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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Stephan Stickelmann 16. April 2005

Bundestagsdebatte über EU-Embargo gegen China / EU-Referendum in Frankreich / Regierungskrise in Italien / Wahlprogramm von Tony Blair

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Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in einer Parlamentsdebatte seine Forderung verteidigt, das EU-Waffenembargo gegen China aufzuheben. Dies ist ein Thema der Kommentatoren der internationalen Presse. Beachtung finden ferner die Volksabstimmung zur EU-Verfassung in Frankreich, die Regierungskrise in Italien und das Wahlprogramm des britischen Premiers Tony Blair. Zum ersten Thema heißt es im STANDARD aus Wien:

"Die Debatte hat zweierlei gezeigt. Erstens: Schröder steht mit seiner Meinung recht alleine da. Zweitens: Es ist ihm jedoch egal. Aus allen Parteien hagelt es Kritik an seinem sturen Kurs. Doch das Ansehen bei der chinesischen Führung ist Schröder in diesem Fall wichtiger als das des Bundestags. Ganz offen gibt er zu, dass man mit dem boomenden Land gute Geschäfte machen wolle. Und Unterstützung, dass Deutschland endlich seinen eigenen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat bekommt, erhofft er sich auch. Die Debatte im Bundestag nach seinem Statement hat er sich übrigens gar nicht mehr angehört - andere Termine waren dringender."

Die SALZBURGER NACHRICHTEN ergänzen:

"Um große Rüstungsgeschäfte kann es gar nicht gehen. Denn strenge Exportrichtlinien verbieten deutsche Waffenverkäufe in Spannungsgebiete. So bleibt nur der Schluss, dass Schröder die Chinesen gewogen stimmen will, um deutschen Unternehmen Aufträge im boomenden Riesenreich zu sichern. Erst schmeichelt Schröder dem russischen Autokraten Putin, dann zeigt er sich als Liebkind bei den Despoten in Peking: Wirtschaftsinteressen zählen mehr als Moral."

Unabhängig von der Embargo-Diskussion stellt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG bei der Bundesregierung deutliche Abnutzungserscheinungen fest. Das Blatt schreibt nämlich:

"Bald sieben Jahre nach dem Ende der Ära Kohl verharrt Deutschland im Zustand rot-grüner Erstarrung, die zu durchbrechen kaum mehr einem der grossen Akteure zugetraut wird. Es scheint, als hätten die gegenwärtigen Machthaber ihr Instrumentarium ausgereizt, allen Innovations-Schlagworten zum Trotz. Seit Jahren stagniert die deutsche Binnenwirtschaft. Die Arbeitslosigkeit hat mit erschreckender Konstanz zugenommen, die öffentliche Verschuldung ebenso. Von der Sicherheit der Renten spricht niemand mehr. Ein Mehltau von Misstrauen und Missgunst hat sich über den öffentlichen Diskurs gelegt. Wenn die Metapher vom 'Reformstau' in Deutschland nicht schon in den neunziger Jahren die Runde gemacht hätte, müsste man sie heuer wohl zum 'Unwort des Jahres' wählen."


Themenwechsel: Die DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE aus Straßburg befürchten, dass die Franzosen bei der Volksabstimmung am 29. Mai gegen die EU-Verfassung stimmen könnten:

"Eine Umfrage folgt der anderen, alle ähneln und bestätigen sich. Nein, nein und nochmals nein. 53, 55, 52 oder 54 Prozent - wieviel ist unwichtig, aber die Waagschale neigt sich in Richtung eines Denkzettelvotums am 29. Mai. Im Klartext: anderthalb Monate vor der Abstimmung ist das Ja flügellahm. Nicht so sehr sein Rückstand gibt den Anhängern Anlass zu Besorgnis, sondern vielmehr die Fortschritte in allen Kategorien der Nein-Befürworter, mit Ausnahme der Anhänger der Regierungsparteien UMP und UDF, die für den Augenblick bei der Stange bleiben. Selbst bei den Grünen, traditionsgemäß Europäer, ist die Ablehnung der Verfassung inzwischen eindeutig in der Mehrheit. Ein weiteres Zeichen des Misstrauens. Für die Verfassung steht das Licht also auf Rot."

Die norwegische Zeitung AFTENPOSTEN äußert sich weitaus besorgter - Zitat:

"Die französische Entscheidung in sechs Wochen über Ja oder Nein zum neuen EU-Verfassungsvertrag kann sich als schicksalsträchtig für die Union in ihrer bisherigen Form erweisen. Sollten die Wähler in Frankreich wirklich mit dem Daumen nach unten zeigen, wäre das mehr als nur ein Arbeitsunfall. Die Frage über die die politische Perspektive der künftigen politischen Zusammenarbeit würde mit voller Kraft gestellt werden. Und ein diskretes Fragezeichen würde sich auch über die immer noch recht neue Währungszusammenarbeit beim Euro erheben. Denn ohne stabilen Glauben an eine engere politische Zusammenarbeit in der Zukunft kann auch das Vertrauen in die Zukunft des Euro untergraben werden. Wirtschaftliche Unruhe wäre die Folge."

Die Zeitung LE MONDE aus Paris lenkt in diesem Zusammenhang den Blick auf Warnungen von Bundesaußenminister Joschka Fischer vor einem französischen Nein zur EU-Verfassung:

"Die Warnung von Bundesaußenminister Joschka Fischer ist eine Antwort an diejenigen, die davon ausgehen, dass eine französische Ablehnung der EU-Verfassung keine wesentlichen Auswirkungen auf die deutsch-französische Zusammenarbeit haben würde. Die Dynamik dieser Zusammenarbeit ist einer der Motoren bei den Verhandlungen über die Verfassung gewesen und hat es Frankreich dann auch möglich gemacht, den USA im Konflikt um das Eingreifen im Irak die Stirn zu bieten. Auch wenn die deutsch-französische Partnerschaft Europa zeitweise wegen der Irak-Krise gespalten hat, so trug sie doch dazu bei, den Vorstellungen einer europäischen Außen- und Verteidigungspolitik Schwung zu verleihen. Was dann in die Verfassung eingegangen ist"


Themenwechsel: Die Kabinett des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi steckt in der Krise. Dazu bemerkt der TAGES-ANZEIGER aus Zürich:

"Es herrscht in Italien, auch wenn das Berlusconi nicht wahrhaben will, bereits die Stimmung eines Fin de Règne. Fast täglich berichten die Medien von Parteigängern des Premiers, die das Lager wechseln, von Ratten, wie sie es nennen, die das sinkende Schiff verlassen. Geht er auf die Forderung Finis ein und stellt sich dem Vertrauensvotum im Parlament, droht Berlusconi gar ein Debakel. Zwar verfügt seine Koalition im Abgeordnetenhaus über eine Mehrheit von immerhin 60 und im Senat von 22 Stimmen. Doch bei der gegenwärtigen Gemütslage scheint nichts unmöglich."

Und THE INDEPENDENT aus London fragt:

"Erleben wir den Anfang vom Ende des am längsten amtierenden italienischen Ministerpräsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg? Warum hat Italien seine Liebesaffäre mit dem milliardenschweren Medienmagnaten und seiner einzigartigen Showpolitik offenbar beendet? Die kurze Antwort lautet: die Wirtschaft. Es herrscht tiefe Enttäuschung darüber, dass es der Mitte-Rechts-Koalition in vier Jahren nicht gelungen ist, das Wachstum anzukurbeln. Die Reformen, die zum Beispiel der italienische Arbeitsmarkt dringend bräuchte, sind bisher nicht in Angriff genommen worden. Berlusconi kann sich zwar mit der von ihm hergestellten politischen Stabilität brüsten, indem er darauf verweist, dass die Regierung nun schon so lange im Amt ist. Aber der Preis, der dafür mit der Untergrabung demokratischer Prinzipien bezahlt worden ist, ist zu hoch. Das ist der Grund, warum die derzeitige Krise so viel Mut macht. Sie zeigt, dass selbst ein politischer Führer, der fast die gesamten Medien dominiert, sein politisches Überleben angesichts harscher wirtschaftlicher Realitäten nicht garantieren kann."


Noch einmal Themenwechsel: Das spanische Blatt EL PERIODICO analysiert das politische Programm Tony Blairs für die bevorstehenden Wahlen in Großbritannien und kommt zu dem Schluss:

"Tony Blair bleibt mit seinem Wahlmanifest bei der Linie von New Labour. Der britische Premierminister kann sicher sein, dass er die Wahl gewinnt. Zudem ist die Alternative der Konservativen schwach. Da braucht Blair keine großen Kurskorrekturen vornehmen. Geringfügige Neuerungen sind allein in den Bereichen der Immigration, der Sicherheit und des Anti-Terror-Kampfes zu finden. Blair greift hierbei auf das Instrumentarium der Rechten zurück: mehr Kontrollen, mehr Polizei, freie Hand für die Geheimdienste. Er entfernt sich damit von der europäischen Linken und nähert sich US- Präsident George W. Bush an, der zu einer Verbesserung der Sicherheit sogar die Freiheitsrechte einschränkt."

Im britischen DAILY TELEGRAPH ist zu lesen:

"Der Gesamteindruck war der einer Regierung, die keine Ideen mehr hat, aber uns weiterhin vorschreiben will, wie wir leben, was wir essen und wie wir unsere Kinder erziehen sollen. Aber zumindest können sich die Wähler nun zwischen den beiden großen Parteien entscheiden. Das Programm der Konservativen ist alles andere als perfekt. Uns wäre es lieber gewesen, wenn sie größeren Wert auf Einschnitte bei den staatlichen Ausgaben und Steuersenkungen gelegt hätten. Aber die konservative Botschaft hat den Vorteil, dass sie unkompliziert ist, und der Spitzenkandidat Michael Howard hat sich bisher dynamisch und direkt präsentiert, während das Blair-Brown- Doppel seltsam inszeniert wirkt."

Die Zeitung ABC aus Madrid resümiert:

"Der britische Premierminister Tony Blair hat zwei Amtszeiten auf dem Buckel. Seine Reden hören sich an, als wäre seine Ära abgelaufen. Die Wahlen werden zeigen, ob die Zeit schon jetzt so weit ist oder ob die Briten noch vier Jahre warten müssen. Der Irak- Krieg hat die Labour-Regierung - auch in den Augen der eigenen Parteifreunde - zerschlissen, aber er ist nur die Spitze des Eisbergs."