Europa besteht darin, sich auf eine gemeinsame Asylpolitik zu einigen, die berücksichtigen sollte, dass Asylbewerber das Recht auf einen umfassenden Schutz haben, bis ihre Fälle entschieden sind."


Die römische Zeitung LA REBPUBBLICA kommentiert den Streit um den designierten italienischen EU-Kommissar Rocco Buttiglione:

"Der Rücktritt (Buttigliones) wäre die einzig würdevolle Geste: für sich selbst, für das Land, das er repräsentieren soll und auch für die Kommission, in der er sitzen würde und die jetzt wegen ihm ihre Ablehnung beim europäischen Parlament riskiert. Aber die Halsstarrigkeit des italienischen Kommissars - der es vorgezogen hat, seine 'Fehltritte' einzugestehen, führt die europäischen Institutionen zum Frontalzusammenstoß. Ein Zusammenprall mit unsicherem Ausgang; sicher ist nur, dass Italien auf jeden Fall schlecht dabei wegkommt."

Die flämische Zeitung DE MORGEN aus Brüssel meint dazu:

"Wenn die Barroso-Kommission den Segen des Europäischen Parlaments bekommt, ist das ein erneuter Beweis dafür, dass es in Europa nicht um den europäischen Gedanken, sondern um nationale Belange geht. Prosaischer: Deutsche Sozialdemokraten werden keine Kommission wegstimmen, in der ihr Landsmann und Parteifreund Verheugen die erste Geige spielt; die Briten kriegen sehr wahrscheinlich Anweisungen, Blairs engsten politischen Freund Peter Mandelson zu unterstützen; und viele belgische Liberale werden es wohl kaum wagen, Louis Michel an den Karren zu fahren."


Abschließend ein Blick in die britische Zeitung THE GUARDIAN zu den Versuchen von Deutschland, Frankreich und Großbritannien, Iran zur dauerhaften Aufgabe seines Programms zur Urananreicherung zu bewegen. Wir lesen:

"Vor einem Jahr sah es noch so aus, als könne Europa am Fall Iran demonstrieren, dass seine Politik der Diplomatie und Argumente Erfolg haben würde, wo amerikanisches Säbelrasseln versagt hatte. Die Mission war wichtig genug, um London, Paris und Berlin - obwohl gespalten beim Thema Irak - gemeinsam vorgehen zu lassen. Doch wenn Teheran im letzten Moment nicht noch eine große Überraschung hervorzaubert, haben sie dabei versagt. Die Welt ist verständlicher weise noch vollauf mit dem Irak beschäftigt. Aber die Krise, die gleich nebenan entsteht, könnte äußerst ernst sein. Den iranischen Geist in der Flasche zu halten, ist eine Sache von weltweiter Bedeutung."