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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Stephan Stickelmann 5. Dezember 2004

Staatskrise in Ukraine / Frankreichs Sozialisten für EU-Verfassung / Justizreform in Italien

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Die Staatskrise in der Ukraine ist auch in dieser Woche das überragende Kommentarthema der ausländischen Tageszeitungen. Zudem beschäftigen sie sich mit der Abstimmung der französischen Sozialisten zur EU-Verfassung sowie mit der Justizreform in Italien.

Zum ersten Thema: In der Ukraine haben die obersten Richter die umstrittene Präsidenten-Stichwahl vom 21. November annulliert. Damit müssen sich der amtierende Regierungschef Janukowitsch und Oppositionsführer Juschtschenko erneut dem Wählervotum stellen. Dazu bemerkt das LUXEMBURGER WORT:

"Mit der richterlichen Entscheidung, dass die Stichwahl um das Präsidentenamt wegen Wahlfälschung am 26. Dezember wiederholt werden muss, hat das Oberste Gericht der Ukraine möglicherweise eine entscheidende Weichenstellung vollzogen. Die Abnutzungstaktik der Kiewer Machthaber gegenüber der Opposition ist damit klar konterkariert worden. Im Kontrast zur nationalen Wahlkommission haben die obersten Richter mit ihrem Votum ihre Unabhängigkeit bewiesen und allen Pressionen der Machthaber getrotzt. Nicht zu übersehen ist zugleich, dass ohne den Druck des westlichen Auslandes es nicht zur Annullierung dieser offensichtlich massiv manipulierten Präsidentenwahl gekommen wäre. Beide Viktor (Juschtschenko und Janukowitsch) werden also voraussichtlich erneut aufeinander treffen, diesmal hoffentlich unter fairen Bedingungen. Alles spricht solchenfalls für Juschtschenkos Sieg. Eine andere Frage ist, ob die Ukraine angesichts der zu erwarten neuerlichen Spaltung in einen Ost- und Westteil, nicht schließlich ganz auseinander bricht."

Der TAGES-ANZEIGER aus Zürich ist der Ansicht:

"Allein die Tatsache, dass sich das Oberste Gericht nicht einschüchtern liess und sein Urteil gemäss dem Gesetz gefällt hat, ist ein Sieg für die Ukraine, wo Richter immer wieder als Vollstrecker politischer Abrechnungen missbraucht werden. Die Menschen in Kiew feierten die Richter wie Helden - doch die Helden sind sie selber. Ruhig, aber felsenfest überzeugt von ihrem Recht auf eine faire Wahl, haben sie der Kälte und dem korrupten Regime getrotzt."

In der TIMES aus London heißt es:

"Richter Anatoli Jarema wird vielleicht schon jetzt mit einer Statue auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew geehrt. Die Entscheidung der Kammer des Obersten Gerichts, der er vorsitzt, das offizielle Ergebnis der Wahlen in der Ukraine vom vergangenen Monat zu kippen, war eine bedeutende Erklärung der Unabhängigkeit vom russischen Einfluss, wie die offizielle Verkündigung, die die Sowjetunion vor 13 Jahren zerbrechen ließ. Seitdem ist das Vermögen der Ukraine, einzig im eigenen Interesse zu handeln, nie so auf die Probe gestellt worden."

Und die französische Zeitung LIBÉRATION resümiert:

"Die Annullierung der gefälschten Wahl des Präsidenten in der Ukraine ist in erster Linie ein Sieg für die orangene Revolution, die Bewegung einer Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung, die Schluss machen will mit einem Mafia-ähnlichen Regime der Nomenklatura aus der Nach-sowjetischen Ära, das seit Loslösung der Ukraine aus dem sowjetischen Machtbereich vor 13 Jahren das Land regiert. Es ist aber auch ein Sieg für Europa, dem sich die Ukrainer zugewendet haben. Die Ukrainer werden sich hoffentlich auch auf die Europäische Union verlassen können, auf die sie einen großen Schritt zugetan haben."

Und damit wechseln wir das Thema: In einer Urabstimmung haben sich fast 59 Prozent von Frankreichs Sozialisten für die EU-Verfassung ausgesprochen. Dazu heißt es in dem französischen Blatt LA MARSEILLAISE:

"Der deutliche Sieg des 'Ja' ist unzweideutig: Die Sozialisten haben mit großer Mehrheit die Bequemlichkeit des Status Quo eines Maastricht-Europa einem entschlossenen Bruch mit dem liberalen Europa vorgezogen. Auch wenn sie unter der merkantilen Konzeption der EU leiden, haben es zahlreiche Parteimitglieder nicht gewagt, dieses Modell des europäischen Aufbaus in die Krise zu stürzen. Hin- und hergerissen zwischen ihren europäischen Idealen und ihrer sozialistischen Überzeugung haben sie in dem 'Ja' eine minimale Möglichkeit gesehen, beide zu bewahren.'

Der britische GUARDIAN sieht es so:

"Nicht nur den französischen Sozialisten entfährt ein Seufzer der Erleichterung, nachdem die Oppositionspartei für die EU-Verfassung gestimmt hat. Nach diesem Ergebnis ist es wahrscheinlicher - wenn auch noch alles andere als sicher -, dass der Text nächstes Jahr in einem landesweiten Referendum genehmigt werden wird. Doch noch immer kann vieles schiefgehen. Die Ergebnisse der Volksbefragungen in den Niederlanden und in Tschechien stehen noch lange nicht fest. Das gilt in noch stärkerem Maße für Großbritannien, wo die Euroskeptiker und ihre Bluthunde bei der Presse weit besser organisiert sind als die Befürworter des Vertrages, die durch einen Mangel an Begeisterung bei der Regierung geschwächt werden."

Und LA PRESSE DE LA MANCHE - die Zeitung wird in Cherbourg herausgegeben - gelangt zu der Einschätzung:

"Die Urabstimmung bei den Sozialisten war in mehrfacher Hinsicht positiv. Sie ermöglicht es der Partei nicht nur, mit der größten Legitimität für das Ja zu werben, sondern sie hebt außerdem auch jede Zwiespältikeit auf, die auf der geplanten Volksabstimmung lasten könnte. Laurent Fabius hat mehrfach aufgerufen, bei dem Referendum mit Nein zu stimmen, um nicht Ja zu Jacques Chirac zu sagen. Diese Äußerungen waren ein Irrtum, denn es geht um ein europäisches Vorhaben, das von den EU-Staaten gemeinsam vorgelegt wurde und nicht von dem einen oder anderen Politiker an der Spitze eines dieser Staaten."

Noch einmal Themenwechsel: Das italienische Parlament hat eine Justizreform verabschiedet, die nach Einschätzung der Opposition den Einfluss des Staates zu stark werden lässt. Das Urteil von IL MESSAGGERO in Rom ist dennoch eher positiv:

"Es ist sicher nicht das Gegenmittel für alle Übel der Justiz, aber die Reform des alten und veralteten Justizsystems könnte ein guter Ausgangspunkt für ein neues und besseres Kapitel in den Beziehungen zwischen Richterstand und Bürgern sein. Dafür ist es aber unbedingt nötig, das der Dialog zwischen Regierung und Opposition wieder aufgenommen wird, wenn es zur Anwendung des Gesetzes kommt. Es ist von grundlegender Wichtigkeit, dass die Justiz das Vertrauen und den Respekt der Bürger zurückgewinnt. Seit Jahrzehnten hat der Mann von der Straße immer wieder das alte und traurige Lied von der kranken Justiz gehört, die es nicht schafft, ihre Aufgaben zu erfüllen. Und keine Regierungskoalition hatte sich je darum gekümmert, ein wirksames Heilmittel zu finden. Diese Reform will das gesamte System den modernsten europäischen Kriterien anpassen."

Dagegen beschwört die ebenfalls in Rom erscheinende LA REPUBBLICA ihre Leser mit folgenden Worten:

"Sie werden euch sagen, dass dieses Gesetz, das die Justiz erneuert, ein technisches Gesetz ist. Und zudem noch unbedingt notwendig. Sie werden euch sagen, dass dies die vernünftigste Möglichkeit ist, um die Arbeit der Richter den modernen Zeiten anzupassen und endlich eine gerechte und schnelle Justiz zu haben. Und das ist einfach nicht wahr. Um sich darüber bewusst zu werden, reicht es aus, sorgfältig auf Worte und Taten zu achten, darauf, was sie sagen und was sie dann machen. Das, was sie euch nicht sagen ist, worauf diese Reform abzielt: die Anpassung der Richter. Das neue Justizgesetz ist ein gewaltiger Druck, der ausgeübt wird, um die Autonomie der Justiz zu beugen. Es ist keine Reform der Justiz, sondern eine Reform der Richter."