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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Siegfried Scheithauer26. März 2005

EU lockert Stabilitätspakt/ Machtwechsel in Kirgisien/ Weiter Waffenembargo gegen China?

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Die wirtschaftliche Zukunft Europas und die Rolle Deutschlands fanden in der internationalen Tagespresse in dieser Woche große Aufmerksamkeit. Die Leitartikler zogen nach dem EU-Gipfel in Brüssel eine kritische Bilanz.

So kommentiert die Zeitung DE MORGEN aus Belgien:

"Deutschland hat die Schlacht gewonnen. Der Stabilitätspakt, der über die Haushaltsstabilität in der EU wacht, wird biegsamer. Gute Nachrichten für unsere östlichen Nachbarn, die schon drei Jahre lang die europäischen Budgetregeln übertreten. Das EU-Schwergewicht bekommt mehr Zeit, um seine Haushaltsprobleme zu verarbeiten, ohne dass Brüssel ihm auf die Finger klopft. (...) Großer Verlierer ist die Europäische Kommission. Sie wird mit dem Versprechen getröstet, dass die Mitgliedstaaten zum Ausgleich ihrer Haushalte verpflichtet sind, sobald es der Wirtschaft wieder gut geht."

Das Blatt LA STAMPA aus Turin hat es so gesehen:

"Wenn Deutschland, Frankreich und Italien wie die anderen Länder wachsen würden, hätte Europa eine bessere Wirtschaftsleistung als die USA. Niemand würde dann von einer Krise des sozialen Modells Europa sprechen, so wie man auch in Österreich, Irland oder Schweden nicht darüber spricht. (...) Wenn Europa wirtschaftlich stark wäre, hätte es gute Chancen, der politische Magnet von Toleranz und Integrationskraft zu sein, wie die Welt es von Europa erwartet." Es gab aber durchaus auch ein positives Echo. So ist der INDEPENDENT aus London voll des Lobes:

"Am Ende haben sie sich doch noch geeinigt. Deutschland, das seit drei Jahren gegen den Stabilitätspakt verstoßen hat, hat die größten Zugeständnisse herausgeholt. Frankreich kann auch zufrieden sein. (...) Eine Lockerung des Stabilitätspaktes war unvermeidlich. Im Moment ist eines der größten Probleme der Eurozone die schwache Nachfrage. Irgendeine Form von Steueranreiz ist auf jeden Fall erforderlich."

Die Zeitung OUEST-FRANCE aus der Bretagne schrieb nach dem EU-Gipfel:

"Man sagte uns, eine EU mit 25 Mitgliedern sei unregierbar, unfähig, ihre Differenzen zu überwinden. Sie hat gerade das Gegenteil bewiesen, indem sie sich zusammenschloss, um einigen Ländern aus einer schwierigen Lage zu helfen: Frankreich mit seinem Referendum, aber auch Deutschland, das auf die Reform des Stabilitätspaktes setzt, um aus seinem wirtschaftlichen Tief herauszukommen." Das Pariser Wirtschaftsblatt LA TRIBUNE fragt sich, welche Folgen eine Ablehnung der EU-Verfassung durch die Franzosen Ende Mai haben würde: "Es könnte also sein, dass Frankreich, einer der eifrigsten und ältesten Protagonisten beim europäischen Aufbau, morgen das hässliche Entlein der EU wird. Und dies natürlich nicht, weil die Wähler euroskeptisch sind, sondern weil sie eine Regierungspolitik satt haben, der es an Klarheit fehlt, weil sie finanziell kaum über die Runden kommen und weil sie sich Sorgen machen, angesichts des offenbar nicht mehr zu bremsenden Anstiegs der Arbeitslosigkeit."

Einige Meinungsmacher im Ausland werfen ein Schlaglicht direkt auf die deutsche Befindlichkeit. So stimmt EL PAIS aus Madrid bereits mit ein in den Abgesang auf die Berliner Koalition:

"Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine rot-grüne Regierung könnten in einen Prozess des Niedergangs getreten sein, der nicht mehr umkehrbar ist. Mit dem Ende der Regierung von SPD und Grünen in Schleswig-Holstein und einer sich abzeichnenden Niederlage in Nordrhein-Westfalen steht der Kanzler ohne Unterstützung da. (...) Außenminister Joschka Fischer, bisher die populärste Figur im Kabinett, ist durch die Visa-Affäre schwer angeschlagen. Die Arbeitslosigkeit steigt unaufhörlich."

SVENSKA DAGBLADET aus Stockholm meint dazu: "In Deutschland hat die Regierung mit Reformen gewartet und sie erst unter dem Galgen durchgeführt. (...) Deutschlands großer Fehler besteht nicht darin, dass eine Regierung widerwillig umgedacht, sondern dass man so lange an dem Gedanken geklebt hat, das eigene Gesellschafts- und Wohlfahrtsmodell sei perfekt. Die beeindruckenden Erfolge der Exportindustrie haben die Entscheidungsträger dermaßen geblendet, dass sie die Alarmzeichen mit Stagnation und Mängeln im Dienstleistungssektor übersahen."

Alle Augen richteten sich in diesen Tagen auch auf den Machtwechsel im zentralasiatischen Kirgisien:

Die französische Zeitung LIBERATION ordnet die Entwicklung so ein:

"Der Umsturz in Bischkek bedeutet das Ende der postsowjetischen Ära. Heute sind die Kirgisen, gestern waren die Georgier und Ukrainer die eigentlichen Akteure von friedlichen Revolutionen. Diese Länder haben die Hoffnung auf eine Unabhängigkeit, die sie mit der zaristischen Expansion im 19. Jahrhundert eingebüßt hatten. Die Revolutionen haben Erfolg, weil sie sich gegen wurmstichige Regime richten und weil Russland nicht mehr über die Mittel verfügt, Gewehre für die Repression zu liefern. (...) Doch müssen die Blüten der Demokratie sorgsam gepflegt werden. Die neuen Regierungen bedürfen der Unterstützung, damit sie nicht in die Fehler der alten verfallen."

Ähnliches lesen wir in der INTERNATIONAL HERALD TRIBUNE aus New York:

"Kirgisien ist dem Beispiel Georgiens und der Ukraine gefolgt, die ihre korrupten Cliquen herausgeworfen haben, die nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 an die Macht gekommen waren. Man muss ihnen nacheifern mit raschen Wahlen, um demokratisch eine legitime Regierung zu etablieren. Kirgisien selbst könnte dann ein Beispiel für die undemokratischen, postsowjetischen Staaten werden - insbesondere für seine Nachbarn Turkmenien, Usbekistan, Tadschikistan und Kasachstan."

Kritisch beäugt wird das Verhalten Russlands in dem Konflikt. Wir zitieren aus der Londoner TIMES: "Während die schlecht koordinierte Opposition in Kirgisien versucht, den abrupten Triumph in eine ordentliche Regierung umzuwandeln, kann sie sich wenigstens einer Sache sicher sein: Russlands Präsident Wladimir Putin, der einen Regimewechsel in Georgien und in der Ukraine ablehnte, ist bereit, mit der neuen Führung in der strategisch wichtigen Republik in Zentralasien zusammenzuarbeiten. (...) Der Umsturz bietet eine Chance für Demokratie in einer Region, die vom Erdöl gesegnet und von der Politik verdammt ist."

"Pest" oder "Frühling" fragt sich die russische Tageszeitung KOMMERSANT noch unsicher:

"Die Revolutionen breiten sich im postsowjetischen Raum wie die Pest aus. So sieht es jedenfalls aus dem Blickwinkel der Führung im Kreml aus. Letztlich bleiben die Gründe und Mechanismen einer Revolution in ihrem Verlauf unklar. Es macht zumindest für Russland keinen Sinn, sich da einzumischen. Wenn die Revolutionen in der GUS tatsächlich eine Pest sind, dann könnte man diese Epidemie theoretisch noch stoppen. Wenn diese Revolutionen aber dem Frühling gleichen, sind sie nicht aufzuhalten."

Themenwechsel. Umstritten bleibt die Haltung der Europäer zum Waffenembargo gegen China, insbesondere nach dem neuen Anti- Abspaltungsgesetz gegen Taiwan und dem jüngsten Peking-Besuch der US-Außenministerin Condoleezza Rice.

Ein vernichtendes Urteilt fällt der britische DAILY TELEGRAPH:

"Die Europäische Union ist sowohl prinzipienlos als auch ungeschickt mit dem Waffenembargo gegen China umgegangen. Die Initiative zu seiner Aufhebung geht von Jacques Chirac aus, der es für 'unbegründet und unlogisch' hält. Deutschland, der größte europäische Exporteur nach China, unterstützt eine Aufhebung. (...) Eines der Kriterien für ein mögliches Ende des Embargos müsste sein, dass dadurch die regionale Stabilität gewährleistet wird. Doch am 14. März hat der Nationale Volkskongress ein Gesetz angenommen, das eine Militäraktion gegen Taiwan erlaubt, falls Taiwan seine Unabhängigkeit erklärt. Der gesamte Umgang der EU mit China ist von mangelnder Prinzipientreue gekennzeichnet."

LA REPUBLICA aus Rom schlägt in die gleiche Kerbe:

"Heuchelei beim Thema Waffenembargo ist kein chinesisches Monopol: Alle europäischen Länder, Großbritannien eingeschlossen, haben das Verbot in der Vergangenheit umgangen und weiterhin Waffen an China geliefert. Und der zweitgrößte Lieferant militärischer Technologie an China ist - nach Russland - einer der engsten Verbündeten der Vereinigten Staaten: Israel."